Christian Nerlinger: „Lehrlinger“ war gestern

Mit der Vertragsverlängerung mit Christian Nerlinger hat der FC Bayern die Weichen für die Zukunft gestellt. Der Sportdirektor hat sich als Erbe von Uli Hoeneß freigeschwommen – und könnte schon bald in den Vorstand aufrücken.
München - Uli Hoeneß erhob die Stimme, als er sich Christian Nerlinger zur Brust nahm. 'Die Lehrzeit ist ab sofort vorbei!", rief der Präsident dem Sportdirektor am vergangenen Freitag mit gespieltem Ernst zu – wohl wissend, dass aus Nerlinger längst ein gestandener Bundesliga-Manager geworden ist. Der 38-Jährige, der im Juli 2009 das schwere Erbe von Hoeneß angetreten hatte, hat sich freigeschwommen. Jetzt soll er die Bayern in eine goldene Zukunft führen.
Zu diesem Zweck haben die Münchner Nerlingers Vertrag in der vergangenen Woche um zweieinhalb Jahre bis 2014 verlängert. Er sei „sehr stolz“ und freue sich „sehr, dass ich mit dem Vorstand, dem Präsidium, dem Trainer und unserer Mannschaft weiter zusammenarbeiten darf“, sagte er über den „Vertrauensbeweis“ des Klubs. Dieser fordert nun von ihm, das machte Hoeneß' Aussage bei allem Witz deutlich, dass er in seiner Entwicklung den nächsten Schritt macht.
„Es gibt Themen, die wir angreifen und verbessern müssen. Daran werde ich mich messen lassen“, sagte Nerlinger selbst. Als dringlichste Aufgabe sieht er, „dass unsere Jugendarbeit wieder führend wird“. Zudem soll die Mannschaft, in der Nerlinger in Hoeneß' Augen zuletzt „alle Schwachstellen beseitigt“ hat, qualitativ so weit verbessert werden, um dauerhaft auf Augenhöhe mit Europas Top-Klubs zu kommen. Als Lohn winkt Nerlinger ein Vorstandssitz. „Spätestens in zwei Jahren“ muss er laut Hoeneß da einziehen und perspektivisch „uns alte Säcke irgendwann ablösen“. Hoeneß sieht seinen Nachfolger kritisch, in der Ära Louis van Gaal sei er ihm in der Öffentlichkeit mitunter zu ruhig gewesen, heißt es. Während Coach Jupp Heynckes die „gelassene Art“ des früheren Profis lobt, hat er aus Sicht des angriffslustigen Hoeneß manchmal zu wenig von der „Abteilung Attacke“.
Dennoch: Auch für Hoeneß ist der Übergang geglückt. Aus der Mannschaft und von Nerlingers Kollegen bei anderen Vereinen gibt es ohnehin durchweg Lob. Bayern-Kapitän Philipp Lahm spricht von Nerlinger nur in salbungsvollem Ton und hebt dessen fachliche Kompetenz ebenso wie Kommunikationsfähigkeiten und „menschliche Qualitäten“ heraus. Nerlinger selbst beschreibt sein Verhältnis zu den Profis als professionell, aber auch als „vertrauensvoll“. Mit Hoeneß, Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge und Co. arbeite er „konstruktiv“ zusammen.
Die Eingewöhnungszeit, die er streng genommen nie hatte, war dabei alles andere als leicht für Nerlinger. Hier und da musste sich der Novize auf dem Sportdirektoren-Posten auch mal als „Lehrlinger“ verspotten lassen. Hoeneß und Rummenigge versuchten, ihn aus dem Feuer zu nehmen. Dass seine Position nicht „Manager“ genannt wurde, war dabei kein Zufall. Nerlinger sollte nicht ständig mit dem „Über-Manager“ Hoeneß verglichen werden.
Besondere Maßnahmen will Nerlinger, der in den ersten Tagen im Amt mitunter unsicher und gewollt autoritär wirkte, nicht unternommen haben. „Man reift da automatisch“, sagte er. Mittlerweile sei er „als Sportdirektor angekommen“ bei den Bayern. Seine Auftritte sind bestimmter geworden, seine Nadelstiche gegen die Konkurrenz wirken nunmehr weniger aufgesetzt.
Nerlingers Entwicklung wurde auch von den Beratern der Profis interessiert beobachtet. Mit denen wird er in den kommenden Monaten häufiger zu tun haben, gilt es doch, zahlreiche Verträge zu verlängern und Kicker wie Marco Reus oder Mario Götze perspektivisch von einem Wechsel an die Isar zu überzeugen. Diese Aufgaben, sagte Nerlinger, bürgen für großen Reiz, wie sein Amt insgesamt. „Es ist der schönste Job, den man haben kann“, meinte er einmal, und fügte an: „Es ist aber auch der schwierigste.“