Ukrainische Justiz geht gegen mutmaßliches Folteropfer vor
Die ukrainische Justiz verschärft ihren Kurs gegen Regierungsgegner. Gegen den mutmaßlich gefolterten Aktivisten Dmitri Bulatow sei ein Verfahren wegen der Teilnahme an Massenunruhen eingeleitet worden, teilte das Innenministerium der früheren Sowjetrepublik mit.
Kiew - Der amtierende Ressortchef Witali Sachartschenko betonte, eine Verhaftung Bulatows sei vorerst nicht geplant. Ermittler wollen den 35-Jährigen aber unter Hausarrest stellen lassen.
Zudem ermittelt der Geheimdienst SBU gegen die Opposition wegen versuchten Staatsstreichs. Bei einer Razzia in den Räumen der Partei der inhaftierten Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko seien dafür Beweise gefunden worden, sagte Maxim Lenko vom SBU in einer Fernsehsendung. Experten werteten die beschlagnahmten Dokumente und Rechner nun weiter aus.
Die Gegner von Präsident Viktor Janukowitsch demonstrieren seit mehr als zwei Monaten für einen Westkurs des Landes. Ende November hatte Janukowitsch ein historisches Partnerschaftsabkommen mit der EU auf Druck Russlands platzen lassen. Als der Staatschef Mitte Januar dann demokratische Freiheiten einschränkte, eskalierten die Proteste. Es gab Tote und Hunderte Verletzte. Die Opposition um Ex-Boxweltmeister Vitali Klitschko beharrt seither auf einem Rücktritt Janukowitschs.
Auch der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Norbert Röttgen (CDU), forderte Neuwahlen als einzigen Ausweg. "Ohne einen politischen Neustart mit neuer Legitimation in Wahlen wird es keine Befriedung geben", sagte Röttgen dem "Tagesspiegel am Sonntag".
Hingegen gründete Janukowitschs Partei der Regionen eine sogenannte Ukrainische Front. Ziel sei, die Ukraine von Besetzern zu befreien. "Das gilt damals wie heute", sagte der Gouverneur des ostukrainischen Gebiets Charkow, Michail Dobkin. Falls friedliche Mittel ausgeschöpft seien, könne die "Säuberung" der Heimat auch "anders" geschehen.
Der Regierungsgegner Bulatow war nach eigener Aussage tagelang gequält worden. Er war am Donnerstagabend - gut eine Woche nach seinem Verschwinden - schwer misshandelt aufgefunden worden. Unbekannte hätten ihm einen Teil eines Ohres abgeschnitten, Nägel durch die Hände getrieben und ihn "an ein Kreuz genagelt", sagte der Aktivist aus.
Die Behörden leiteten ein Verfahren ein. Polizisten bewachten Bulatow in der Klinik - angeblich zu dessen eigener Sicherheit.
Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton zeigte sich "entsetzt" über die Misshandlungen Bulatows und kritisierte das Vorgehen gegen den Regierungsgegner als "inakzeptabel". Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) forderte die Regierung in Kiew auf, Bulatow eine medizinische Behandlung in Deutschland zu erlauben. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International erklärte: "Das ist Barbarei, die sofort aufgeklärt werden muss." Auch die USA forderten die Justiz zu rascher Klärung auf und zeigten sich "tief besorgt".
Das ukrainische Innenministerium warf seinerseits den Demonstranten auf dem Unabhängigkeitsplatz (Maidan) in Kiew vor, einen Milizionär gefoltert zu haben. Der Major sei schwer verletzt worden und erst nach dem Einsatz ausländischer Diplomaten freigekommen.
Die Behörden behaupteten zudem, die Opposition habe Polizeigewalt gegen Demonstranten provozieren wollen, um die Autorität der Führung von Präsident Janukowitsch zu untergraben. Timoschenkos Vaterlandspartei (Batkiwschtschina) sprach von einer Provokation.
Die Oppositionspolitiker Klitschko und Arseni Jazenjuk warben unterdessen in München um Unterstützung. Jazenjuk warnte bei Treffen mit Bundespräsident Joachim Gauck sowie Ashton und Steinmeier vor einem "wahrscheinlichen" Einsatz der Armee gegen die Demonstranten. Allerdings wies Verteidigungsminister Pawel Lebedew in Kiew dies als "Provokation" zurück. Die Armee werde höchstens bei Ausrufung des Ausnahmezustands eingreifen, sagte Lebedew.