Terrorgefahr auf Weihnachtsmärkten in München? Islamismus-Experte Mansour: "Haben massive Radikalisierung"

Das digitale Reich des Terrors: Nur einen Klick entfernt manifestiert sich eine bedrohliche Allianz. Der Islamismus-Experte Ahmad Mansour spricht von einer "Radikalisierungsmaschinerie". Behörden warnen vor einer erhöhten Anschlagsgefahr in Deutschland.
Alexander Spöri
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Prunkstück auf dem Weihnachtsmarkt in der Residenz: die hell erleuchtete Weihnachtspyramide. Gibt es hier eine Terrorgefahr?
Prunkstück auf dem Weihnachtsmarkt in der Residenz: die hell erleuchtete Weihnachtspyramide. Gibt es hier eine Terrorgefahr? © IMAGO/Masha Mitchell

München - In einer Designerküche steht ein junger Sympathisant der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS). Er will dafür sorgen, dass auch in Deutschland Kinder, Jugendliche und Erwachsene in den sogenannten "Heiligen Krieg" ziehen. Gefilmt wird der vermummte Heranwachsende von mehreren Kameras. Im Hintergrund hängen Flaggen und Bänder, die als Zeichen des IS gelten. Seelenruhig erklärt der Islamist, wie man aus Plastikflaschen und chemischen Stoffen einen Sprengsatz herstellen könnte.

Das Video kursiert eigentlich schon seit mehreren Jahren durch dschihadistische Gruppen auf verschiedenen Messagingdiensten. Doch dieses Mal ist alles anders. Es steht nicht im Kontext mit der Terrororganisation, die einen islamischen Gottesstaat errichten will, sondern im Zusammenhang mit dem Krieg in Nahost. Unter der Video-Sprengstoffanleitung verbreiten zahlreiche Gruppenmitglieder aus unterschiedlichen politischen Milieus Propaganda-Material. 

Rechtsradikale und Islamisten vereinen sich: Terrorgefahr in Deutschland steigt

Darunter verstörende Videos, in denen Juden erschossen werden. Für einen Nutzer sind das die "goldenen, alten Tage". Andere versenden Hakenkreuze, Ausschnitte aus Hitler-Reden und Manifeste von anderen Terroristen. "Ich bin hier gegen Israel und den Islam", heißt es aus dem einen Eck. Aber auch das andere Eck will offenbar gerne mitreden: "Möge Allah die Geschwister aus den Händen der Unterdrücker befreien." Obwohl sich die zwei Ideologien inständig unterscheiden, sind die Gruppenmitglieder in ihrem Hass auf Israel vereint.

Diese Entwicklungen machen den Sicherheitsbehörden in Deutschland große Sorgen. Auch deshalb sprach der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, vergangene Woche von einer Terrorgefahr, wie sie das Land schon lange nicht mehr erlebt habe. Dass von vermeintlich harmlosen und oft auch ironisch gemeinten "Witzen" in diesen Gruppen im Internet eine ernsthafte Gefahr ausgehen könnte, wurde vor wenigen Tagen offensichtlich.

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Terrorgefahr auch für Weihnachtsmärkte in München? "Massive Radikalisierungsmaschinerie"

In Hannover wurde ein 20-jähriger Iraker verhaftet. Ihm wird vorgeworfen, ein Messerattentat vorbereitet zu haben. Außerdem soll ein 15 Jahre alter Deutsch-Afghane zusammen mit einem minderjährigen Tschetschenen einen Anschlag auf den Christkindlmarkt in Leverkusen geplant haben. Begehen wollte er ihn wohl mit Brandsätzen und einem Laster, ähnlich wie bereits 2016 beim Anschlag am Breitscheidplatz in Berlin. Besteht also eine Terrorgefahr auch für Münchner Weihnachtsmärkte?

"In der aktuellen Situation haben wir eine massive Radikalisierungsmaschinerie, die vor allem auf TikTok und Instagram funktioniert – mit sehr emotionalisierten, wutmachenden Bildern", sagt Ahmad Mansour, Psychologe und Autor arabisch-palästinensischer Herkunft. Der Experte verfiel vor vielen Jahren fast der islamistischen Ideologie, inzwischen klärt er über die verfängliche Szene auf. "Das hat quantitativ und qualitativ eine ganze andere Stufe erreicht", meint er. Besonders gefährlich sei der von der Hamas vermittelte "Todeskult". "Die sagen, dass diejenigen, die in diesem Konflikt sterben, keine Toten sind, sondern bei Allah im Paradies landen."

Psychologe und Autor Ahmad Mansour.
Psychologe und Autor Ahmad Mansour. © privat

Diese Propaganda verbreitet sich in Windeseile im Internet. Dort verzeichnete auch das bayerische Innenministerium seit Kriegsausbruch zahlreiche mutmaßliche Straftaten, wie die Behörde auf AZ-Anfrage bestätigt. Nach vorläufigen Recherchen des Bayerischen Landeskriminalamts (BLKA) zählte die Behörde bis zum 4. Dezember 81 Internet-Straftaten mit politischem Hintergrund. Konkret sollen 33-mal Straftaten angedroht worden sein, meist aus religiöser Ideologie.

Auch das Justizministerium bestätigt, dass es seit Kriegsausbruch Terror-Propaganda und antisemitische Hetze in "erschreckendem Ausmaß" gibt. Bei allen 22 Staatsanwaltschaften in Bayern seien Sonderdezernate mit geschulten Staatsanwälten beauftragt. Schwierigkeiten hat die Justiz trotzdem, Taten auch entsprechend zu verfolgen. "Aus meiner Sicht muss die 'Sympathiewerbung' für terroristische Vereinigungen wieder unter Strafe gestellt werden", sagt Justizminister Georg Eisenreich (CSU).

Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) fordert Gesetzesänderungen

Bis ins Jahr 2002 sei jegliche Art von Werbung für terroristische Vereinigungen strafbar gewesen. Dann habe Eisenreich zufolge die rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder (SPD) eine Strafvorschrift geändert. Dieser zufolge könne nun lediglich das gezielte Werben um Mitglieder und Unterstützer bestraft werden. "Dies muss rückgängig gemacht werden", so Eisenreich weiter. Der Justizminister hat mit der CSU Ende November bereits einen entsprechenden Gesetzesantrag in den Bundesrat eingebracht.

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Ebenso vor zahlreichen Herausforderungen steht der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP). "Wir brauchen sofort eine Priorisierung aller politischen Vorgänge zur Inneren Sicherheit", sagt Jochen Kopelke. Es benötige mehr Investitionen in die Technik, in Künstliche Intelligenz (KI) und Freigaben von IT-Projekten. "Abwarten bis zu einem Terroranschlag darf es nicht geben", mahnt der Polizeivollzugsbeamte. "Jetzt ist die Zeit, zu handeln."

"Antisemitismus ist ein verbindendes Element der radikalen und extremistischen Szene"

Besonders die Überwachung von schutzbedürftigen Objekten und Personen könnte die Ordnungshüter bald an den Rand ihrer Kapazitäten bringen. Dienstpläne seien umgestellt und auf zwölf Stunden verlängert worden. Urlaubstage wurden teilweise gestrichen. Die Bereitschaftspolizeien der Länder würden zwar mit der Bundesbereitschaftspolizei zusammenarbeiten. Dabei stehen allerdings fast keine Einheiten zur Verfügung, weil diese durch die Grenzkontrollen stark ausgelastet seien, wie Kopelke der AZ erklärt.

Wie wichtig es ist, die Terrorlage trotz der Kapazitätsengpässe im Auge zu behalten, zeigt ein Gespräch mit einem Insider aus dem Westen des Landes, der aufgrund seiner Recherchen im rechten Milieu anonym bleiben möchte. Der Szenekenner mahnt, dass Linksextremisten auf propalästinensischen Kundgebungen zusammen mit Rechtsextremisten auftreten würden. Dieses Bild nimmt auch Kopelke wahr. "Antisemitismus ist ein verbindendes Element der radikalen und extremistischen Szene." Besonders die salafistische Szene falle mit einer Vielzahl an Kanälen auf dem chinesischen Videoportal TikTok auf. Kommunikation – auch über Telegram – sei das "Mittel aller Mittel" in der Radikalisierung.

Sie wollen die "Freiheit Palästinas": Auch in München kam es bei Kundgebungen zu Auseinandersetzungen.
Sie wollen die "Freiheit Palästinas": Auch in München kam es bei Kundgebungen zu Auseinandersetzungen. © IMAGO/Wolfgang Maria Weber

Islamismus-Experte Ahmad Mansour: "Ihre Mobilisierungsstrategie ist es, Hass zu schüren"

Islamismus-Experte Mansour geht sogar noch einen Schritt weiter. "Was wir hier erleben, ist eine gewisse Zusammenarbeit unter Radikalen, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben wollen", so der Psychologe. "Ihre Mobilisierungsstrategie ist es, Hass zu schüren."

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Mittlerweile zählt der Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS) landesweit 29 Vorfälle pro Tag. Tatort ist oft das Internet und die Täter oft junge Menschen. "Es sollte dringend Aufklärung hinsichtlich der Ereignisse in Israel erfolgen und eine Kontextualisierung von Propaganda stattfinden", sagt Susanne Zielinski, Leiterin von RIAS in Bayerns Nachbarbundesland Thüringen, zur AZ. Auch Lehrkräfte müssten weitergebildet werden, damit sie angemessen auf antisemitische Äußerungen reagieren können.

Mansour zufolge müsste es eine besondere Form der Aufklärung geben. "Jetzt ist nicht die Zeit, klassische Präventionsarbeit zu leisten", betont er. Dafür sei die Stimmung zu aufgeheizt. Die Menschen müssten "empathisch" auf Vertrauensebene miteinander sprechen, erst dann könne es eine faktenbasierte Aufklärung geben. Dass Gespräche helfen können, hat der Psychologe am eigenen Leib erfahren. "Die alltäglichen Begegnungen mit Juden in Tel Aviv haben mir sehr geholfen, meine damalige Ideologie in Frage zu stellen."

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12 Kommentare
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  • MUC am 07.12.2023 18:30 Uhr / Bewertung:

    Die AfD hat bereits 2015 prophezeit, was nun eingetreten ist. Nicht die AfD ist demokratiefeindlich sondern diejenigen, die die AfD am liebsten verbieten würden, sind es.

  • Monika1313 am 07.12.2023 18:22 Uhr / Bewertung:

    Ich bin sehr verwundert, dass viele deutsche Frauen bzw. Mädchen sich komplett verhüllen und auf Muslima machen.

  • SL am 07.12.2023 17:01 Uhr / Bewertung:

    "Die Behörden warnen vor einer erhöhten Anschlagsgefahr". So wie in Berlin, Amri war ihnen seit Jahren bekannt und trotzdem kam es zum fürchterlichen Attentat auf dem Breitscheidplatz.

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