Siggi, der Sieger

Sigmar Gabriel hat den Mitgliederentscheid gewonnen und eines der wichtigsten Ämter in Merkels Kabinett. Aber kann der SPD-Triumphator auch Energiewende?
Matthias Maus |
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Sigmar Gabriel hat den Mitgliederentscheid gewonnen und eines der wichtigsten Ämter in Merkels Kabinett. Aber kann der SPD-Triumphator auch Energiewende? 

Er hat alles gewagt und viel gewonnen. Sigmar Gabriel genoss die „Sigmar-Sigmar“-Rufe im alten Post-Bahnhof in Berlin. Und ein bisschen ließ er sich nach Bekanntwerden des positiven Mitgliederentscheids auch wieder hinreißen zum großen Pathos: „Dieser Tag wird nicht nur in die Geschichte der deutschen Sozialdemokratie eingehen.“ sagte er. „Dieser der Tag wird in die Geschichte der Demokratie in Deutschland eingehen.“ Jedenfalls ist es ein großer Tag für Sigmar Gabriel.

Der Mitgliederentscheid ist ein Triumph für ihn. Superminister wird er und Vizekanzler. Der SPD-Chef ist obenauf. Sigi heißt der Sieger der Tages. Aber wer hoch fliegt, kann auch ganz tief fallen, gerade bei dem Job, der auf den 54-Jährigen zukommt. Eines ist jedenfalls klar – feige ist der Mann aus Goslar nicht.

Um eine Minute vor drei am Samstagnachmittag verkündet Barbara Hendricks im ehemaligen Postbahnhof von Berlin die Nachricht: 256643 SPD-Mitglieder haben mit Ja gestimmt, das sind 75,96 Prozent für die große Koalition. Die Abstimmung war Gabriels Idee. Sie galt als Wagnis.

„Nie“ werde er der SPD etwas zumuten, das die Partei nicht wolle, hatte er nach der Wahl am 22. September argumentiert. Die Erinnerungen an 2005 bis 2009, als Merkel ihre erste große Koalition führte und die Sozialdemokraten mit einem Minus-Rekord in vier Jahre Opposition geschickt wurden, sind schmerzhaft bei der SPD. Außerdem war er mit der klaren Option Rot-Grün in den Wahlkampf gezogen und gescheitert.

Das Ergebnis von 25,7 Prozent war nur unwesentlich besser als 2009. Das kritische Echo von der Basis war so laut, dass mit einem knapperen Ergebnis gerechnet wurde bei der Mitgliederbefragung – wenn nicht sogar mit einer Niederlage. Anfangs gab es im Kieler SPD-Linken Ralf Stegner und vor allem in der NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft sogar mächtige Galionsfiguren der Gegner.

Doch Gabriel blieb hart, und seine Strategie ging auf. Zunächst drehte er Kraft um. Sie verzichtete sogar laut und deutlich auf die Kanzlerkandidatur 2017. Damit platzte der Traum aller Genossen, die diesmal noch lieber in die Opposition gegangen wären. Und auf dutzenden Regionalkonferenzen stellte sich die Parteispitze um Gabriel der Basis im ganzen Land. Die Parteimitglieder stürmten die Sitzungssäle und Gewerkschaftshäuser.

„So viele Genossen habe ich schon lange nicht mehr gesehen“, konnte sich Gabriel freuen – erst recht, als die Tendenz in den Versammlungen klar wurde: Die Mehrheit der Basis war dafür, dazu die komplette Führungsriege bis zu den Altvorderen von Hans-Jochen Vogel über Helmut Schmidt und Gerhard Schröder. Die Botschaft war klar und sie wirkte: Wenn ihr nein sagt, ist die SPD enthauptet. Die Basis verstand.

Nach dem Sieg sagte Gabriel: „Wir sind nicht nur die älteste, sondern auch die modernste Partei.“ Er sprach von einem „Fest der Demokratie“. Jetzt müsse man daran arbeiten, die Nein-Sager umzustimmen. Die Feierlaune wird nicht lang anhalten.

In der nächsten Regierung werden sich Energie- und Wirtschaftsminister nicht mehr über die Energiewende streiten können. Die Kompetenzen liegen bei einem ganz allein: Wirtschaftsminister Gabriel. Er wird auch zuständig für die Energiewende, und damit für das Projekt, bei dem die ganze Welt dem Schwergewicht Deutschland zuschaut. Und die Probleme warten nicht.

Gabriel wird bald daran gemessen werden, ob er den Strompreis in den Griff bekommt. Seine Handlungsmöglichkeiten sind aber begrenzt. Die gute Nachricht: Nach dem 12,9 Prozent-Plus zum letzten Jahreswechsel steigen die Strompreise 2014 moderat, wenn überhaupt: Öko-Strom verbilligt Großhandelspreise. Einzelne Öko-Stromanbieter senken die Kilowattpreise sogar.

Am Mittwoch wird EU-Wettbewerbs-Kommissar Joaquin Almunía offiziell gegen die Industrierabatte bei der Öko-Strom-Umlage vorgehen. 1716 besonders Energie-intensive Unternehmen in Deutschland zahlen nur 0,05 Cent pro Kilowattstunde für die Energiewende. Der Normalverbraucher zahlt aktuell 5,24 Cent, ab 2014 sogar 6,24 Cent. Für den Normalo treibt das den Preis. Für die EU sind die Rabatte Subventionen und ein Verstoß gegen das EU-Recht. Die deutsche Industrie fürchtet bei einem Wegfall der Rabatte Wettbewerbsnachteile.

Gedacht waren die Nachlässe für Branchen, die im internationalen Wettbewerb stehen. Es profitieren aber auch der Steinkohlebergbau (150 Millionen Euro Ersparnis) oder die Lebensmittelindustrie (295 Millionen Euro). Läuft das EU-Verfahren an, müssen viele Firmen automatisch Rückstellungen bilden, diese könnten für manche existenzgefährdend sein.

Arbeitsplatzvernichtung oder steigende Preise für Normalbürger – beides tödlich für einen Energiewendeminister.

Bis 2015 muss der Minister den Netzausbau vorantreiben, damit die Windenergie aus dem Norden in den Süden fließen kann. Weil 2015 das unterfränkische AKW Grafenrheinfeld abgeschaltet wird, drohen Engpässe.

Wegen vieler alter Kohlemeiler steigt im zweiten Jahr in Folge der CO2-Ausstoß. Zugleich rechnen sich umweltfreundlichere Gaskraftwerke nicht mehr. Der Strommarkt muss dringen reformiert werden. Riesen wie RWE oder Eon haben massive Probleme. Matthias Maus

 

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