Niedersachsen mischt Merkel & Co. auf
Nach dem Machtwechsel in Niedersachsen werden auch für das Spitzenpersonal im Bund die Karten neu gemischt
Was nun, Frau Merkel?
Achtung, es gibt keinen Kanzlerinnen-Bonus! Auch für die Favoritin wird es wieder spannender.
Bis Sonntag war sie die Unanfechtbare. Die Königin der Umfragen, die Amtsinhaberin, die ihren Herausforderer einfach ignoriereren konnte. Nach der Wahl von Niedersachsen hat sich die Welt der Bundeskanzlerin Angela Merkel verändert. Sie ist gefährlicher geworden. Der Machterhalt, ihr ein übergeordnetes Ziel, ist kein Selbstläufer mehr.
Sie ist populär – wie David McAllister. Sie ist Chefin der stärksten Partei – wie der Niedersachse. Sie hat die FDP als Koalitionspartner – wie der Verlierer der Wahl vom Sonntag. Hier sollen die Parallelen aufhören, findet Merkel: „Es wird ein Bundestagswahlkampf sein, in dem jeder für sich selbst kämpft und um seine Stimmen“, sagt Merkel. Es gebe „Schnittmengen“ mit den Liberalen, aber die werden „nicht dazu führen, dass wir irgendwie identisch sind“. So etwas wie eine Leihstimmen-Kampagne darf der CDU nicht noch einmal passieren.
In Niedersachsen wählten nach einer Emnid-Analyse 100000 Wähler die FDP, obwohl sie mit der CDU sympathisieren. Damit hoben sie die FDP von drei auf fast zehn Prozent, für die Union bedeutete das herbe Verluste. Weil auch noch 53000 Unionswähler zu SPD und Grünen abwanderten, landete die Union einen Verlust von 6,5 Prozent. Das muss die Union bei der Bundestagswahl vermeiden. Merkel nannte es eine der Lehren aus der Niedersachsen-Wahl, dass „nicht so große Angst davor herrschen muss, dass die FDP von der Bildfläche verschwindet“.
Einen Kanzlerinnen-Bonus gab es nicht, darauf weist auch der Unions-nahe Parteienforscher Jürgen Falter von der Uni Mainz hin: „Die Union darf nicht nur mit Merkel punkten.“ Es müsse „auch um Inhalte gehen“. Die Gefahr für Merkel sieht er gleichwohl überschaubar: Die Leihstimmengabe für die FDP sei „wie ein Seitensprung“ für die CDU-Wähler gewesen: „Am nächsten Morgen kehrt man wieder zu seinem Partner zurück.“
Lehren für Merkel hält auch die Emnid-Wahlanalyse bereit. Die CDU habe „wieder den alten Fehler gemacht und an ihre Theorie geglaubt: Nur die Wirtschaft zählt“, sagte Emnid-Chef Karl-Dieter Schöppner: Angesichts guter Wirtschaftsdaten habe die CDU die „immer größer werden Zukunftsunsicherheit der Bürger“ vergessen. Die Union stehe für „gute Unternehmenspolitik, nicht für höhere Löhne“, schreibt Höppner „für bessere Krisenpolitik, aber nicht für soziale Gerechtigkeit.“
Gerade da – Stichwort Mindestlohn, den die FDP ablehnt – gibt es auch Probleme mit den Liberale. Die können sich aber offenbar alles erlauben, ohne dass die Wähler sie abstrafen. Merkel will trotzdem weiter mit der FDP zusammenarbeiten. Die Personalquerelen beim Koalitionspartner hält Bundeskanzlerin Angela Merkel für nicht so folgenreich: „Es sind ja noch alle da.“ mm
Was nun, Herr Steinbrück?
Die SPD hält sich mit Kritik zurück, aber die Zweifel am Kandidaten bleiben
Wir haben uns nicht verrückt machen lassen.“ Die SPD mache „Politik von unten“. „Zum zwölften Mal in Folge“ sei Schwarz-Gelb gescheitert. „zum Fünften Mal“ löse ein Sozialdemokrat einen CDU-Ministerpräsident ab. Sigmar Gabriel ist in Fahrt. Und es dauert neun Minuten, bis der SPD-Chef in seiner Analyse zum ersten und einzigen Mal den Kanzlerkandidaten erwähnt: „Wir haben eine Riesenchance mit Peer Steinbrück.“ Es ist nicht klar, ob der Chef selbst oder irgendwer in der SPD daran glaubt.
Sicher ist: Seit Sonntag kurz vor Mitternacht sind Steinbrücks Karten nicht mehr ganz so schlecht: Noch mal gut gegangen, das ist die Stimmung im Willy-Brandt-Haus. Dass es „keinen Rückenwind“ für Niedersachsen aus Berlin gegeben habe, dass er selbst „maßgeblich eine gewisse Mitverantwortung trage“, das hat der Kanzlerkandidat selbst gesagt. Es gab hämischen Beifall in der SPD-Zentrale. Zu diesem Zeitpunkt am Sonntag Abend sah die SPD noch wie der Wahlverlierer aus. Doch der Erfolg macht versöhnlich.
„Ich freu mich, Peer, dass wir die Wahl gemeinsam gewonnen haben“, sagte Stephan Weil, der nächster Ministerpräsident in Hannover werden soll. „Wir haben ein wenig gute Laune ins Willy-Brandt-Haus gebracht.“ Also alles gut? Von wegen. In 35 Wochen wird im Bund gewählt, in manchen Umfragen liegt die SPD 20 Prozentpunkte hinter der Union.
Viel Arbeit für Steinbrück. Er will kämpfen: „Er ist, glaube ich, mit sich selbst nicht zufrieden“ sagte die Generalsekretärin Andrea Nahles. Weiter will niemand gehen. Die Vortragshonorare, die Mäkelei am Kanzlergehalt, sein Naserümpfen über billigen Wein – olle Kamellen, die SPD will nach vorne schauen.
„Sich um die Themen kümmern, die den Menschen auf den Nägeln brennen“, sagt Steinbrück. Und das Wahlergebnis von Niedersachsen bietet die Chance, dass das keine Phrase bleibt. Unter den neuen Mehrheitsverhältnissen kann Rot-Grün Gesetzesvorlagen von Schwarz-Gelb stoppen, gemeinsam mit den Grünen kann die SPD auch selbst Gesetzes-Entwürfe einbringen. Das Thema Mindestlohn oder das auch in der Koalition ungeliebte Betreuungsgeld bieten Angriffsflächen.
Ob das für die Trendwende reicht? „Die SPD muss noch eine Schippe drauflegen“, sagt Grünen-Chef Cem Özdemir. Beim Wunschkoalitionspartner hofft man auf den „heilsamen Schock“, der Steinbrück aufrütteln möge. Er will jetzt seine Worte „besser wägen“, sagt der Kandidat.
Wie gut ihm das gelingt, bleibt fraglich. Auch, wie gut seine Berater sind. In der Parteizentrale beklagen sie verfeindete Lager, eines davon sei das Team des Kanzlerkandidaten. Die Gegner nennen Steinbrücks Leute unfähig. mm
Was nun, Herr Seehofer?
Der CSU-Chef muss seine Strategie ändern – sein Herausforderer Ude fühlt Rückenwind
Nix mehr Schmusi-Schmusi mit der FDP! Horst Seehofer muss seine Strategie ändern. Kürzlich hatte er noch Schwarz-Gelb auf freiwilliger Basis angeboten. Er wolle mit der FDP auch weiterregieren, falls die CSU die Bayern-Wahl selber gewinnt. Seine Taktik bis Sonntag: Der FDP nicht schaden – die Bayern nicht mit Alleinherrschaft verprellen.
Seine Lektion hat Seehofer gelernt: Wer Stimmen verleiht, verliert! „Wir kämpfen um jede eigene Stimme und haben keine zu verschenken“, sagte er im CSU-Vorstand. Zur Nagelprobe wird es gleich bei den Studiengebühren kommen. Bisher hat sich Seehofer von der FDP vorführen lassen. Er will die Studiengebühren, die die CSU alleine eingeführt hat, los werden. Die FDP will sie behalten. Seehofer sucht nach einem Lösungs-Trick, der einen Koalitionsbruch verhindert.
Ein CSU-Vorstand zur AZ: „Es könnte sein, dass er die Abstimmung über das Volksbegehren zu einer Gewissensentscheidung macht und jeder abstimmen darf, wie er will. Denn es geht ja um den Willen des Volkes.“ Das hieße Landtag absurd: Die CSU stimmt mit SPD, Grünen und Freie Wählern.
Die meisten Gedanken aber machte sich die CSU gestern um den richtigen Wahltermin. Während Seehofer alles offen lässt - schloss die Mehrheit im Vorstand einen gemeinsamen Wahltermin aus. Die Bundestagswahl könnte Rot-Grün in den Städten zu sehr mobilisieren. Zur Not sollen die Bayern halt in den Ferien am 8. September wählen, schlugen einige vor, wenn der Bund unbedingt am 22. September abstimmen will.
Seehofer-Herausforderer Christian Ude sieht nach seinem Umfragen-Tief nun „Auftrieb und Rückenwind“. „Die Kommunalos sind im Kommen, zwei sind schon da, der Dritte rüttelt an der Pforte“, triumphierte er. Nach Schleswig-Holstein habe nun auch in Niedersachsen ein Oberbürgermeister gewonnen. Die These, ein OB könne nur in seinem Bereich gewinnen, sei widerlegt. Dabei hatte Ude den Sieg verschlafen. Weil er nicht mehr dran geglaubt hatte, sei er „missmutig um 23 Uhr ins Bett“. Als er um drei Uhr aufwachte, habe er in den Computer geschaut. „Dann bin ich nicht mehr ins Bett“.
Seehofer gab gestern keine Gefühle preis. Im Vorstand hieß es: Er hat’s geschäftsmäßig und kurz abgehandelt.“ bö