Interview

Linken-Gründer Klaus Ernst folgt Sahra Wagenknecht: "Wir wollen die Leute, die aus Frust und Verzweiflung wählen"

Der Bayer Klaus Ernst war Mitbegründer der Linken. Nun ist er gemeinsam mit Sahra Wagenknecht und anderen aus der Partei ausgetreten.
Natalie Kettinger
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Verabschiedeten sich gemeinsam von der Linkspartei: Klaus Ernst (vorn) und Sahra Wagenknecht.
Verabschiedeten sich gemeinsam von der Linkspartei: Klaus Ernst (vorn) und Sahra Wagenknecht. © dpa / Kay Nietfeld

München - Klaus Ernst (68) aus Schweinfurt war Mitbegründer der WASG sowie der Linken und von 2010 bis 2012 deren Vorsitzender. Nun ist der Bundestagsabgeordnete gemeinsam mit Sahra Wagenknecht und acht weiteren aus der Partei ausgetreten, um eine neue zu gründen. Die AZ hat mit ihm darüber gesprochen.

AZ: Herr Ernst, Sie haben die Linke 2007 mitgegründet. Warum verlassen Sie und andere die Partei nun, um zum Bündnis Sahra Wagenknecht, kurz BSW, zu wechseln – und stürzen die Linke damit womöglich in den Abgrund?
KLAUS ERNST: Das tut mir natürlich in der Seele weh, diese Partei und die Vorgängerin WASG habe ich mitgegründet. Aber von den Zielen hat sich die Partei immer mehr entfernt.

Klaus Ernst: "Viele Leute teilen den Weg, den Die Linke geht, nicht mehr"

Welche waren das?
Wir wollten den abhängig Beschäftigten, den Rentnerinnen und Rentnern, den sogenannten kleinen Leuten, wieder eine Stimme im Parlament geben – zu einer Zeit, als sich die Sozialdemokraten und die Grünen in Richtung einer neoliberalen Politik entwickelt haben: mit den Hartz-Gesetzen, der Teilprivatisierung der Rente, den zehn Euro Arztgebühren und einer Steuerpolitik, bei der Hundebesitzer plötzlich stärker besteuert wurden als Kapitalgesellschaften.

"Der Kurs, den diese Partei eingeschlagen hat, ist der von Lifestyle-Linken. Und am Wahlergebnis sieht man, dass viele Leute den Weg, den die Linke geht, nicht mehr teilen", sagt Klaus Ernst im Interview mit der AZ.
"Der Kurs, den diese Partei eingeschlagen hat, ist der von Lifestyle-Linken. Und am Wahlergebnis sieht man, dass viele Leute den Weg, den die Linke geht, nicht mehr teilen", sagt Klaus Ernst im Interview mit der AZ. © imago

Und heute?
Heute organisiert die Linke Proteste gegen die Automobilausstellung in München, die sich ja auch gegen die Beschäftigten richten, die durchaus dafür sind, dass ihre Produkte verkauft werden, oder Solidarität mit den Klimaklebern. Der Parteivorstand hat eine Politik nach vorne geschoben, die grüner ist als die Grünen – ohne dabei die Auswirkungen auf die normalen Leute zu berücksichtigen. Das betrifft auch unbegrenzte Zuwanderung, die diese Partei befürwortet, aber die immer mehr Menschen ablehnen. Schauen Sie, was gerade in Bayern vorgefallen ist: Da verfolgt die Polizei einen Bus, bei dem sie vermutet, dass Schleuser darin mit Geflüchteten unterwegs sind. Dieser Bus verunfallt, sieben Menschen sterben – und die Linke in Bayern macht dann die Polizei dafür verantwortlich. Das geht nicht! Der Kurs, den diese Partei eingeschlagen hat, ist der von Lifestyle-Linken. Und am Wahlergebnis sieht man, dass viele Leute den Weg, den die Linke geht, nicht mehr teilen.

"Uns geht ja um den Mittelstand, der durch die Politik der Ampel massiv bedroht ist"

Sie sprechen von den "kleinen Leuten". Sahra Wagenknecht ist gut betucht, Schatzmeister Ralph Suikat ist Multi-Millionär. Wie glaubhaft können sich diese beiden denn für die Belange dieser Menschen einsetzen?
Wenn sich jemand für den Tierschutz einsetzt, muss er doch auch nicht automatisch eine gequälte Katze zuhause haben – kann trotzdem glaubwürdig sein. Und Ralph Suikat gehört ja zu der Truppe von Millionären, die von sich aus gefordert haben, dass sie höher besteuert werden, weil sie die Steuerpolitik als ungerecht empfinden. Gleichzeitig hat er sich schon immer für soziale Projekte engagiert. Er passt also sehr gut zu uns. Außerdem geht es uns ja auch um den Mittelstand, der durch die Politik der Ampel massiv bedroht ist.

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Massiv bedroht sind aktuell auch die Jobs von mehr als 100 Mitarbeitern der Bundestagsfraktion – nämlich dann, wenn diese ihren Fraktionsstatus verliert. Sind Ihnen diese Menschen egal?
Keineswegs! Deswegen wollen wir die Fraktion ja so lange es geht erhalten. Das ist so lange möglich, wie wir nicht gegeneinander antreten – genau wie bei CDU und CSU. In unserem Fall also bis Januar. Denn dann ist zu erwarten, dass wir zur Europawahl in Konkurrenz zur Linken antreten. Damit wäre der Verbleib der Mitarbeiter für einen längeren Zeitraum gesichert. Wenn wir dann getrennte Wege gehen und uns der Fraktionsstatus aberkannt wird, würden wir den Gruppenstatus beantragen. Dann hätten wir zwar nicht mehr dieselben Rechte wie als Fraktion und auch nicht mehr so viele Mitarbeiter, aber ein erheblicher Teil hätte die Möglichkeit, weiterbeschäftigt zu werden.

Neue Partei von Sahra Wagenknecht: "Es gehen bereits erste Spenden ein"

Die direkt gewählten Linken-Abgeordneten Gesine Lötzsch, Sören Pellmann und Gregor Gysi haben Sie aufgefordert, Ihre Mandate zurückzugeben – schließlich sitzen Sie nur aufgrund dieser drei im Bundestag, weil die Linke es nicht über die Fünf-Prozent-Hürde geschafft hat. Warum tun Sie das nicht?
Gewählt ist im politischen System der Bundesrepublik nicht die Partei, sondern der einzelne Abgeordnete. Er erhält ein Mandat. Als Schweinfurter stehen die Menschen für mich im Mittelpunkt, die Industriearbeit als ihr Leben betrachten mussten, die Rentnerinnen und Rentner und deren Kinder. Die erwarten von mir, dass ich mich weiterhin im Bundestag für sie einsetze, auch wenn ich nicht mehr bei den Linken bin. Insofern habe ich nicht das geringste Motiv, mein Mandat niederzulegen, und werde es auch keinesfalls tun.

Mit "Aufstehen" ist schon einmal eine Wagenknecht-Bewegung gescheitert. Warum sollte es diesmal anders sein?
Ich war damals nicht dabei. Aber es sollte ja eine Bewegung von unten sein und es ist immer schwer, wenn man oben ist und eine Bewegung von unten organisieren will. Jetzt ist es anders: Wir haben einen Verein gegründet, der die Vorbereitung der Partei auf dem Schirm hat – und es gehen bereits erste Spenden ein.

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Sie wollen "kontrolliert wachsen". Was bedeutet das?
Wir wollen nicht alle, die sich an uns wenden, ungeprüft in die Partei integrieren, sondern erst einmal sehen, ob sie mit unserer Satzung und den Gründungsdokumenten einverstanden sind. Sonst passen sie nämlich nicht zu uns.

Wird Oskar Lafontaine das Bündnis Sahra Wagenknecht unterstützen?

Haben Sie Angst vor Applaus von der falschen Seite? Etwa vor Rechten oder Menschen, die eine kleine Partei als persönlichen Karriere-Booster sehen?
Es gibt einige, die ziemlich verrückt unterwegs sind in diesem Land. Bei der WASG kamen Leute zu uns, die auf dem totalen Ego-Trip waren und nur eine Plattform gesucht haben, wo sie andocken können, um relativ abstruse Ideen zu verbreiten. Am Anfang ist da jede kleine Partei gefährdet. Deswegen wollen wir Vorkehrungen treffen.

Wird Oskar Lafontaine eine Rolle beim BSW spielen?
Ich gehe davon aus, dass er Sahra natürlich moralisch unterstützt – aber dass er eine Funktion in der Partei anstrebt, glaube ich eher nicht.

Zu Ihren bislang bekannten Positionen: Ist es wirklich klug, in Zeiten wie diesen zu fordern, die Abhängigkeit von Russland auf dem Energiesektor wieder zu erhöhen, indem man die Sanktionen beendet?
Die Sanktionen wirken nicht gegen Russland, sondern gegen uns. Den Russen ist in diesem Jahr ein Wirtschaftswachstum prognostiziert, uns eine Rezession. Das hängt mit den Sanktionen zusammen, die zu massiven Preiserhöhungen geführt haben – und dazu, dass wir jetzt von den Amerikanern abhängig sind wie vorher von den Russen und unser Gas teils drei Mal so teuer beziehen, wie es in den USA zu haben ist. Deshalb haben wir bei der energieintensiven Produktion aktuell einen Einbruch von 20 Prozent zu verzeichnen. Das ist gewaltig. Sahra hat recht, wenn sie von der dümmsten Regierung spricht, die wir je hatten. Die Sanktionen aufzuheben ist ein Gebot des eigenen Interesses. Sie haben den Krieg nicht verhindert und werden ihn auch nicht beenden.

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Sie wenden sich außerdem gegen Waffenlieferungen an die Ukraine und fordern Verhandlungen mit Russland. Kremlchef Wladimir Putin will aber gar nicht verhandeln.
Das stimmt nicht. Er hat zum Beispiel mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan über Weizenlieferungen verhandelt. Die Ukrainer haben folgende Botschaft: Erst sollen sich die Russen zurückziehen, dann wird verhandelt. Das machen die aber nicht. Trotzdem muss verhandelt werden, und zwar auf folgender Basis: Erstmal braucht es einen Waffenstillstand an den jetzigen Frontlinien. Davon ausgehend muss über eine Friedensordnung verhandelt werden, die die Interessen der Ukrainer genauso wie die Interessen der Russen berücksichtigt. Sonst wird es keinen Frieden geben.

Aber die Interessen der Ukraine und Russlands sind diametral entgegengesetzt.
Nicht unbedingt. Die normalen Menschen in der Ukraine wollen Frieden. Die wollen sich nicht zusammenschießen lassen. Und auch die russischen Soldaten wollen sich nicht umbringen lassen. Diejenigen, die lautstark die Fortsetzung des Krieges fordern, sind immer jene, die selber nicht hingehen müssen.

Zusammenarbeit mit der Wagenknecht-Partei? "AfD wird als einzige Protestpartei wahrgenommen"

Zurück nach Deutschland: Frau Wagenknecht wirbt offen um AfD-Wähler – wird Ihre Partei auch eines Tages mit der AfD koalieren?
Nie im Leben! Auch jede Zusammenarbeit mit der AfD kann ich ausschließen. Aber: Wir haben momentan sehr viele Bürger, die nicht mehr einverstanden sind mit einer Klimapolitik, bei der man den Eindruck hat, sie ist nicht durchdacht: zum Beispiel beim Gebäudeenergiegesetz, dem Verbot des Verbrenners, zu dem es Alternativen gäbe, dem Versuch, den Bürgern vorzuschreiben, wie sie zu essen haben, oder einer Verkehrspolitik, die das Auto als Feind betrachtet. Die AfD wird bisher als einzige Protestpartei dazu wahrgenommen, auch wenn ich viele ihrer Punkte unerträglich finde. Die AfD ist im Kern eine rechtsradikale Partei. Aber diejenigen, die sie aus Frust oder Verzweiflung wählen, sind keine Rechtsradikalen. Selbstverständlich wollen wir diese Leute. Am Montag gab es eine Umfrage, nach der unsere Partei auf Anhieb auf zwölf Prozent käme – und die AfD hätte auf einen Schlag fünf Prozentpunkte verloren. Ein durchaus willkommener Effekt.

Wird es auch einen bayerischen Landesverband Ihrer neuen Partei geben?
Selbstverständlich bereiten wir das vor.

Und warum sollten Sie mehr Zuspruch erhalten als die Linke, die es im Freistaat ja traditionell schwer hat?
Weil wir die Interessen der normalen Leute vertreten und nicht die Interessen der Klimakleber.

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17 Kommentare
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  • SL am 25.10.2023 16:25 Uhr / Bewertung:

    Klaus Ernst - ist das nicht der Porsche-Fahrer welcher neben seinen Abgeordneten-Diäten ein zusätzliches Gehalt als Partei-Vize kassiert? Also ein Doppel-Gehalts-Bezieher. Aber ich weiß er setzt sich sehr für Rentner, Arbeitnehmer und gegen Altersarmut ein.

  • Geradeaus-Denker am 26.10.2023 18:55 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von SL

    Da passt er doch zu Frau Wagenknecht. Im Wohlstand Leben und anderen vom sozialen Ausgleich erzählen. So, wie sich Trump für den kleinen Mann einsetzt.

  • Der wahre tscharlie am 25.10.2023 14:49 Uhr / Bewertung:

    Ich muß gestehen, so verzweifelt bin ich doch nicht, dass ich Sahras Partei wählen würde.

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