Keine Zeit der Wunder: Impfgipfel-Teilnehmer beschwören Geduldsprobe

Unzufriedenheit und Ungeduld dominierten zuletzt die Sicht auf die größte Impfaktion der Republik - ein "Impfgipfel" musste her. Hersteller und Politik zeigen sich aber entschlossen, die Engpässe abzumildern. Reicht das?
Basil Wegener, Sascha Meyer und Jörg Ratzsch, dpa |
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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU, l), spricht neben Markus Söder (r) bei der Pressekonferenz nach dem "Impfgipfel".
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU, l), spricht neben Markus Söder (r) bei der Pressekonferenz nach dem "Impfgipfel". © dpa/Hannibal Hanschke (Reuters-Pool)

Berlin - "Wunder werden da jetzt nicht passieren", sagt Bundeskanzlerin Angela Merkel am Ende, in ihrer unnachahmlich nüchternen Art. Mehr als fünf Stunden hat die Kanzlerin da mit den Ministerpräsidenten und der Pharmaindustrie übers Impfen gesprochen. Es könnte, mag mancher insgeheim vorher gedacht haben, alles viel einfacher sein und schneller gehen, wenn doch nur alle an einem Strang ziehen und der Massenimpfung den ersehnten Schub geben wollen.

Unsichere Liefertermine für den knappen Impfstoff, dauerbesetzte Termin-Hotlines und leerstehende Impfzentren sorgen nämlich seit Wochen für Zoff. Die Bundestagswahl im September rückt auch näher. Die SPD warf Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) jedenfalls schon vor Tagen vor, beim Impfen lange eher Dienst nach Vorschrift gemacht zu haben.

Jetzt ist der "Impfgipfel" vorbei, und Berlins Regierender Bürgermeister, Michael Müller (SPD), muss einräumen: "Es bleiben angespannte Wochen, die vor uns liegen." Beeindruckt haben die Politiker wohl vor allem die Ausführungen der Hersteller, die für die umfangreichste Impfaktion der Republik aufs Tempo drücken - und doch nicht zu viel versprechen wollen.

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Der Impfstoff-Nachschub

Einen konkreten Impfplan hatten mehrere Länder gefordert, so dass klar werde, welche Lieferungen wann geplant sind. Doch Spahns Ministerium bremste schon vorher allzu forsche Forderungen schriftlich aus: "Obwohl das Bundesgesundheitsministerium eine längerfristige Planbarkeit regelmäßig anmahnt, sehen sich die Hersteller nicht in der Lage, diese aktuell zu gewährleisten". Denn die Firmen lieferten einfach direkt aus - gleich nach Produktion, Qualitätsprüfung und Chargenfreigabe.

In der Runde gibt Sierk Poetting von der Biontech-Führung den Ministerpräsidenten dem Vernehmen nach zu verstehen, dass auch mehr Staatsgeld nicht zu mehr Impfdosen geführt hätte: "Mit mehr Geld draufwerfen, wäre wohl nicht viel mehr rausgekommen. Die Produktion hätte man nicht viel früher viel mehr hochfahren können." Der bayerische Regierungschef Markus Söder (CSU) meint, die Geduld der Menschen sei gefordert: "Deshalb werden wir das nicht mit der Stechuhr und der Stoppuhr machen können." Von den nun 3,5 Millionen an die Länder gegangene Dosen wurden 2,2 Millionen gespritzt.

Die Rolle der Impfstoff-Hersteller

Hoffnung auf mehr Impfstoff brachte bisher etwa ein vor dem Start befindliches Biontech-Werk in Marburg und eine Kooperation, bei der der Pharmakonzern Sanofi ab Sommer mehr als 125 Millionen Biontech-Dosen liefern will. Doch zuletzt häuften sich schlechte Nachrichten: Erst kündigten Biontech und sein US-Partner Pfizer vorübergehend eine schmalere Lieferungen an, dann enttäuschten Astrazenecas Ankündigungen die EU-Kommission. Nun sollen es aber doch die Hälfte von 80 Millionen Astrazeneca-Dosen im ersten Quartal sein.

Kurz vor dem Gipfel dann plötzlich gute Nachrichten: Biontech kann im zweiten Quartal möglicherweise bis zu 75 Millionen zusätzliche Dosen liefern. Und der Pharmariese Bayer und der Tübinger Hersteller Curevac wollen Millionen Dosen des noch nicht zugelassenen Curevac-Vakzins herstellen. Allerdings betont Spahn: "Eine Impfstoff-Produktion lässt sich nicht in vier Wochen mal eben aufbauen." Richtig anlaufen soll die Bayer-Curevac-Produktion 2022.

Der Impf-Zeitplan

Bis Mitte Februar sollen alle Pflegeheimbewohner ein Impfangebot erhalten, bis Ende März alle Über-80-Jährigen - bis Ende des Sommers dann alle. So hatte es bisher bereits geheißen. So bekräftigt es Merkel auch jetzt. Denn schon mit den drei bisgher zugelassenen Impfstoffen könne 73 Millionen Menschen ein Impfangebot gemacht werden - mit weiteren Zulassungen würden es mehr Dosen.

96,7 Millionen Impfdosen sollen vom Start der Impfkampagne bis zum Ende des ersten Halbjahres geliefert werden - nach einer von Spahns Beamten auf Basis der Herstellerangaben vorgenommenen Schätzung. Im dritten Quartal sollen 126,6 Millionen Dosen folgen - und im vierten 100,2 Millionen Dosen. Den Großteil sollen bis zum Ende des Sommers Biontech/Pfizer liefern. Weitere Produktion ist vorgesehen - nötig auch wegen vielleicht gebotener Auffrischungen des Impfschutzes und wegen dem Bedarf an veränderten Impfstoffe gegen Virusvarianten.

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Die Impforganisation

Die Impfungen vor Ort laufen in der Regie der Länder. In den rund 400 regionalen Impfzentren herrscht noch kein Hochbetrieb. Terminbuchungen werden erst nach und nach angeboten. Bei Impfwilligen gibt es oft Frust, weil viele bei Telefon-Hotlines nicht durchkommen. Regelmäßig hört man Hinweise wie "Aktuell kein Impfstoff mehr verfügbar - derzeit keine weiteren Impftermine buchbar". Pragmatisch zeigt sich das Saarland - mit gemeinsamen Termin für mehrere Impfwillige. In den nächsten Monaten kommt aber der Moment, in der es soviel Impfstoff gibt, dass er auch in den Hausarztpraxen verimpft werden kann.

Die deutsche Corona-Impflage im Vergleich

In Israel, Großbritannien und den USA wurden bisher mehr Menschen pro Einwohner geimpft als in Deutschland. In den EU-Staaten gibt es weniger große Unterschiede. Weltweit sind die Impfungen ungleich verteilt. Laut Weltgesundheitsorganisation WHO wurden bisher rund drei Viertel der Dosen in nur zehn Ländern gespritzt. WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus mahnt, es sei nicht richtig, wenn jüngere Erwachsene in reichen Ländern noch vor den Älteren und dem Gesundheitspersonal in den armen Ländern geimpft würden. Experten warnen auch vor Rückschlägen in der Pandemie durch Impfnationalismus: Gegen die Impfstoffe resistente Virusmutationen könnten vor allem in den Ländern entstehen, wo wenig geimpft wird.

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