Erste Bäume fallen für Bahnprojekt Stuttgart 21

Trillerpfeifen und wütende Bürger, aber kein Wasserwerfereinsatz: Nach der Eskalation der Gewalt bei Protesten gegen das Milliardenprojekt Stuttgart 21 ist es in der Nacht zum Freitag weitgehend friedlich geblieben – trotz gefällter Bäume.
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Bauarbeiter beginnen mit den ersten Rodungen im Stuttgarter Schloßpark
dpa Bauarbeiter beginnen mit den ersten Rodungen im Stuttgarter Schloßpark

StUTTGART - Trillerpfeifen und wütende Bürger, aber kein Wasserwerfereinsatz: Nach der Eskalation der Gewalt bei Protesten gegen das Milliardenprojekt Stuttgart 21 ist es in der Nacht zum Freitag weitgehend friedlich geblieben – trotz gefällter Bäume.

Begleitet von lautstarken und heftigen, aber friedlichen Protesten sind am Freitagmorgen die ersten Bäume für das Bahnprojekt Stuttgart 21 gefallen. Mehrere tausend Demonstranten machten stundenlang mit Trillerpfeifen und Sprechchören ihrem Unmut Luft. Doch die rund 1000 Polizisten sperrten das Areal hinter einem Zaun ab und die Arbeiten – das Abholzen der ersten von rund 300 Bäumen – begannen planmäßig am 1. Oktober.

Diese werden im Schlossgarten in der Stuttgarter Innenstadt gefällt, um mit den Tiefbauarbeiten für die Verlegung des Hauptbahnhofs zu beginnen. Die Gegner wollen jedoch nicht aufgeben: „Der Kampf ist bei weitem nicht vorbei“, sagte Matthias von Herrmann von den Parkschützern, die unter anderem mit Baumbesetzungen das Fällen hatten verhindern wollen.

Gegen 1.00 Uhr rollten Bagger mit Sägen hinter den Kordon aus behelmten Polizisten und fällten und schredderten anschließend innerhalb kürzester Zeit einen Gutteil der rund 25 Bäume, die zunächst fallen sollen. Die Parkschützer hatten zuvor erklärt, sie wüssten von einem Baumfäll-Stopp, den das Eisenbahnbundesamt verfügt habe.

 Anders als am Donnerstagnachmittag kam es nicht zu einer offenen Eskalation der Gewalt. Die Polizei setzte keine Wasserwerfer ein, allerdings warfen einige Demonstranten Gegenstände und Farbbeutel in Richtung der Arbeiter und Beamten. „Es gab keine Verletzten“, sagte ein Polizeisprecher. Ganz im Gegensatz zum Donnerstagnachmittag, als die bisher friedlichen Proteste in offene Gewalt umgeschlagen waren.

Baden-Württembergs Innenminister Heribert Rech (CDU) hatte die Schuld eindeutig den Anti-Stuttgart-21-Aktivisten gegeben. Die Polizei sei entsetzt gewesen über die Aggressivität, die ihr entgegenschlug, sagte Rech im SWR-Fernsehen. Dem widersprach der Grünen-Landtagsabgeordnete Werner Wölfle energisch: „Die einzige Tat der Demonstranten war, dass sie den Park nicht geräumt haben.“ Auch SPD und Gewerkschaften zeigten sich entsetzt über das harte Vorgehen der Polizei.

 Am Nachmittag hatten über 400 Demonstranten im Schlossgarten Augenreizungen erlitten, einige trugen Platzwunden und Nasenbrüche davon, teilte das Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 mit. Die Aktivisten hatten versucht, die Räumung des Parks mit Sitzblockaden zu verhindern. Die Polizei zählte mehrere verletzte Beamte und 116 verletzte Protestierer, von denen 10 im Krankenhaus behandelt worden seien.

Demonstranten berichteten von einem harten Vorgehen der Polizei. Vor allem der Einsatz gegen eine Schülerdemonstration machte sie wütend. Rech nannte den Einsatz seiner Beamten verhältnismäßig. Die angemeldete Demonstration habe nicht den Verlauf genommen wie erwartet und sei in Gewalt ausgeartet.

Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, verteidigte den Einsatz als „nicht nur rechtmäßig, sondern auch vollkommen angemessen“. Der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ (Freitag) sagte er: „Wo ein Abdrängen von Demonstranten nicht mehr möglich sei, darf und muss unmittelbarer Zwang durch Wasserwerfer, Reizgas oder Schlagstöcke eingesetzt werden.“

Die Grünen und die Linkspartei kritisierten auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wegen der Gewalteskalation. Sie habe die „rücksichtslose Durchsetzung von Stuttgart 21 ohne Not öffentlich zur Chefsache erklärt“, hieß es von der Linken. Damit habe sie Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) und die Polizeiverantwortlichen zu einem „überharten Vorgehen“ ermuntert.

Der Polizeieinsatz wird an diesem Freitag ein Nachspiel im Bundestag haben. Die Linke-Fraktion hatte eine Sondersitzung des Innenausschusses beantragt. Der Bund für Umwelt und Naturschutz will die weiteren Baumfällarbeiten mit einer einstweiligen Anordnung stoppen lassen. Ein entsprechender Antrag ging am Donnerstag beim Verwaltungsgericht Stuttgart ein und wird geprüft, wie eine Gerichtssprecherin bestätigte.

Das Projekt Stuttgart 21 sieht den Umbau des Kopfbahnhofs in eine unterirdische Durchgangsstation und deren Anbindung an die geplante ICE-Neubaustrecke nach Ulm vor. Die Bahn rechnet mit Gesamtkosten von sieben Milliarden Euro. Kritiker befürchten eine Kostensteigerung auf bis zu 18,7 Milliarden Euro.

dpa

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