Ein Stoppschild für die Uni-Maut

Die Kritiker der Studiengebühren fühlen sich beflügelt: Jedes Studium zum (vermeintlichen) Nulltarif übt Druck auf benachbarte Bundesländer aus. Das jetzt umgefallene, zentral gelegene Hessen ist ein wichtiger Dominostein.
Nach der Abschaffung der Studiengebühren in Hessen mehren sich die Stimmen für einen bundesweiten Stopp der Uni-Maut. SPD, Linkspartei und Studentenorganisationen riefen die sechs Länder, die neben Hessen noch Gebühren erheben, am Mittwoch zu einem Verzicht auf. Dagegen bedauerten Wirtschaftsvertreter die Entscheidung des Wiesbadener Landtags. «Eine gute Bildung darf nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen», sagte die SPD-Bildungspolitikerin Eva-Maria Stange in Berlin. Hessen sei hier mit gutem Beispiel vorangegangen. «Die Campus-Maut gehört bundesweit abgeschafft», erklärte auch die bildungspolitische Sprecherin der Linkspartei im Bundestag, Nele Hirsch. Sie rief die Studenten in den betroffenen Bundesländern zu einer Fortsetzung ihrer Proteste gegen Studiengebühren auf.
Der studentische Dachverband FZS erklärte in Berlin, eine Abschaffung der Studiengebühren sei überfällig. Notwendig sei eine ausreichende öffentliche Finanzierung der Hochschulen. Der Präsident des Deutschen Studentenwerks, Rolf Dobischat, kritisierte, wenig finanzkräftige Studierende müssten sich angesichts von Studiengebühren verschulden oder erwerbstätig sein. Von einem großen Erfolg für die Studierenden und alle Gebührengegner sprach das bundesweite Aktionsbündnis gegen Studiengebühren nach der hessischen Entscheidung. Eine andere Bildungspolitik in ganz Deutschland sei möglich, sagte Andre Schnepper, Sprecher des Aktionsbündnisses in Münster: «Wir freuen uns, dass die verfassungswidrigen Gebühren auf politischem Weg zurückgenommen worden sind.» Die Entscheidung des Landtags zeige, dass es Alternativen zu Studiengebühren gebe.
«Qualität der Lehre wird zerstört»
Die Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände (VhU) kritisierte, der Landtag versuche, ein vermeintliches soziales Übel zu beseitigen und zerstöre mit den Studiengebühren das entscheidende Instrument zur Sicherung der Qualität der Lehre. Auch die Arbeitsgemeinschaft der hessischen Industrie- und Handelskammern bezeichnete die Abschaffung der Uni-Maut als herben Rückschlag für die Hochschulen. Das hessische Bildungssystem sei bereits jetzt massiv unterfinanziert. SPD, Grüne und Linkspartei hatten am Dienstagabend die zum Wintersemester 2007/08 in Hessen eingeführten Studiengebühren von 500 Euro pro Semester wieder abgeschafft. Der Einnahmeausfall wird den Hochschulen aus dem Landeshaushalt ersetzt. Die Abschaffung, die zum kommenden Wintersemester greift, erstreckt sich auch auf die Langzeitstudiengebühren, die bei einer deutlichen Überschreitung der Regelstudienzeit fällig werden. Am 11. Juni wird auch der hessische Staatsgerichtshof sein Urteil zu den Studiengebühren verkünden. Sollte das von der CDU-Landesregierung eingeführte Studiengebührengesetz für verfassungswidrig erklärt werden, müsste Hessen rund 90 Millionen Euro an die Studenten zurückzahlen. Dieser Betrag ist seit Einführung der Gebührenpflicht an die Hochschulen geflossen.
Wo Studierende zahlen müssen
Ab dem ersten Semester zahlen müssen bislang Studierende in Bayern, Baden-Württemberg, dem Saarland, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Hamburg und Hessen. In allen diesen Ländern hatten unionsgeführte Landesregierungen die Einführung allgemeiner Studiengebühren beschlossen. In Hamburg und Hessen änderte sich die Sachlage allerdings nach den Landtagswahlen Anfang 2008, die die Mehrheitsverhältnisse in den Ländern zugunsten von Gebührengegnern änderten. In Hamburg sitzen nun die Grünen mit in der Regierung. Dort wurden die Gebühren zwar nicht abgeschafft, aber man einigte sich als Kompromiss auf nachlaufende Gebühren: Ab dem Wintersemester 2008/09 müssen Absolventen nach dem Studium und ab einem Einkommen von 30.000 Euro pro Jahr nachträglich für jedes Semester eine Gebühr von 375 Euro zahlen. Hessen dagegen wird ab dem kommenden Wintersemester «gebührenfreier» sein als Rheinland-Pfalz, wo Studierende nach Überschreiten der 1,75-fachen Regelstudienzeit zahlen müssen. Außerdem hat das Land eine bisher nicht umgesetzte «Landeskinderregelung» entwickelt, um sich vor Gebührenflüchtlingen aus anderen Ländern zu schützen: Dabei sollen Studierende, die ihren Erstwohnsitz nicht in Rheinland-Pfalz haben, zahlen müssen, «Landeskinder» aber nicht. Bisher hat Rheinland-Pfalz diese Regelung, die von Kritikern als verfassungswidrig eingestuft wird, nicht mit einer Rechtsverordnung umgesetzt und verweist dabei auf den Hochschulpakt, der zusätzliches Geld in die Landeskasse spüle.
Umstrittene Regelung für «Landeskinder«
Tatsächlicher Grund dürften aber die Erfahrungen Bremens mit einem ähnlichen Modell sein: Dort müssen theoretisch Landeskinder erst ab dem 15. Semester Gebühren in Höhe von 500 Euro pro Semester zahlen, während Studierende, die außerhalb des Bundeslandes wohnen, bereits nach zwei Semestern zur Kasse gebeten werden. Nach einem Eilentscheid des Bremer Verwaltungsgerichts wurde diese Regelung allerdings außer Vollzug gesetzt. Das Gericht, das das Modell als grundgesetzwidrig einstuft, hat den Fall inzwischen wegen der grundsätzlichen Bedeutung ans Bundesverfassungsgericht verwiesen. Weitgehend gebührenfrei, also auch ohne Gebühren für Langzeitstudierende, ist das Erststudium bisher nach einer Übersicht des Deutschen Studentenwerks in Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Schleswig-Holstein und demnächst wieder Hessen. Allerdings verlangen diese Länder teilweise andere Gebühren, etwa für Zweitstudien oder zusätzliche Verwaltungsgebühren. Gebühren ab einer bestimmten Semesterzahl fordern außer Rheinland-Pfalz und Bremen Sachsen-Anhalt und Thüringen.
Klage in Karlsruhe
Bleibt abzuwarten, wie sich nun die Lage in den anderen Bundesländern entwickelt. Sachsen und Sachsen-Anhalt etwa gehörten zu den sechs Bundesländern, die mit ihrer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht erreicht hatten, dass das Gebührenverbot im Hochschulrahmengesetz nichtig und somit der Weg für allgemeine Studiengebühren frei wurde. In beiden Ländern regieren allerdings Bündnisse aus Union und SPD, so dass bisher keine Studiengebühren eingeführt wurden. Umgekehrt könnte sich auch in den bisherigen Gebührenländern die Sachlage ändern, sollten dort wieder SPD, Grüne oder gar die Linkspartei an die Macht kommen. (AP/dpa)