Die Unheimlichen: Freibeuter auf Erfolgswelle

Manche Piraten fürchten sich vor Verantwortung und ahnen, dass sie sich zu neuen Themen schlau machen müssen. Übernehmen sie in Bayern eine Schlüsselrolle?  
von  Matthias Maus

Manche Piraten fürchten sich vor Verantwortung und ahnen, dass sie sich zu neuen Themen schlau machen müssen. Übernehmen sie in Bayern eine Schlüsselrolle?

MÜNCHEN - Nein, das hätte er sich nicht träumen lassen. „Zwölf Prozent!“, sagt Stefan Körner. „Als ich vor fast drei Jahren zu den Piraten gekommen bin, da waren solche Umfragewerte unvorstellbar.“ Jetzt sind sie real. Und die Partei, die mit diesen Zahlen 70 Abgeordnete in den Bundestag schicken würde, wird sich selbst unheimlich. In Bayern könnte sie 2013 eine Schlüsselrolle übernehmen.

Ganz erklären kann sich Körner, Landeschef der Bayern-Piraten, den Höhenflug nach den Saarland-Wahlen (7,4 Prozent) auch nicht. „Anscheinend reicht es den Wählern, dass wir Politik anders machen“, sagt der IT-Entwickler. Nicht alle sehen das so locker wie der Mann aus der Oberpfalz. Marina Weisband, bundespolitische Piraten-Geschäftsführerin, sagt: „Wir haben das Geld einer 0,2-Prozent-Partei, Programm und Struktur einer 2-Prozent-Partei – aber an uns werden die Erwartungen einer 12-Prozent-Partei gestellt.“ Parteichef Sebastian Netz fordert inhaltliche Konzepte. „Wir müssen jetzt grundsätzliche Positionen auch zu neuen Themen verabschieden.“

Keinen Tag zu früh. Zu Themen wie Euro-Krise, Afghanistan oder Gesundheitsreform haben die Piraten sechs Jahre nach ihrer Gründung noch keine Positionen. Ahnungsfreie Auftritte in Talkshows, als Pirat Christoph Lauer den Mainzer Ministerpräsidenten Kurt Beck zur Weißglut brachte („Sie haben doch keine Ahnung, wovon Sie reden!“), unterstreichen den Eindruck: Die Piraten kokettieren mit ihrer Unwissenheit – und haben Erfolg damit: „Anscheinend trauen uns die Leute zu, dass wir im richtigen Moment die richtigen Themen behandeln“, sagt Freistaats-Freibeuter Körner zur AZ.

Die richtigen Themen. Das sind vor allem Schlagworte: totale Netzfreiheit, Bürgerrechte. Transparenz politischer Entscheidungsprozesse – klingt alles einfach und problemlos. Und ach ja, das „BGE“ nicht zu vergessen: das „Bedingungslose Grundeinkommen“, das wird besonders gelobt in den Kommentaren der „Netzgemeinde“. Pirat Körner drückt auf die Utopie-Bremse. „Der Landesparteitag hat das bedingungslose Grundeinkommen für Bayern abgelehnt“, sagt der 43-Jährige, „Wir wollen eine negative Einkommenssteuer.“ Klingt auch gut, läuft auch auf Geld für alle raus, nur: Woher soll’s kommen? Macht das nicht eine gewaltige Umverteilung nötig?

„Ja“, sagt Körner. Und wie soll die aussehen? „Ich habe keine genauen Zahlen“, sagt Körner, „und das muss ich auch nicht. Ich bin in der charmanten Lage, den alten Parteien sagen zu können: Das, was ihr macht, ist falsch“. Selbstbewusstsein mit einem Hauch Überheblichkeit und Weltfremdheit, man findet sie nicht nur in den Foren und Online-Kommentaren. Die Attacken auf das Urheberrecht, die Musiker, Schriftsteller und Drehbuchautoren um ihre Einkommen fürchten lassen, fahren die Piraten nicht mehr so forsch: „Wir wollen das Urheberrecht nicht abschaffen“, sagt Körner: „Wir wollen es nur reformieren, die Musiker sollen auch leben.“ Nur nach welchem Modell, das ist noch unklar.

In Bayern könnte sich Körner eine Tolerierung einer Koalition aus SPD, Grünen und Freien Wähler vorstellen: „Aber da winken die anderen ja ab.“ Tatsächlich sagt Frei-Wähler Chef Hubert Aiwanger: „Ich mache mich nicht abhängig von jemanden, der für Drogenfreigabe ist.“ Der Piraten-Hype geht weiter: „Eine Volkspartei im Mini-Format“ sieht Forsa-Demoskop Manfred Güllner. Es gehe nicht mehr nur um Internet, es gehe auch um Politik-Verdrossenheit.

Manchen ist der Erfolg zu viel: „Wenn wir Volkspartei werden, bin ich weg“, sagt Oliver Höfinghoff. Höchstens „in kleinen Dosen“ sei Realpolitik erträglich, sagt Höfinghoff, einer von 15 Piraten im Berliner Abgeordnetenhaus. Seit fünf Monaten sind sie da, kämpfen mit der Geschäftsordnung und mit persönlichen Streitereien. Die Piraten in der Mitte der Bevölkerung? Das mache sie „profillos, unglaubwürdig und austauschbar“ – wie die Altparteien.

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