Interview

"Die Lage ist sehr ernst": Top-Ökonom über Deutschlands Abstieg

Deutschland baut ab: Industrie, Stellen und Vertrauen in die Zukunft. Wie wird es 2026 weitergehen? Und welche Schuld trifft die CSU an der Misere? Ökonom Lars Feld analysiert die Lage.
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Bundeskanzler Friedrich Merz (r, CDU) wartet neben Lars Klingbeil (SPD), Bundesminister der Finanzen, auf den Beginn der Sitzung des Bundeskabinett im Kanzleramt.
Bundeskanzler Friedrich Merz (r, CDU) wartet neben Lars Klingbeil (SPD), Bundesminister der Finanzen, auf den Beginn der Sitzung des Bundeskabinett im Kanzleramt. © Michael Kappeler/dpa

Die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit Schwarz-Rot wird immer größer, und auch die Wirtschaft verliert das Vertrauen. Was kann man im kommenden Jahr noch erwarten? Ökonom Lars Feld spricht über Stellenabbau, die SPD als Klotz am Bein des Kanzlers und eine neue Planwirtschaft.


AZ: Herr Feld, beinahe täglich hören wir Meldungen über den Abbau von Hunderten Stellen bei namhaften Unternehmen in ganz Deutschland. Wann hört das auf?

LARS FELD: Derzeit ist kein Ende in Sicht. Wir haben in Deutschland eine Krise der Industrie. Die Industrieproduktion geht seit 2018 zurück, jetzt hat sich die Dynamik beschleunigt. Im Jahr 2025 sind voraussichtlich 150.000 Arbeitsplätze über alle Industriezweige hinweg verloren gegangen. Das ist schon eine Hausnummer, und es werden wohl noch mehr werden, weil sich freigesetzte Arbeitnehmer noch in Transfergesellschaften befinden.

Lars Feld sieht die Industrie in Deutschland in der Krise.
Lars Feld sieht die Industrie in Deutschland in der Krise. © Carsten Koall/dpa

Nun soll das neue Jahr nicht nur mit negativen Botschaften beginnen. Was macht Ihnen Hoffnung für 2026?

Die deutsche Volkswirtschaft hat immer noch eine gute Substanz. Der weitaus größte Teil der Unternehmen, auch solche, die im Moment Arbeitsplätze abbauen, hat Zukunftschancen. Der Grund, warum Bosch und die Autokonzerne wie VW und Mercedes Stellen streichen, hat ja damit zu tun, dass sie die Substanz erhalten wollen. Und wenn die Politik rechtzeitig reagiert und die Substanz durch bessere Rahmenbedingungen stärkt, dann kann es durchaus einen schnelleren Aufschwung geben. Dafür sind wichtige Signale essenziell, etwa durch tiefgreifende Reformen im Sozialbereich. Dann gäbe es wieder Investitionen und die Unternehmen würden die Entlassungen stoppen.

Warum ist Tempo so wichtig?

Weil die Unternehmen Investitionsentscheidungen heute fällen. Wird heute die neue Werkhalle in Polen gebaut, dann entstehen die Arbeitsplätze eben dort und nicht hierzulande. Wir zahlen jetzt den Preis für ausbleibende Investitionen aus der Zeit vor Corona.

Friedliche Protestkundgebung der IG Metall: Menschenkette mit einem Banner "Zukunft brennt" vor dem Osnabrücker VW-Werk im Dezember.
Friedliche Protestkundgebung der IG Metall: Menschenkette mit einem Banner "Zukunft brennt" vor dem Osnabrücker VW-Werk im Dezember. © IMAGO/Swaantje Hehmann

Der Präsident des Bundesverbands der Industrie, Peter Leibinger, spricht von der tiefsten Krise der Industrie seit Bestehen der Bundesrepublik und zeigt sich maßlos enttäuscht von der Leistung der schwarz-roten Koalition. Ist die Lage derart gravierend?

Ich bin vorsichtig mit Superlativen, aber dass die Lage sehr ernst ist, ist unbestritten so. Deshalb müssen die Reformen schnell kommen und sie müssen tiefgreifend sein. Denn die Kosten der Produktion in Deutschland sind zu hoch.

Bundeskanzler Friedrich Merz hat versprochen, dass es im neuen Jahr wirklich dazu kommt. Die Kommissionen zur Generalüberholung von Rente, Gesundheit und Pflege sind eingesetzt.

Ich bin leider nicht sehr zuversichtlich, dass der Umbau des Sozialstaats rasch gelingt. Ich nehme Merz ab, dass er dieses Ziel persönlich verfolgt, aber er hat ein Problem: die SPD. Die Partei lehnt im Herzen notwendige Einschnitte bei den Sozialsystemen ab und träumt von höheren Steuern für Unternehmen und Besserverdienende. Zudem gibt es Bremser auch bei der CDU. Merz müsste den Abgeordneten in seiner Koalition die Pistole auf die Brust setzen und sagen: "Das machen wir jetzt". Er muss mutiger agieren, sonst schwappt bei den Landtagswahlen nächstes Jahr die blaue Welle durch das Land.

"Die Grünen waren deutlich geschmeidiger"

Wir haben leicht reden. Der Kanzler ist im Parlament auf die Stimmen der Sozialdemokraten angewiesen...

Es war vor der Regierungsbildung absehbar, dass die SPD bremsen würde. Es war ein Fehler, dass die CDU vor der Wahl eine Koalition mit den Grünen ausschloss. Schon in der Ampel-Koalition waren die Grünen deutlich geschmeidiger als die SPD. Aufgrund des Drucks der CSU hat sich Merz nicht dazu durchringen können, die Option mit den Grünen offenzuhalten.

Während der Zeit der Ampel-Koalition hatte man immer den Eindruck, vor allem Grüne und FDP hätten sich bitter beharkt...

Beide haben eigentlich erst kurz vor der Bundestagswahl im Februar 2025 gemerkt, dass sie dahingehend einen Fehler gemacht haben. Beide. Nicht die Grünen waren das Problem für die FDP und die FDP nicht das Problem für die Grünen.

Keine Harmonie mehr: Der damalige FDP-Vorsitzende Christian Lindner antwortet im Dezember 2024 auf die Vertrauensfrage von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, M.). Im Hintergrund Robert Habeck (Grüne).
Keine Harmonie mehr: Der damalige FDP-Vorsitzende Christian Lindner antwortet im Dezember 2024 auf die Vertrauensfrage von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, M.). Im Hintergrund Robert Habeck (Grüne). © Michael Kappeler/dpa

SPD-Chef Lars Klingbeil ist doch bei Wirtschaftsthemen sehr pragmatisch unterwegs...

Er hat in seiner Fraktion für Maßnahmen, die jetzt erforderlich wären, nicht den nötigen Rückhalt. Ich will das auch gar nicht an Personen festmachen. Lars Klingbeil ist zwar kein überzeugter Finanzpolitiker und hat Mühe, all die verschiedenen Themen, die auf seinem Schreibtisch liegen, zu durchdringen. Aber es ist nicht die Personalie Klingbeil, die das Problem darstellt, sondern es ist die SPD, die ab 2013 immer stärker nach links gewandert ist.

Welche Maßnahmen halten Sie für dringend erforderlich, um die Wirtschaft gesunden zu lassen?

Die Regulierungsintensität ist viel zu hoch. Sie sehen es am Heizungsgesetz und am Verbrenner-Verbot ab 2035. Beide Gesetze sind Fehlregulierungen. Im Grunde müsste beides ersatzlos gestrichen werden, stattdessen steuert man nach. Die Bauvorschriften machen das Bauen sehr teuer. Die Gesetzgebung zur Energiewende atmet insgesamt den Geist der Planwirtschaft. Aber was passiert? Die Regierungen haben in den vergangenen Jahren Personal aufgebaut, und dort müssen sich Beamte beweisen, indem sie über neue Vorschriften nachdenken, die dann in die Politik eingespeist werden. Außerdem sind die Energiekosten zu hoch. Der reine Einkaufspreis für Strom und Gas bewegt sich zwar wieder auf dem Niveau von vor dem Ukraine-Krieg, aber darauf kommen hohe Steuern und Abgaben. Hier hat die Koalition mit der Senkung der Netzentgelte etwas bewirkt, die Senkung der Stromsteuer für alle bleibt aber aus. Das ist keine Politik aus einem Guss.

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  • Haan vor einer Stunde / Bewertung:

    "Bundeskanzler Friedrich Merz hat versprochen, dass es im neuen Jahr wirklich dazu kommt. Die Kommissionen zur Generalüberholung von Rente, Gesundheit und Pflege sind eingesetzt."
    Wie lange will der noch die Bürger verar..en? Wie lange predigen die Medien noch seine Versprechungen? Er lügt und täuscht mit jedem Satz, er kann nicht anders!

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