»Die CSU hat momentan die Hosen voll«

Bei den Vorwürfen gegen Klaus Zumwinkel bleibt ihm die Spucke weg. "Das ist ein neuer Fall von unglaublicher Chuzpe und Gier", sagt Kurt Beck. Der SPD-Chef im AZ-Interview über Geld-Gier - sowie über Populisten und Bayerns Kaczynskis.
BERLIN Er kommt viel zu spät zum Interview, und er ist genervt: „Kinder, Leud“, pfälzert es im fünften Stock des Berliner Willy-Brandt-Hauses, dem Cheftrakt der stylischen SPD-Parteizentrale. Stundenlang hatte Kurt Beck, der nebenbei ja auch noch rheinland-pfälzischer Ministerpräsident ist und dauernd zwischen Mainz und Berlin pendelt, wegen Nebels auf seinem Heimatflughafen festgesessen. Jetzt sitzt er in seinem Büro und ächzt. Auf dem Schreibtisch liegt frisches Obst parat – und tonnenweise Akten. „Packt den ganzen Krempel ein, des arbeite ich heut noch durch“, befiehlt er den Mitarbeitern, die er beständig mit „ihr Lieben“ anspricht. Dann nimmt er sich Zeit für die AZ.
AZ: Herr Beck, Postchef Zumwinkel ist wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung zurückgetreten. Das hat eingeschlagen wie eine Bombe...
KURT BECK: Da bleibt einem die Spucke weg. Dass Leute, die Millionen verdienen, den Rachen offenbar noch immer nicht vollkriegen. Das ist ein neuer Fall von unglaublicher Chuzpe und Gier. Wenn an der Spitze von Unternehmen so schamlos und mit krimineller Energie zugegriffen wird, dann fragt man sich, wie normale Arbeitnehmer, bei denen um jeden Cent geknausert wird, noch ihren Standort in diesem Staat definieren sollen. Ich erwarte jetzt von der Justiz, dass kein Deal gemacht wird. Das widerspricht jeglichem Gerechtigkeitsempfinden.
Banker haben grob fahrlässig gehandelt
Was ebenfalls viele Bürger auf die Palme bringt: Ausgerechnet sie müssen mit Steuergeldern für Milliardenverluste staatlicher Banken in die Bresche springen.
Bei Privatbanken zahlen der Staat und die einfachen Leute genauso – über Verlustabschreibungen und höhere Zinsen. Man ist einfach fassungslos: Banker haben grob fahrlässig gehandelt und sind der Verlockung des schnellen Geldes erlegen, obwohl in den USA seit Jahren jeder von den Dächern gepfiffen hat, dass die Immobilienblase irgendwann platzen wird.
Schauen wir in den Süden: Kennen Sie die „bayerischen Kaczynskis, die aussehen, als kämen sie aus der Seniorenresidenz Waldesruh“?
Aber ja! lacht)Das war ein Spruch von Franz Maget beim Politischen Aschermittwoch. Ich fand ihn ganz zutreffend – und lustig dazu.
Wie beurteilen Sie den Start des neuen CSU-Gespanns Huber und Beckstein?
Sehr mühsam. Man weiß nicht so recht, welche Rolle Erwin Huber dort spielt. Tandems sind problematisch.
Besser, wenn ich dazu nichts sage
Reden Sie da aus Erfahrung? Die SPD hatte doch sogar mal eine Troika...
Ich rede aus der Erfahrung, die in Rheinland-Pfalz die CDU gemacht hat. Das hat sich in relativ kurzer Zeit auseinanderentwickelt, dann kamen unterschiedliche Positionen – und daraus erwuchsen richtige Konflikte. Wenn ein Parteichef, wie jetzt in Bayern, nicht das Amt des Ministerpräsidenten hat, wenn also jemand anderes auf der Landesebene als auf der Bundesebene verhandelt, ist das schon nicht einfach.
Hat die CSU nach Stoiber an bundespolitischem Gewicht verloren?
Es ist besser, wenn ich dazu nichts sage. Sonst fordert man nur zu einer Oppositionshaltung heraus, die der Sache nicht gut tut.
Nächste Woche lassen Sie sich derblecken auf dem Nockherberg...
Da freue ich mich drauf. Das ist einfach qualitativ gut.
Dem Vernehmen nach sollen Sie und Frau Merkel dort als neues Traumpaar gefeiert werden.
Na, wenn das so ist. „Schau mer mal“, sagt der große bayerische Philosoph.
Notwendiges Vertrauen zur Kanzlerin
Wie ist Ihr Verhältnis zur Kanzlerin?
Das ist ein ordentliches Arbeitsverhältnis. Das notwendige Vertrauen ist da. Bis 2009 wird das tragen.
Aber Merkels SMS-Verkehr mit Ihnen ist nicht so rege wie früher der mit Franz Müntefering?
Ich bin kein SMSer. Das fang ich auch gar nicht erst an. Von diesen verkürzten Botschaften halte ich nicht viel. Wenn ich etwas habe, dann telefoniere oder rede ich.
Ab und zu auch Decrescendo
Altkanzler Schröder hat Sie jüngst als „den Klavierspieler“ bezeichnet, auf den die Genossen nicht schießen sollten, weil die SPD nicht mehr viele davon habe. Was für ein Pianist sind Sie, wie hauen Sie in die Tasten?
Alles zu seiner Zeit. Man muss Piano und Forte spielen können – und ab und zu auch Decrescendo.
CDU-General Ronald Pofalla soll seinen Leuten die Parole ausgegeben haben: „Wenn Kurt Beck nach Berlin kommt, werden wir ihn totkuscheln.“
Mit manchen Menschen zu kuscheln stelle ich mir schrecklicher vor, als mit einem Igel zu knutschen.
Ich tanze nicht den bayerischen Lederhosentango
Während die CDU eine Kuscheloffensive startet, ziehen Sie es vor zu polarisieren – Stichwort Mindestlohn.
Ich bin keiner, der Krawall macht oder bayerischen Lederhosentango tanzt. Ich mache aber unsere Position klar. Die Probleme der Menschen müssen gelöst werden – dazu gehört eine gerechte Organisation der globalisierten Wirtschafts- und Sozialwelt. Beim Mindestlohn haben wir eine Menge erreicht: Wer hätte im letzten Jahr gedacht, dass wir für wichtige Branchen einen Mindestlohn bekommen und die gesetzlichen Grundlagen für weitere auf den Weg bringen werden – inzwischen liegt auch ein Antrag der Zeitarbeitsunternehmer vor. Im Übrigen bleibt es unser Ziel, einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn zu schaffen.
Das dürfte ein großes Wahlkampfthema 2009 werden...
Der gesetzliche Mindestlohn wird mit der Union nicht so einfach zu machen sein. Aber wir sind auf dem richtigen Weg. Und jeden Schritt, den wir dort gehen können, werden wir gehen, weil er den Menschen hilft.
CSU von Berechenbarkeit und Verlässlichkeit verlassen
Zur Erhöhung des Kindergelds: Erst hat die SPD den Unions-Vorstoß als Wahlkampf-Populismus verhöhnt, um nur einen halben Tag später mitzumachen. Warum der Zickzackkurs?
Wir hatten die klare Vereinbarung in der Koalition, den Existenzminimumbericht im Herbst abzuwarten. Die SPD hat entschieden, das Geld nicht nur in mehr Kindergeld, sondern zur Hälfte auch in konkrete Leistungen für Kinder zu stecken.
Warum preschte Ihr Koalitionspartner vor?
Um ein Bild von Erwin Huber aufzugreifen: Die CSU hat momentan die Hosen voll. Deswegen verlassen sie jede Berechenbarkeit und Verlässlichkeit. Das gilt auch für die CDU.
Zuletzt war viel vom Linksrutsch der SPD die Rede. Gibt es den wirklich oder ist das eine mediale Erfindung?
Ach Gott! Wir haben immer über das ganze Spielfeld gespielt. Eine Zeitlang ist der Eindruck entstanden, wir würden nur auf dem rechten Flügel spielen. Jetzt spielen wir mehr in der Mitte, und der Linksaußen wird wieder stärker eingesetzt. Eine alte Fußballregel sagt: Stark ist der, der über die Flügel spielt.
Aber auch Ihr eifriges Flügelspiel konnte die Ausdehnung der Linken in westdeutsche Landesparlamente nicht verhindern. Woran liegt’s?
Es gibt drei Gründe: Zum einen hat die Partei eine große Basis in Ostdeutschland – die Linke hat auf der Staatspartei SED aufgebaut. Dann hat es schon immer eine Protesthaltung gegeben. Die hat sich mal rechts außen festgemacht, jetzt tut sie das am linken Rand. Für den dritten Grund habe ich Verständnis: Die Menschen haben Sorgen. Es gibt die Notwendigkeit, sozial neu auszubalancieren.
Asthmatische Populisten
Und der vierte Grund ist, dass die Linke von den charismatischen Populisten Lafontaine und Gysi geführt wird?
Das sind eher asthmatische Populisten, denen immer die Luft ausgegangen ist, wenn sie Verantwortung übernehmen mussten.
Edmund Stoiber hat gemahnt, man dürfe nicht nur auf die Linke draufhauen, sondern müsse sich intellektuell mit ihr auseinandersetzen.
Naja: Stoiber muss jetzt halt immer etwas anderes sagen als Huber, damit er auch noch wahrgenommen wird. Richtig ist aber: Wir müssen uns mit der Frage einer gerechten Gesellschaft auseinandersetzen. Und nicht mit so einem Schwachsinn wie der Wiedereinführung der Stasi, was jetzt eine Abgeordnete von denen in Niedersachsen gefordert hat. Mit solchen Leuten kann man nicht Politik machen.
Aber wie lässt sich etwa die Hessen-Blockade ohne die Linke auflösen?
Das muss man die FDP fragen. Herr Koch hat sowohl die Grünen als auch die SPD im Wahlkampf derart persönlich herabgesetzt – da kann man nicht einfach so sagen: „Jetzt machen wir zusammen Politik.“
Fast so schön wie das Willy-Brandt-Haus
Bei der Hamburg-Wahl am nächsten Sonntag setzen Sie tapfer auf Rot-Grün. Dabei könnte sich an der Elbe doch eine schwarz-grüne Regierung anbieten.
Das wäre eine Tortur für die Grünen.
In den USA geht ein Ruck durchs Land. Barack Obama begeistert gerade viele junge Leute für die Politik. Die deutschen Volksparteien dagegen haben schwere Nachwuchssorgen. Was kann die SPD von Obama lernen?
Ich fürchte, auch bei dieser US-Präsidentschaftswahl wird es wieder eine katastrophal schlechte Wahlbeteiligung geben. Ich möchte auch nicht mit einem politischen System tauschen, wo man bei irgendwelchen Leuten um Abermillionen betteln muss, um einen Wahlkampf auf die Beine zu stellen. Da entstehen Erwartungen und Abhängigkeiten.
Sie sehen so aus, als fühlten Sie sich hier im Willy-Brandt-Haus wohl. Würden Sie sich drüben im Kanzleramt noch wohler fühlen?
Gute Frage (schmunzelt). Ich finde das Kanzleramt architektonisch schön – fast so schön wie das Willy-Brandt-Haus.
Interview: Markus Jox