Die bunte Republik Deutschland
BERLIN/DÜSSELDORF - Nach der Wahl von NRW geht es rund im Land: Es gibt so viele Bündnismöglichkeiten, dass die Politiker inzwischen selbst die Übersicht verlieren. Und die Farben der Politampel blinken immer greller
Die Schwarzen werden grüner, die Roten röter, und den Gelben wird alles langsam zu bunt: Die Patt-Wahl von Nordrhein-Westfalen taucht Deutschlands politische Farbenlehre in ein immer grelleres Licht. Ein Fünf-Parteien-System, in dem es fast immer drei braucht zum Regieren: Anfangs war das nur ein Problem in NRW. Doch mehr und mehr brodelt es auch in Berlin. Die AZ erklärt das neue Drei-Phasen-System der deutschen Ampel- und Hampelpolitik:
Alles auf Rot: Zwei Parteien teilen sich dieselbe Farbe – SPD und Linke. Doch die Zusammenarbeit, von der in beiden Kräften viele träumen, wird in NRW gerade wieder mal zum Knackpunkt. Wie einst Andrea Ypsilanti in Hessen scheint auch die SPD-Fast-Siegerin von NRW, Hannelore Kraft, verstärkt mit einer rot-rot-grünen Mehrheit zu liebäugeln. In der Berliner Zentrale finden das viele im Grundsatz auch richtig – und schrecken doch zurück. Einerseits ist der Untergang der Hessen-SPD beim rot-roten Deal in schlechter Erinnerung. Außerdem gibt es Stimmen, die NRW für das falsche Experimentierfeld halten. Denn dort ist die Signalwirkung besonders hoch. Besser noch ein bisschen zusehen, wie sich Schwarz-Gelb im Bund abstrampelt, um später mehr Rückhalt in der Bevölkerung für Rot-Rot-Grün zu haben: So planen Strategen im Willy-Brandt-Haus. Zumal da die NRW-Linken als besonders abgedreht gelten – nicht umsonst ist hier Oberkommunistin Sahra Wagenknecht heimisch. Beim Linke-Parteitag am Wochenende in Rostock soll sie auch noch Vizechefin der Partei werden.
Die gelbe Gefahr: Rund um die eigene Achse bis zum verschärften Schwindelerlebnis dreht sich nun die FDP: Die lehnte erst ein Drei-Parteien-Bündnis mit SPD und Grünen rundheraus ab, um es dann doch in Erwägung zu ziehen – und jetzt wieder zu verdammen. Dabei hatte Guido Westerwelle selbst seine verdatterten Parteifreunde Richtung Rot-Grün-Gelb getrieben. Um jetzt zu warnen: Weil SPD und Grüne in Wahrheit „eine Koalition mit der Linkspartei“ vorbereiteten, so der FDP-Chef. „Für Alibiveranstaltungen stehen wir nicht zur Verfügung.“ Nun wird gerätselt: ein endgültiges Nein? Oder bricht er die Verhandlungen ab, um sich später zu einem höheren Preis wieder einkaufen zu lassen?
Grün ist die Hoffnung: Richtig gut lachen hat eigentlich nur Grünen-Chefin Claudia Roth. In Umfragen und Wahlergebnissen im Aufwind, dazu nicht nur Rote und Gelbe als Koalitionspartner zur Wahl, sondern auch noch die häufig übersehene Variante Jamaika gemeinsam mit Schwarz-Gelb im Köcher: Das einzige, was ihr die Laune verderben könnte, wäre eine große Koalition. Doch sogar die würde den Grünen langfristig wohl Sympathisanten zutreiben. So kann es sich Roths Kompagnon Cem Özdemir auch gut leisten, Linke und FDP gleichzeitig runterzumachen: „Wir haben eigentlich zwei nicht regierungsfähige Parteien.“
Frank Müller