"Deutschland braucht eine Mietpreisbremse"
Katja Kipping und die Münchner Bundestagsabgeordnete Nicole Gohlke in der AZ - ein Gespräch über steigende Mieten und Rot-Rot-Grün.
MÜNCHEN Bei der letzten Landtagswahl holte die Linke in Bayern 4,4 Prozent, bei der Bundestagswahl 6,5 Prozent. Während sie im Osten stark ist, kann die Linke im Süden Deutschlands – wie auch im Westen der Bundesrepublik – kaum Fuß fassen. Einzige westdeutsche Hochburg ist das Saarland, die Heimat des Parteigranden Oskar Lafontaine. Der hatte sich im vergangenen Jahr einen heftigen Machtkampf mit Bundestagsfraktionsvize Dietmar Bartsch über den Parteivorsitz geliefert. Am Ende zog Lafontaine zurück. Katja Kipping und Bernd Riexinger übernahmen den Vorsitz einer kriselnden Partei.
Ausgerechnet in der Eurokrise kann die Linke beim Wähler kaum punkten. Das will Kipping jetzt ändern – sie war gemeinsam mit der Münchner Bundestagsabgeordneten Nicole Gohlke auf Wahlkampf-Tour in München, und besuchte dabei auch die AZ. Das Interview:
AZ: Frau Kipping, erkennt Sie eigentlich in Bayern jemand auf der Straße?
KATJA KIPPING: Also auf der Herfahrt bin ich erkannt worden. Und das war eine sehr schöne Begegnung, weil das war – zugegebenermaßen – ein alter Freund von mir.
AZ: Das gilt nicht.
KATJA KIPPING: (lacht) Naja, ich bin ja gerade erst angekommen, wir gehen gleich nach dem Interview in die Fußgängerzone und suchen das Gespräch. Da fällt mir eine Episode ein, die muss ich erzählen: Ich bin vor Jahren beim Skifahren von einem älteren Bayern fast umarmt worden, weil er meinte, wir kennen uns doch irgendwo her. Und dann hat er gemerkt: Er kennt mich aus dem Fernsehen. Und dann bin ich auch noch von der Linken! So war die Linke plötzlich Gesprächsthema in der gesamten Skihütte.
AZ: In München sind die Mieten sehr hoch, die Schere zwischen Arm und Reich geht auseinander. Das ist doch eigentlich Ihr Thema, warum spielt die Linke dann hier kaum eine Rolle?
KATJA KIPPING: Das Thema steigende Mieten ist einer der Schwerpunkte, an denen wir arbeiten. Ich bin ja nicht kleinlich, was das Copyright anbelangt, aber ich möchte doch mal daran erinnern, dass wir die ersten waren, die gesagt haben, Deutschland braucht eine Mietpreisbremse. Und zwar eine echte. Das bedeutet, wenn jemand eine Wohnung ohne Sanierung neu vermietet, dann darf die Kaltmiete nicht steigen. Wir wollen, dass das per Gesetz ausgeschlossen wird. Außerdem braucht es viel mehr Sozialwohnungsbau. Das Recht auf Wohnen muss im Grundgesetz verankert werden.
AZ: Der enorme Bedarf an Wohnungen, den es hier in München gibt, lässt sich nicht aus staatlichen Mitteln decken. Wie sehen da Ihre Alternativvorschläge aus?
KATJA KIPPING: Es gibt in der Tat in vielen Städten die Entwicklung, dass sich Wohnungsbau zur Vermietung gar nicht mehr lohnt. Dann muss es da eine staatliche Unterstützung mit anschließender Mietpreisbindung geben. Und noch ein Aspekt: Es wird immer nur von den so genannten Mietnomaden gesprochen. Aber was ist eigentlich mit den Vermietungsnomaden? Den großen Hedgefonds, die massenhaft Wohnungen aufkaufen und noch nicht mal eine Adresse haben. Höchstens eine auf den Cayman-Inseln. Das ist ein Problem: Es muss auch eine Art Spekulationsbremse für den Wohnungsmarkt geben.
NICOLE GOHLKE: Die Rolle von München ist in ganz Bayern aber auch eine besondere. Ich habe das Gefühl, dass gerade Ude dem Kurs der CSU da auch nicht viel entgegen gesetzt hat. Er hat diese Idee von München als der schillernden Leuchtturm-Landeshauptstadt, mit Olympia, dritter Startbahn und so weiter. Da hat er strukturpolitisch eher der CSU nach dem Mund geredet. Wir wollen dagegen auch die schwachen Regionen in Bayern stärken, da muss man dann halt auch Abstand nehmen von diesen Großprojekten, die immer nur den einen Standort fördern.
AZ: Zur Bundespolitik: Unter welchen Umständen können Sie sich denn vorstellen, dass die SPD doch mit Ihnen koalieren möchte?
KATJA KIPPING: Ich glaube, die SPD muss sich entscheiden, ob sie einen Politikwechsel will oder am Ende wieder dafür sorgt, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel Bundeskanzlerin bleibt. Bernd Riexinger und ich haben von Anfang an signalisiert: Wir haben Interesse an Gesprächen über eine Linksregierung. Wenn es eine sanktionsfreie Mindestsicherung gibt, wenn es einen Mindestlohn gibt, wenn das Rentenniveau angehoben und wenn das alles durch ordentliche Besteuerung von Millionären finanziert wird. Und wir wollen eine Außenpolitik, die vom Grundsatz ,Nie wieder Krieg' geleitet ist. Das sind alles keine Utopien. Wir haben nicht gesagt, wir fordern die Abschaffung des Kapitalismus. Aber es gibt von der SPD kein Interesse an Gesprächen, und das macht ihre linke Rhetorik unglaubwürdig.
Und Sie? Wollen Sie eigentlich Rot-Rot-Grün?
KATJA KIPPING: Das Wichtigste ist für uns, dass wir mit einer starken Linken in den Bundestag einziehen. Immerhin sind wir die einzigen, die in Zeiten der Wirtschafts- und Finanzkrise immer wieder Nein zur Bankenrettung gesagt haben. Und an der Stelle, an der wir stehen, werden wir immer größtmöglichen Druck für Umverteilung und soziale Gerechtigkeit machen. Da sagen wir zu keiner der Optionen kategorisch nein. Aber wir sind auch keine Partei, die für Minister-Ämter ihre Prinzipien verrät.
AZ: Und unter welchen Bedingungen wäre die Linke bereit, eine rot-grüne Minderheitenregierung zu tolerieren?
KATJA KIPPING: Das ist nicht das, was wir anstreben. Wenn sich ein Mann oder eine Frau zur Kanzlerwahl stellt, dann sollten wir schon klar ja oder nein sagen.
AZ: Die Grünen sagen, Sie wollen gar nicht regieren, und nennt Ihre Außenpolitik als Grund, also dass Sie fordern, alle Auslandseinsätze der Bundeswehr zu beenden.
KATJA KIPPING: Die Grünen haben deshalb so ein Problem mit unserer Außenpolitik, weil sie ursprünglich aus der Friedensbewegung kommen. Das ist jetzt das klassische Konvertitenproblem. Für sie ist die Auseinandersetzung mit Auslandseinsätzen der Bundeswehr und Rüstungsexporten besonders schmerzhaft. Inzwischen sind die Grünen ja besonders eifrig darin, Kriegseinsätze immer wieder mit der Verhinderung von Menschenrechtsverletzungen zu begründen. Wir sagen, im Gegenteil, jeder Krieg ist eine auf Dauer gestellte Menschenrechtsverletzung.
AZ: In den Feuilletons wird nun ernsthaft debattiert, mal gar nicht zu wählen.
NICOLE GOHLKE: Das finde ich eine sehr dramatische Entwicklung. Vor allem wenn man bedenkt, dass vor allem diejenigen nicht wählen, die sich von der Gesellschaft sozial abgehängt fühlen und unter prekären Lebensverhältnissen leiden. Darunter leiden vor allem wir als Linke, denn wir haben ja den Anspruch, für und mit genau diesen Menschen Politik zu machen.