"Nicht ohne Geschmäckle": Merz und Dobrindt setzen auf eine Kraftprobe mit der Justiz
Es ist ein Schuss vor den Bug, und er kam erwartbar. Nachdem ein Berliner Verwaltungsgericht pauschale Zurückweisungen von Fluchtlinien an der deutschen Grenze als rechtswidrig einstufte, steht die neue Härte in der Asylpolitik knapp vier Wochen nach dem Amtsantritt der neuen Koalition schon wieder infrage.
Für Schwarz-Rot ist das nicht ohne, schließlich ist die Wende in der Migrationspolitik ein zentrales Wahlversprechen gewesen. Die Vorgängerregierung hatte auf das Instrument der direkten Abweisungen verzichtet, weil es aus ihrer Sicht gegen europäisches Recht verstößt. Genauso urteilten nun die Richter in der Hauptstadt. Was folgt daraus? Ein Überblick.
Dobrindts und Merz' Asylpolitik: Es soll bei den pauschalen Rückweisungen bleiben
Wie reagiert die Bundesregierung? Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) kündigte an, dass es bei den pauschalen Zurückweisungen bleibe. Die Entscheidung des Berliner Gerichts enge die Spielräume zwar möglicherweise noch einmal etwas ein. "Aber die Spielräume sind nach wie vor da. Wir wissen, dass wir nach wie vor Zurückweisungen vornehmen können."

Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) bekräftigte diese Position. An den Zurückweisungen will er vorerst nichts ändern. "Wir bleiben dabei, dass die Zurückweisungen stattfinden", sagte Dobrindt.
Wie hat sich der Fall genau zugetragen? Das Verwaltungsgericht urteilte im Eilverfahren über die Beschwerde dreier Somalier. Laut Gericht waren die zwei Männer und eine Frau Anfang Mai aus Polen nach Deutschland gekommen. Die Bundespolizei kontrollierte sie am Bahnhof Frankfurt/Oder und schickte sie zurück, obwohl sie um Asyl baten.
Deutschland dürfe seine Flüchtlinge nicht einfach abweisen
Die Begründung der Beamten: Die drei seien aus einem sicheren Herkunftsland (Polen) in die Bundesrepublik eingereist. Aus Polen heraus gingen sie juristisch gegen die Zurückweisung vor und bekamen Recht.

Wie begründet das Gericht sein Urteil? Es hat entschieden, dass Deutschland die Flüchtlinge nicht einfach abweisen durfte. Zuvor hätte hierzulande geprüft werden müssen, welches EU-Land für das Asylverfahren zuständig ist (Dublin-Verfahren). Im Regelfall ist das das erste Land, auf dem die Geflüchteten europäischen Boden betreten haben. Dorthin müssten sie überstellt werden, um auf eine Entscheidung über den Asylantrag zu warten. In der Praxis funktioniert das aber kaum, weil die EU-Staaten auf diesem Gebiet nicht ausreichend zusammenarbeiten.
Asylpolitik: Artikel 72 zieht nicht
Union und SPD wollten das ändern und berufen sich darauf, dass Dublin dysfunktional sei. Die Berliner Richter durchkreuzten diese Position: Die Bundesregierung könne sich nicht darauf berufen, Dublin nicht mehr anzuwenden, weil Deutschland mit der Aufnahme der Migranten überfordert sei.
Das Innenministerium hat nach Einschätzung der Richter nicht ausreichend dargelegt, dass die öffentliche Sicherheit durch die Migranten gefährdet sei. Die Ausnahmeregelung aus dem Artikel 72 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union ziehe nicht.
Gilt das Urteil für alle Flüchtlinge? Nein. Es handelt sich zunächst um einen Eilbeschluss in einem Einzelverfahren, der keine Folgewirkung auf andere Fälle hat. Die Bundesregierung will nun abwarten, wie das Gericht in der Hauptsache entscheidet.
Was passiert, wenn die Richter bei ihrem Urteil bleiben?
Was passiert, wenn die Richter bei ihrem Urteil bleiben? CSU-Landesgruppenchef Alexander Hoffmann hat für diesen Fall angekündigt, dass das Innenministerium dann vor einem Oberlandesgericht in Revision gehen wolle, um das Urteil einer höheren Instanz mit Prägekraft anzustreben. Würden auch auf dieser Ebene die Zurückweisungen als rechtswidrig eingestuft, so Hoffmann, werde sich die Regierung daran halten.
Das Vorgehen der Koalition, die Berliner Eilentscheidung zunächst zu ignorieren, ist in Zeiten, in denen US-Präsident Donald Trump die Gewaltenteilung attackiert, nicht ohne Geschmäckle. Andererseits hat das politische System durch die fehlende Ordnung in der Asylpolitik stark an Rückhalt bei den Wählern eingebüßt.