Afghanistan-Angriff der Nato: Der Informations-Skandal
Das Verteidigungsministerium wusste, dass es beim Luftangriff auf zwei entführte Lkw zivile Opfer gab. Trotzdem hat der Ex-Minister das lange bestritten. Hat er die Wahrheit verschwiegen?
Ein amtierender Bundesminister ist angezählt, Deutschlands ranghöchster Soldat entlassen, ein Staatssekretär seinen Posten los: Der Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr hat die schwarz-gelbe Bundesregierung in eine Krise gestürzt.
Es geht um einen Luftangriff der Nato in Afghanistan am 4. September, der von der Bundeswehr angefordert worden war. Bis zu 142 Menschen sollen dabei ums Leben gekommen sein. Damals war Franz Josef Jung (CDU) Verteidigungsminister. Tagelang behauptete er danach, es habe keine zivilen Opfer gegeben. Jetzt taucht ein geheimer Bericht auf. Darin steht, dass dem Verteidigungsministerium schon kurz nach dem Luftangriff bekannt war, dass es zivile Opfer gegeben hat. Der Bericht sei bewusst der zuständigen Staatsanwaltschaft unterschlagen worden, berichtet die „Bild“-Zeitung“. Die AZ klärt die Fakten.
Der Angriff: Der deutsche Oberst Georg Klein fordert am 4. September in Afghanistan die Unterstützung der amerikanischen Luftwaffe an. Zwei Tanklastwagen sind von den Taliban entführt worden – Klein befürchtet, dass die Terroristen die Lkw bei einem Anschlag in die Luft sprengen wollen. Auf Videobildern entdecken die Nato-Verbündeten die Lkw in der Nähe eines Flusses in der Provinz Kundus. Als es dunkel ist, werfen die Amerikaner Bomben – die Laster explodieren. Die Bundeswehr berichtet unmittelbar danach von 50 getöteten Aufständischen. „Unbeteiligte sind nach derzeitigem Kenntnisstand nicht zu Schaden gekommen“, sagt Jungs Sprecher. Als Nato-Generalsekretär Fogh Rasmussen erwähnt, dass es möglicherweise doch zivile Opfer gab, sagt Jungs Sprecher: „Sie können davon ausgehen, dass der Angriff angeordnet wurde, weil keine unbeteiligten Zivilpersonen durch den Angriff hätten zu Schaden kommen können.“ Und: „Bei anwesenden Zivilisten hätte der Luftangriff nicht stattfinden dürfen.“ Jung behauptet danach weiterhin, es seien „ausschließlich terroristische Taliban“ getroffen worden und Kommandeur Klein habe darauf „eindeutige Hinweise“ gehabt. Doch sowohl die Nato-Spitze als auch andere Länder bezweifeln das.
Der Geheim-Bericht: „Bild“ berichtet in seiner Donnerstag-Ausgabe, dass die deutsche Militärpolizei bereits am Abend des Luftangriffs wusste, dass sich mehrere Kinder unter den Opfern befunden hatten – also keine Taliban. Darüber hinaus soll Jungs Ministerium gewusst haben, dass Oberst Klein seine Entscheidungen aufgrund von nicht eindeutigen Videobildern getroffen hat. Und dass er sich auf Aussagen eines afghanischen Informanten verlassen haben soll, der gar nicht bei den Tanklastern war.
Die Reaktion: Jungs Nachfolger, Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), verkündet gestern, dass sowohl der Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan, als auch Staatssekretär Peter Wichert die Verantwortung für das Informations-Desaster übernehmen. Beide sind entlassen. Guttenberg bestätigt, dass es den Geheim-Bericht über die zivilen Opfer gibt – er selbst habe davon aber erst am Mittwoch erfahren. Jung habe von dem Bericht angeblich nichts gewusst. Im Bundestag kommt es zum Showdown: Die SPD beantragt, dass Jung sofort eine Erklärung abgeben soll. Per Hammelsprung stimmen die Abgeordneten darüber ab – doch die SPD kommt nicht durch. Danach tritt Jung ans Rednerpult und kündigt eine Erklärung für den frühen Abend an. Die Erklärung war zu Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht erfolgt.
Die Kritik: Die SPD fordert einen Untersuchungsausschuss. Die Untersuchung richte sich nicht gegen die Soldaten, betonte der ehemalige Außenminister Steinmeier (SPD). Treffe die bisherige Berichterstattung zu, seien Öffentlichkeit und Parlament wichtige Dokumente vorenthalten worden. Grünen-Chefin Claudia Roth fordert Jung zum Rücktritt auf.