25 Jahre Einheit: Freude und neue Herausforderungen
Frankfurt/Main/Berlin - Bundespräsident Joachim Gauck hat die Integration Hunderttausender Flüchtlinge als eine noch größere Aufgabe als die deutsche Wiedervereinigung bezeichnet. "Wie 1990 erwartet uns eine Herausforderung, die Generationen beschäftigen wird. Doch anders als damals soll nun zusammenwachsen, was bisher nicht zusammen gehörte", sagte das Staatsoberhaupt am Samstag beim Festakt zum 25. Jahrestag der deutschen Einheit in Frankfurt am Main. Auch damals habe es kein historisches Vorbild gegeben, trotzdem hätten Millionen Menschen die Aufgabe angenommen und bewältigt.
Der zentrale Festakt, zu dem auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) kam, war der Höhepunkt der Einheitsfeiern in Frankfurt. Am Nachmittag stürmten dort rund 50 Demonstranten das Bundesratszelt und verzögerten die symbolische Übergabe der Bundesratspräsidentschaft.
In Berlin feierten Zehntausende Menschen friedlich am Brandenburger Tor ein Festival der Einheit. Am Abend war in der Hauptstadt noch eine Jubiläumsfeier des Bundestages vor dem Reichstag geplant.
Gauck würdigte die Leistungen der Bürgerrechtsbewegung in der DDR auf dem Weg zur Wiedervereinigung. Mit ihrem Aufbegehren von 1989 hätten die Ostdeutschen den Westdeutschen ein großes Geschenk gemacht. "Die friedliche Revolution zeigt: Wir Deutschen können Freiheit." Umgekehrt hätten die Westdeutschen auch den Ostdeutschen ein Geschenk gemacht: das Grundgesetz, eine funktionierende Demokratie, eine unabhängige Justiz und das Sozialsystem. Etliche DDR-Bürgerrechtler saßen bei der Feier in der Alten Oper in der ersten Reihe.
Die neuen Aufgaben seien auch mit strittigen Debatten verbunden, sagte Gauck. "Lassen Sie aus Kontroversen keine Feindschaften entstehen." Europa stehe "mitten in einer Zerreißprobe". Noch habe der Druck die Staaten nicht zusammengeführt. "Allerdings zeigen die jüngsten Entscheidungen der Europäischen Union, dass die Einsicht wächst: Es kann keine Lösung in der Flüchtlingsfrage geben – es sei denn, sie ist europäisch."
Gauck äußerte Verständnis für Ängste in der Bevölkerung. Es spüre wohl fast jeder, wie sich in die große Hilfsbereitschaft der Menschen auch Sorge schleiche. "Dies ist unser Dilemma: Wir wollen helfen. Unser Herz ist weit. Aber unsere Möglichkeiten sind endlich."
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) rief zur internationalen Zusammenarbeit auf. Es müsse eine faire Aufgabenteilung geben, sagte sie vor dem offiziellen Festakt. Noch nie habe es so viele Flüchtlinge gegeben. "Das müssen wir gemeinsam schaffen, Deutschland, Europa und die Welt."
Gastgeber war Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU). Der Festakt zum Tag der Deutschen Einheit ist immer in dem Bundesland, das aktuell den Vorsitz im Bundesrat hat. Auch der frühere Bundesaußenminister Hans-Dietrich Genscher und der letzte DDR-Ministerpräsident Lothar de Maizière waren gekommen.
An Helmut Kohl, der aus gesundheitlichen Gründen nicht dabei sein konnte, sandte Bouffier Dank für dessen historische Leistung als "Kanzler der Einheit". Auch eine Gruppe von Flüchtlingen nahm auf Einladung der hessischen Landesregierung am Festakt teil. Das Bürgerfest in Frankfurt unter dem Motto "Grenzen überwinden" sollte noch bis zum Sonntag dauern.
Die Demonstranten in Frankfurt warfen mit Karteikarten und Papierschnipseln um sich. Sie verlangten ein Bleiberecht für Flüchtlinge und zeigten ein Transparent mit der Aufschrift "Nationalismus raus aus den Köpfen". Die Polizei drängte die Protestierer nach kurzer Zeit nach draußen. Die Präsidentschaft des Bundesrates wurde mit Verzögerung von Hessen an Sachsen übergeben.
Am Rande der Feierlichkeiten wurden zwei Polizisten durch Buttersäure verletzt. Auch im Zelt der Bundesregierung wurde demnach eine stinkende Flüssigkeit verschüttet, die von der Feuerwehr beseitigt werden musste. Verletzt wurde dort laut Polizei niemand.
Auf der Festmeile am Brandenburger Tor in Berlin blieb es laut Hauptstadt-Polizei friedlich. Wegen Überfüllung mussten Teile des Areals gesperrt werden. Auch S-Bahn-Züge hielten nicht mehr am Wahrzeichen Berlins. Nur wenige hundert Meter weiter waren am Reichstag noch eine Rede von Bundestagspräsident Norbert Lammert sowie ein Feuerwerk geplant.