Neues Sorgerecht: Karlsruhe kippt das Veto der Mutter

KARLSRUHE - Künftig kann bei unehelichen Paaren die Frau nicht mehr alleine entscheiden, wer sich ums Kind kümmern darf. Die FDP-Justizministerin will das Urteil für eine umfassende Reform nutzen.
Jetzt kommt ein ganz neues Sorgerecht: Das Bundesverfassungsrecht hat das Veto-Recht lediger Mütter gekippt – und das Bundesjustizministerium will eine rasche Reform des ganzen Rechts: „Wir wollen ein modernes Sorgerecht, das die gesellschaftlichen Realitäten widerspiegelt“, so Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP).
Was sagt Karlsruhe? Laut Gesetz kann der Vater eines unehelichen Kindes das Sorgerecht nur mit Zustimmung der Mutter beantragen. Klar verfassungswidrig, urteilte gestern Karlsruhe: „Der Gesetzgeber setzt das Elternrecht des Vaters in unzulässiger Weise hinter das der Mutter zurück, ohne dass dies durch die Wahrung des Kindeswohls geboten ist.“ Bisher konnte sich ein Vater nicht mal vor Gericht dagegen wehren: Wenn die Mutter Nein sagt, hat er keinerlei Möglichkeit, das Sorgerecht zu bekommen, allein oder gemeinsam. Schon 2009 hatte der Europäische Gerichtshof (EGH) diese deutsche Praxis für unzulässig erklärt.
Wie begründen das die Richter? 2003 hatte das Bundesverfassungsgericht geurteilt, der Vorrang der Mutter sei gegenwärtig „noch“ verfassungsgemäß, der Gesetzgeber möge aber „die tatsächliche gesellschaftliche Entwicklung beobachten“. Das hat das Gericht diesmal selbst getan: Nach neuen Studien sei davon auszugehen, „dass in nicht unbeträchtlicher Zahl Mütter alleine deshalb die Zustimmung zum Sorgerecht verweigern, weil sie ihr angestammtes Recht nicht mit dem Vater teilen wollen“.
Welche Rolle spielen die Mütter? Karlsruhe verweist ausdrücklich auf eine Umfrage des Justizministeriums unter 500 Jugendämtern und Familienanwälten. Demnach geben 90 Prozent der Mütter als Grund für die Verweigerung der gemeinsamen Sorge an, dass sie mit dem Ex nichts mehr zu tun haben wollen, also auch nicht in Angelegenheiten des Kindes. Das sei aber das persönliche Eigeninteresse der Mutter – und nicht das ihres Nachwuchses. Die optimistische Annahme des Gesetzgebers, dass sie das Kindswohl in den Vordergrund stelle, sei wohl „nicht zutreffend“ gewesen, stellt Karlsruhe fest. Nach Scheidungen kommt es in 90 Prozent der Fälle zum gemeinsamen Sorgerecht; nach Trennungen unehelicher Paare, wo es eben das Veto-Recht der Frau gab, nur bei knapp 50.
Was kommt jetzt? Das Bundesverfassungsgericht ordnete als Übergangsregelung an, dass ab sofort Familiengerichte auf Antrag eines Elternteils das gemeinsame Sorgerecht verfügen, „soweit zu erwarten ist, dass dies dem Kindeswohl entspricht“, oder auch dem Vater alleine, „wenn dies dem Kindeswohl am besten entspricht“. Dem müsse ein neues Gesetz folgen. Die Justizministerin sitzt ohnehin dran: Vor einer Woche hatte die FDP vorgeschlagen, dass das Sorgerecht automatisch auf beide übergeht, wenn die Mutter keinen Widerspruch einlegt. Dies war in Teilen der CSU auf Kritik gestoßen: „Es darf in keinem Fall dazukommen, dass die Mutter in einer ohnehin hochemotionalen Phase noch tätig werden muss“, so Vize-Generalsekretärin Dorothee Bär. Auch der Verband der alleinerziehenden Mütter und Väter hatte das heftig kritisiert: So würde Müttern „zusätzlicher und unnötiger Stress zugemutet“, so Verbandschefin Edith Schwab. Das alleinige Sorgerecht verschaffe gerade Kindern die nötige Ruhe in einer bereits belastenden Situation.
Wie sind die Reaktionen? Schwab sagte am Dienstag der AZ, dass Karlsruhe ja eben keinen Automatismus für ein gemeinsames Sorgerecht verfügt habe, nur die Möglichkeit, gegen ein Veto zu klagen. „Da wird Frau Schnarrenberger deutlich zurechtgerückt. So kann man die EGH-Entscheidung schlank umsetzen.“ Es müsse weiter grundsätzlich beim alleinigen Sorgerecht der Mutter bleiben. Betroffene Väter dagegen Freude sich über das Urteil. „Kinder haben ein Recht auf beide Eltern“, sagt Helge Messner vom Väteraufbruch. Der Interessensverband Unterhalt und Familienrecht erklärte, endlich sei Schluss mit der Rechtlosigkeit der Väter gegenüber dem eigenen Kind. Dagegen befürchtet der Single-Mütter-Verein „umstaendehalber“, dass nun rachsüchtige Väter die Zustimmung zu lebenswichtigen Operationen verweigern könnten – man merkt, wie hoch die Emotionen hier gehen. tan