Zu wenige Pflegekräfte in München - Betten in Unikliniken gesperrt

München - Eigentlich sollen sie dafür sorgen, dass wir wieder gesund werden. Doch häufig werden sie selbst krank: Krankenschwestern und Pfleger. Während der Grippewelle im Winter war dieses Problem extrem. Notaufnahmen und Stationen mussten geschlossen werden. Doch wie neue Zahlen der Staatsregierung zeigen, ist das Problem keines der Winterzeit – auch unterm Jahr werden Betten gesperrt, weil Pfleger krank oder Stellen unbesetzt sind.
Das geht aus einer Antwort der Staatsregierung auf eine Anfrage der Grünen im Landtag hervor, die der Abendzeitung exklusiv vorliegt. Die Zahlen beziehen sich auf die beiden Universitätskliniken in der Stadt, also die Krankenhäuser, die entweder von der Technischen Universität (TU) oder der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) betrieben werden: Großhadern, das Klinikum Innenstadt, das Rechts der Isar und das Herzzentrum.
Prekäre Lage auf der Intensivstation
Der grüne Abgeordnete Ulli Leiner wollte wissen, wie viele Betten wegen Krankheit oder Personalmangels im vergangenen Jahr gesperrt werden mussten. Die Staatsregierung gibt an, dazu vor Kurzem an einem Stichtag Zahlen erhoben zu haben: 146 Normalbetten und 68 Intensivbetten seien an diesem Tag gesperrt gewesen. Das entspricht 6,6 Prozent der Betten an den beiden Unikliniken.
Das klingt vielleicht noch nach einem verschmerzbaren Anteil. Bitterer wird es, wenn man die Zahlen für Intensivstationen betrachtet. Nach Angaben von TU und LMU gibt es an ihren Kliniken 325 Intensivbetten (285 in Großhadern und dem Campus Innenstadt der LMU, 40 am TU-Klinikum rechts der Isar). Also waren 20,9 Prozent dieser Betten am Stichtag gesperrt.
Für Ulli Leiner, den gesundheitspolitischen Sprecher der Grünen, sind das alarmierende Zahlen: "Die Anzahl von 214 gesperrten Betten an den Universitätskliniken in München ist erschreckend." Dass so viele Intensivbetten gesperrt seien, sei "besonders dramatisch", die Regierung habe "hier versagt". Leiner weiter: "Die Staatsregierung ist für ihre Unikliniken verantwortlich und muss in unseren Unikliniken dafür sorgen, dass – gerade im Intensivbereich – ausreichend Betten für die Patientinnen und Patienten zur Verfügung stehen."

Verdi: Gewerkschaft mit Kritik
Auch vonseiten der Gewerkschaft kommt Kritik. Robert Hinke, Landesfachbereichsleiter für Gesundheit und Soziales bei Verdi Bayern, betont im AZ-Gespräch, dass es wegen Krankheit keine Bettenschließungen geben dürfe: "Das ist ein klares Indiz dafür, dass die Versorgung auf Kante genäht ist, dass es keinerlei Puffer mehr gibt." Der Mangel an Pflegekräften sei längst ein strukturelles Problem.
Die Krankenschwestern und Pfleger arbeiten laut Gewerkschaft unter großem Druck, seien häufiger krankgeschrieben und ließen sich früher verrenten, als es in anderen Sparten der Fall sei. Das alles sei "hausgemacht und Ergebnis der Belastungssituation". In der Tat kam der Gesundheitsatlas des Interessensverbands der Betriebskrankenkassen (BKK) in seinem Gesundheitsatlas 2017 zu dem Schluss, dass die Arbeitsbedingungen in pflegerischen Berufen die Gesundheit der Pflegekräfte gefährdeten.
Hinke weiter: "Für mich ist das zentrale Warnsignal: Kaum eine Krankenschwester empfiehlt noch ihren Kindern den eigenen Beruf." Dabei sei die Arbeit mit Patienten für die Krankenschwestern selbst oft das Traumziel gewesen.
An den Unikliniken sieht man das Problem. Der Fachkräftemangel sei ein "bundesweites Problem mit besonderer Brisanz in einer Stadt wie München", teilt ein Sprecher der LMU-Kliniken der AZ mit. Bei zu wenig Personal und einem hohen Patientenaufkommen sperre man Betten rechtzeitig, vor allem im Bereich Intensivmedizin, heißt es. So werde es auch von den Fachgesellschaften empfohlen.
Bei der TU sieht man den Fachkräftemangel als "gravierendes Problem". "Wir sind momentan noch in der Lage, die meisten Betten zu betreiben", sagt eine Sprecherin, "wir sehen jedoch mit Sorge, dass die Situation immer schwieriger wird." Auch auf Bundesebene wird derzeit versucht, dass Problem durch eine neue, ministeriumsübergreifende Initiative zu lösen.
Ab 2019 soll es Personaluntergrenzen geben
Verdi reicht das nicht. "Seit Jahren weisen wir auf den Personalbedarf hin", sagt Hinke. Das Hauptanliegen der Gewerkschaft sei, wieder zur sogenannten "bedarfsgerechten Personalplanung" zurückzukommen. Diese wurde 1996 abgeschafft. Zwischenzeitlich finanzieren sich Kliniken über die sogenannten Fallpauschalen für Behandlungen und Diagnosen.
Das erzeuge, so Hinke, ein "Hamsterrad", weil die Kliniken versuchen, weniger Geld auszugeben, als sie über die Fallpauschalen einnehmen – um einen Gewinn, beziehungsweise keinen Verlust zu erwirtschaften. Und meist, so der Gewerkschafter, würde beim Personal eingespart.
Zwar sollen ab 2019 in sogenannten patientensensiblen Bereichen – wie bei Intensivstationen und bei Nachtdiensten – Personaluntergrenzen gelten. Bei diesen, kritisiert Hinke, orientiere man sich aber "am unteren Bereich". Vielmehr müsse darauf geachtet werden, dass auf Stationen Personaluntergrenzen festgelegt werden, mit denen tatsächlich eine Versorgung sichergestellt werden kann, die für den Patienten als bedarfsgerecht gilt. Dass das derzeit nicht möglich ist, hat Verdi nach eigenen Angaben jüngst mit einer Umfrage unter Klinikpersonal gezeigt (siehe Kasten oben).
Doch wenn man nun mehr Personal einplant – bekommt man es denn auch? Derzeit sind allein am Uniklinikum der LMU 180 Stellen unbesetzt. Vor allem im Bereich Intensivmedizin, aber auch im OP-Dienst fehlen Pfleger. Die Klinikleitung lockt neue Mitarbeiter mit Kindergartenplätzen, Fortbildungen oder klinikeigenen Apartments. Auch die TU wirbt mit subventionierten Personalwohnungen um neue Arbeitskräfte, um ihre 140 offenen Stellen zu besetzen – und sucht verstärkt im Ausland nach Fachkräften.
Vielleicht bräuchte es aber gar nicht unbedingt so viel mehr neue Krankenschwestern, sondern bessere Arbeitsbedingungen. Laut Verdi sind mehr als 45 Prozent der Pflegekräfte in Teilzeit beschäftigt.
Das liege, so die Gewerkschaft, auch an der hohen Arbeitsbelastung. Bessere Arbeitsbedingungen wie Dienstpläne, die einem planbare Arbeits- und Freizeiten und Erholung ermöglichen, seien der Schlüssel. Dann würden auch weniger Krankenschwestern von ihrer Arbeit krank werden, mehr würden wieder Vollzeit arbeiten wollen – und wahrscheinlich wäre es auch einfacher, neue Kollegen für die Station zu gewinnen.
Berechnungen von Verdi: 12.000 Pfleger fehlen in Bayern
Bundesweit müsste nach Berechnungen der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi den Krankenhäusern die Stellenanzahl um 22 Prozent erhöht werden. "Für Bayern ergibt die Erhebung einen Personalbedarf von knapp 12.000 Pflegekräften zusätzlich zu den etwa 51.000 vorhandenen", erklärt Robert Hinke von Verdi. "Für den Krankenhausalltag bedeutet dies – auch in Bayern – für Patienten und Beschäftigte gesundheitsgefährdende Pflege." Für Verdi sprechen die Zahlen dafür, dass das Gesundheitswesen nur noch durch Mitarbeiter funktioniert, "welche dauerhaft über ihre Belastungsgrenze hinaus arbeiten".
Neue Initiative im Bund
Auch auf Bundesebene ist der Fachkräftemangel in Kliniken ein Thema. Am Dienstag haben Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), Familienministerin Franziska Giffey (SPD) und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) angekündigt, zusammen mit Arbeitgebern, Gewerkschaften und Verbänden Vorschläge zu erarbeiten, wie der Arbeitsalltag von Pflegekräften verbessert werden kann. So sollen mehr Menschen für den Beruf begeistert werden – und die Personaldecke dicker werden (AZ berichtete). Schon auf den Weg gebracht hat Spahn eine neue Finanzierung für Pflegestellen: In Kliniken soll jede aufgestockte Pflegestelle künftig komplett von den Krankenkassen bezahlt werden. Zuvor hatten sich an den Kosten die Krankenhäuser beteiligen müssen.
AZ-Kommentar zum Thema: Fachkräftemangel in Kliniken - In Balance bringen