Wie ist das so im Bundestag? Eine Münchner Novizin erzählt

Die Münchnerin Saskia Weishaupt (28) ist für die Grünen in den Bundestag eingezogen. Wie es da so zugeht - und wofür sie sich engagieren will.
Natalie Kettinger
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Eine Wohnung in Berlin hat sie schon, auf das eigene Büro wartet sie noch: Saskia Weishaupt, Bundestagsabgeordnete der Grünen.
Eine Wohnung in Berlin hat sie schon, auf das eigene Büro wartet sie noch: Saskia Weishaupt, Bundestagsabgeordnete der Grünen. © Elias Keilhauer

München/Berlin - In den wenigen Wochen seit der Bundestagswahl habe sie so viel Neues erlebt, dass es für ein ganzes Jahr gereicht hätte, sagt Saskia Weishaupt und schüttelt ungläubig den Kopf. "Es ist einfach überwältigend." Vor Kurzem noch Wissenschaftliche Mitarbeiterin des grünen Landtagsabgeordneten Florian Siekmann, sitzt die 28-jährige Politologin nun selbst im Parlament - allerdings in Berlin, nicht in der bayerischen Landeshauptstadt.

Die Münchnerin ist über Listenplatz 11 der Freistaat-Grünen in den Bundestag eingezogen. Künftig wird sie dort Ansprechpartnerin sein für die Menschen im Münchner Osten.

Die Wohnungssuche gestaltet sich in Berlin schwierig

Wie ist das so als Frischling im Zentrum der Macht? Ganz einfach offenbar nicht und das beginnt schon bei der Wohnungssuche, die in Berlin ähnlich aufreibend ist, wie in München. Immerhin: Seit 1. November hat Saskia Weishaupt in der Hauptstadt ein "eigenes" Dach über dem Kopf - sie teilt sich eine Wohnung mit der Landshuter Bundestags-Novizin Marlene Schöneberger (30) und Emilia Fester aus Hamburg, mit 23 Jahren die jüngste Abgeordnete im Parlament.

Noch ist die Einrichtung nicht komplett. "Aber", sagt Weishaupt, "wir sind auf einem guten Weg. Andere suchen immer noch."

Die Sache mit dem eigenen Büro gestaltet sich deutlich langwieriger, was auch daran liegt, dass das Parlament auf rekordverdächtige 736 Abgeordnete angewachsen ist und akute Knappheit herrscht (und daran, dass es mitunter rekordverdächtig lange dauert, bis ausscheidende Parlamentarier ihre Umzugskartons gepackt haben).

Noch erhält Weishaupt in den Arbeitsräumen des Straubinger Parteifreundes Erhard Grundl im wahrsten Sinne des Wortes politisches Asyl, also einen Schreibtisch. Mitte des Monats wurde ihr ein halbes Büro in Aussicht gestellt, "im Februar bekomme ich vielleicht ein ganzes".

Die Hilfsbereitschaft gegenüber Neulingen ist groß

Das Durchschnittsalter der Berliner Volksvertreter liegt laut "Spiegel" bei etwa 47,5 Jahren - und ist damit so niedrig wie seit Jahrzehnten nicht mehr. 47 Abgeordnete (sechs Prozent) sind demnach jünger als 30 - die meisten bei Grünen und SPD.

Ein Umstand, den offenbar auch einige Mitarbeiter und Sicherheitskräfte des Hohen Hauses erst verinnerlichen müssen. Saskia Weishaupt erzählt, wie sie mit anderen Neu-Parlamentariern oben in der Reichstagskuppel stand und hinuntersah, als plötzlich die Bundestagspolizei nervös wurde und ihre Besucherausweise sehen wollte. "Viele hier sind einfach wahnsinnig überrascht darüber, dass junge Leute nicht Besucher, sondern Abgeordnete sind", sagt die frühere Sprecherin der Grünen Jugend in Bayern.

Andererseits sei die Hilfsbereitschaft beeindruckend, bei den "alten Hasen" ebenso wie bei den Beamten. Schon in den ersten Tagen hätten sowohl die Fraktion als auch die Bundestagsverwaltung den Neuankömmlingen regelrechte Stundenpläne vorgelegt mit Kurzseminaren zu zahlreichen Themen: von "Wie ist die Fraktion organisiert?" über "Wie versteuert man Diäten?" bis hin zu "Wie läuft die Bezahlung der Mitarbeiter über die Bundestagsverwaltung?".

Weishaupt erzählt: "Hier muss man für alles ein Formular ausfüllen"

Dazu kommen Kennenlern-Abende mit den alten und neuen Fraktionsmitgliedern sowie regelmäßige Briefings über den Stand der Koalitionsverhandlungen. Und dann noch der ganze Papierkram. "Hier muss man für alles ein Formular ausfüllen: Zuschüsse, Krankenversicherung, Laptop, Büromaterial", so die Abgeordnete.

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Die erste Zeit sei so vollgepackt gewesen, sagt Saskia Weishaupt, dass sie es nicht einmal geschafft habe, eine sozialdemokratische Weggefährtin in persona zu treffen, die nun ebenfalls dem Bundestag angehört: die Vize-Vorsitzende der bayerischen Jusos, Carmen Wegge, die im Kreis Starnberg kandidiert hatte.

"In den ersten Wochen war jeder in seinem eigenen Tunnel. Wir haben uns nur über Instagram ausgetauscht." Vielleicht auch über den Tipp, den dienstältere Parlamentarierinnen den Anfängerinnen gegeben haben. "Kolleginnen haben gewarnt, dass, wenn man den Plenarsaal auf der Seite der AfD betritt, mit anzüglichen Kommentaren zu rechnen ist", erzählt Weishaupt.

Weishaupt will sich besonders in der Pflege engagieren

In den kommenden vier Jahren würde sich die Münchnerin gerne im Gesundheits- und Pflegeausschuss einbringen, weil ihr das Thema auch aus familiären Gründen am Herzen liegt: "Meine Mutter ist Altenpflegerin. Meine Schwester und mein Schwager arbeiten in der Pflege und ich selbst habe in einem Pflegeheim gejobbt."

Zeitmangel, Schichtdienst, Überstunden wegen Personalnotstands - all das sei ihr seit der Kindheit bekannt. "Das hat mich geprägt und es macht mich betroffen, dass es gerade in diesem Bereich so viele Missstände gibt." Zumal sich die Entwicklung angesichts des demografischen Wandels stetig verschärfe. "Ich möchte nicht in einer Gesellschaft leben, in der alte Menschen nur noch eine Randnotiz sind."

Saskia Weishaupt will sich deshalb für die Pflege-Ausbildung engagieren. "Erstens ist das ein Feld, das dringend mehr Aufmerksamkeit benötigt. Und zweitens hat man gleichermaßen Kontakt zu jungen Pflegekräften wie zu Senioren - das spricht mich an."

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5 Kommentare
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  • Der wahre tscharlie am 15.11.2021 15:13 Uhr / Bewertung:

    Es ist immer zu befürworten, wenn sich junge Menschen für die alte Generation einsetzen.

  • Dr. Schönfärber am 15.11.2021 16:05 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Der wahre tscharlie

    Richtig! Und umgekehrt auch. Die jungen profitieren von den alten und die alten von den jungen.

  • Preißnjaga am 15.11.2021 14:55 Uhr / Bewertung:

    Ich habe einen kleinen Einwand, den ich hier gerne zur Sprache bringen möchte.
    Die Grünen scheinen sich in manchen Dingen nicht ganz einig zu sein.

    Frau Weishaupt möchte sich für die Altenpflege einsetzen sagt: "Ich möchte nicht in einer Gesellschaft leben, in der alte Menschen nur noch eine Randnotiz sind."
    2013 allerdings hat eine, heute namhafte, Parteikollegin von Frau Weishaupt, die Aufbaugeneration als Alt-Nazis verunglimpft.

    Das erscheint mir etwas widersprüchlich.

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