Verkehr in München: Von der Stau-City zur Fahrrad-Stadt?

Die Zahl der Autos wächst leicht, die Zahl der Radler in München dagegen steigt rasant an. Wer soll künftig wie viel Platz bekommen? Und wie viele Tunnel braucht die Stadt – und vor allem wo?
von  Julia Lenders

München Autostadt oder Radlstadt? Oder beides? In zentralen Verkehrsfragen stehen in München in den nächsten Jahren wichtige Weichenstellungen an. Die neue Stadtregierung wird gewaltige Probleme zu lösen haben. Die AZ fasst die Ausgangslage zusammen.

GENERELLER TREND Studien zeigen: Immer mehr Menschen steigen aufs Radl. Und gerade jüngere Erwachsene verzichten zugunsten anderer Verkehrsmittel oft aufs Auto. Das drückt sich auch in konkreten Zahlen aus. Die jüngste Erhebung zum Radlverkehr stammt aus dem Jahr 2011. Sie ergab: Die Münchner legen 17,4 Prozent ihrer Wege mit dem Radl zurück.

Beim Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) geht man davon aus, dass diese Zahl inzwischen überholt ist und fast 20 Prozent erreicht sind. Fakt ist: Zwischen 2002 und 2011 ist der Wert um 70 Prozent gestiegen. Zwar hat auch die Zahl der Kfz zuletzt zugenommen. Aber: Im Langzeitvergleich sind es immer noch weniger Fahrzeuge als vor zehn Jahren. 2012 waren 651743 Autos in der Stadt registriert – rund vier Prozent weniger als 2002.

Wegen des starken Zuzugs nach München wird künftig natürlich auch der Autoverkehr mehr werden. Wobei die Stadtverwaltung kürzlich bei einer Untersuchung zur Rosenheimer Straße bloß von einem leichten Plus ausging: In den nächsten zwölf Jahren werde die Kfz-Verkehrszunahme dort im einstelligen Prozentbereich liegen.

RADFAHRSTREIFEN Muss der bisherige Platz neu zwischen den Verkehrsteilnehmern aufgeteilt werden? In Internet-Foren nimmt diese Debatte manchmal fast die Züge eines Glaubenskrieges an. Jüngstes Beispiel: die eben genannte Rosenheimer Straße. Die Frage, ob Autofahrer eine Spur abtreten müssen, damit Pedalisten einen Radlfahrstreifen bekommen können, spaltet die Gemüter.

So sehr, dass sich der Stadtrat vor der Wahl nicht mehr zu einer Entscheidung durchringen konnte. Das Problem aber bleibt. Und zwar nicht nur dort: Andernorts sind die vorhandenen Radlwege längst zu schmal geworden für die immer größer werdende Gruppe der Velo-Fahrer. Für solche Nadelöhre, zu denen zum Beispiel auch die Lindwurmstraße gehört, muss eine Lösung gefunden werden.

TUNNEL Heftige Diskussionen und weitreichende Entscheidungen stehen auch beim Thema Tunnel an. Braucht der Mittlere Ring neue Röhren? Wo ist der Bedarf am größten? Und was wird es kosten, den Verkehr unter die Erde zu schicken? In der zweiten Hälfte dieses Jahres sollen die Antworten vorliegen. Für die Tegernseer Landstraße und Landshuter Allee hat die Stadt schon verschiedene Varianten durchrechnen lassen.

Die Anwohner in beiden Straßen leiden unter dem hohen Verkehrsaufkommen. Starke Fürsprecher hat aber auch das Vorhaben, den Englischen Garten durch einen Tunnel am Isarring wieder zu vereinen. Dort sind das Problem zwar – anders als in Neuhausen und Giesing – nicht lärmgeplagte Anwohner. Aber die Staufalle an der Ifflandstraße kostet Autofahrer Nerven. Der Knackpunkt bei all dem: Tunnel sind teuer. Der Bau aller drei Röhren würde eine Milliardensumme verschlingen. Geld, das manch einer lieber anders investiert sähe.

AUTOFAHRER-BEWERTUNG Michael Haberland vom Münchner Automobilclub „Mobil in Deutschland e. V.“ würde dem Autoverkehr in München „die Schulnote 2- bis 3+ geben“. Als eines der Hauptprobleme sieht er den täglichen Stau in der Stadt an. Kürzlich hatte eine Auswertung des Navi-Anbieter „TomTom“ ergeben:

Ein Münchner, der täglich zwei Mal eine 30-Minuten-Tour zur und von der Arbeit absolviert, steht pro Jahr 74 Stunden im Stau. Daher hält Haberland auch nichts von der Idee, Radfahrstreifen auf Hauptverkehrsstraßen anzulegen. „Das führt jeden Tag zum Desaster!“, sagt er. Für ihn ist die Forderung nach solchen Radlstreifen „reine Ideologie“. „Dabei geht es nur darum, Autofahrern zu zeigen, dass sie in der Stadt nichts verloren haben.“ Umso richtiger findet der Automobilclub-Chef die Tunnelbau-Pläne der Stadt. „Wenn man das nicht angeht, wird München irgendwann die Zeche zahlen.“

RADLER-BEWERTUNG Martin Glas vom ADFC München gibt dem Radlverkehr in unserer Stadt eine Schulnote zwischen 2 und 3. In den vergangenen Jahren sei einiges besser geworden. „Aber es ist noch viel zu tun.“

Was ihn zuletzt aufbrachte, ist die Zögerlichkeit des Stadtrats in Sachen Rosenheimer Straße. Da hätten die großen Parteien gezeigt, dass sie nicht bereit seien, den Platz zugunsten der Radler umzuverteilen. „Das ist nichts, was man einer potenziellen Radlhauptstadt durchgehen lassen kann.“

Weiteren Handlungsbedarf sieht Martin Glas vor allem in der Lindwurmstraße, aber auch in der Leopold-, Ludwig-, Nymphenburger- und Landsberger Straße. Neue Tunnel am Ring sieht der Münchner ADFC-Vize skeptisch. Wegen der hohen Kosten für Bau und Unterhalt – und weil neue Infrastruktur auch immer Verkehr anziehen würden. Sein Credo: „Wenn schon Tunnel, dann für die U-Bahn.“

Das sagen die Parteiexperten zum Thema Verkehr:


SPD: "Ausgewogen organisieren"

Ingo Mittermaier, Verkehrspolitischer Sprecher der SPD-Stadtratsfraktion: „Immer mehr Münchnerinnen und Münchner nutzen das Rad. Das ist eine positive Entwicklung, die die SPD-geführte Stadt seit Jahren intensiv unterstützt, etwa durch den Ausbau von Radwegen, die Einrichtung von Radlstraßen oder das Öffnen von Einbahnstraßen für Radler. Die Mittel für den Radwegebau haben wir in dieser Wahlperiode verdreifacht.

Wir wollen diesen erfolgreichen Weg der Förderung des Radverkehrs auch zukünftig weiterverfolgen und beispielsweise noch mehr Abstellflächen für Fahrräder schaffen. Von der Idee der „autogerechten Stadt“, so wie wir sie aus amerikanischen Städten kennen, haben sich bereits unsere Vorgänger vor Jahrzehnten aus guten Gründen verabschiedet. Die Lebensqualität für die Menschen in unserer Stadt war ihnen wichtiger. Dies gilt für uns heute unverändert.

Dennoch wird es weiterhin gute Gründe für die Fahrt mit dem Auto geben. Mobilität ist schließlich ein hohes Gut. Deshalb setzen wir auch in Zukunft darauf, Auto- und Radverkehr ausgewogen zu organisieren. Das ist vernünftige Verkehrspolitik!“

CSU: "Raum intensiver nutzen"

 

Michael Kuffer, auf Platz 9 der CSU-Liste: „Erheblicher Zuzug und ein gesteigertes Bedürfnis nach individueller Mobilität erfordern ein verträgliches Nebeneinander und Miteinander der Verkehre. Die Lieferverkehre werden zunehmen. Der unideologische Schluss daraus: Wir werden zukünftig insgesamt mehr Verkehr haben. Und daher auch mehr Raum für die Verkehre brauchen oder den vorhanden Raum intensiver nutzen.

Bei so steigenden Verkehrsbedürfnissen ist es falsch und altmodisch, Verkehrsraum einfach nur umverteilen zu wollen. Genauso falsch ist es, den Menschen ihr Mobilitätsverhalten vorzuschreiben. Die Menschen nutzen schon heute das Verkehrsmittel, das für die jeweiligen Entfernung bzw. den jeweiligen Zweck das jeweils beste ist.

Wir brauchen deshalb ein Versöhnen der verschiedenen Verkehre und eine Gesamtlösung, die nicht den Raum nur umverteilt, sondern mehr Raum für die Verkehre schafft. Die großen Verkehrsadern müssen unter die Erde, damit oben der Radverkehr Platz hat. Bestes Beispiel ist der Petuelpark auf dem Mittleren Ring. Genau so sieht zukunftsgerichtete Verkehrspolitik aus.“

GRÜNE: "Radl-Kampagne an die Schulen"

 

Paul Bickelbacher, auf Platz 4 der Grünen-Liste: „In den letzten zehn Jahren ist die Zahl der Wege mit dem Rad um über 70 Prozent gestiegen. Der Umstieg kam im Wesentlichen vom Auto. Dieser Trend tut der Stadt gut, denn er verschafft ihr frische Luft und Platz – und lässt sich weiter steigern, weil in München 60 Prozent der Wege kürzer sind als fünf Kilometer und damit ideal fürs Rad.

Dafür wollen wir – auch auf Kosten des Autoverkehrs, wie in der Rosenheimer Straße – weiter Radstreifen aufmalen und Abstellplätze schaffen, im Straßenraum und an S- und U-Bahnhöfen. Für die Zukunft packen wir das MVG-Rad als kommunales Leihradsystem an und bauen Radschnellwege bis hinaus ins Umland.

Wir gehen mit der Radlkampagne weiter in Schulen, um schon Kindern Freude am Fahrrad zu vermitteln und werden bei Firmen dafür werben, dass sie Diensträder gleichberechtigt wie Dienstwagen behandeln. Um vermeidbaren Autoverkehr zu reduzieren, entwickeln wir das Parkraummanagement weiter. Grün ist nämlich die Förderung stadtverträglicher Mobilität – und nicht das Vergraben der Probleme unter der Erde.“

FDP: "Es geht um eine menschliche Stadt"

 

Michael Mattar, Spitzenkandidat der FDP: „Die Stadt ist für alle da. Ich fahre mit Tram, U- und S-Bahn, dem Auto und Radl, gehe zu Fuß und nehme auch mal ein Taxi. So wie viele andere auch. Wir dürfen den Menschen nicht vorschreiben, wann sie welches Verkehrsmittel nehmen sollen.

Ich bin davon überzeugt, dass die Münchner so vernünftig sind und nach ihren Bedürfnissen das für sie „richtige“ Verkehrsmittel wählen. Den fließenden Autoverkehr zu behindern, um Staus zu produzieren, ist unsinnig und umweltschädlich. Um dem Fahrradverkehr mehr Platz zu geben, müssen manchmal Parkplätze geopfert werden. Deshalb sind Anwohnergaragen so wichtig.

Oder man bringt den Autoverkehr unter die Erde. Dann gibt es mehr Platz für Radler und Fußgänger, was vorbildlich über dem Petueltunnel geschehen ist. Generell brauchen wir mehr Verständnis und Rücksichtnahme im Straßenverkehr. Als Fußgänger fühlt man sich manchmal gerade von Fahrradfahrern gejagt. Deshalb geht es nicht um die Frage Auto- oder Radlstadt, sondern um eine menschliche Stadt.“

 

 

 

 

 

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.