Fußgängerzone in München verschwunden: Vor Kurzem saßen hier noch 300 Menschen an einer langen Tafel

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Es ist, als wäre nie was gewesen. In der Weißenburger Straße in Haidhausen herrscht am Donnerstagmittag ganz normaler Betrieb. Ein Pkw parkt gerade am Straßenrand ein, ein Paketbote steht mit seinem Transporter in der zweiten Reihe. Radfahrer und Fußgänger kreuzen, nur Eine traut sich, noch auf der Straße am Fahrbahnrand zu laufen. Die Pflanztröge, Hochbeete und Sitzgelegenheiten sind verschwunden.
Abschiedsdinner zum Ende des Versuchs
Noch vor drei Tagen, am Dienstagabend, saßen hier mitten auf der Straße gut 300 Menschen an einer langen Tafel zusammen. Mit diesem Wild Dinner wurde die temporäre Fußgängerzone am letzten Abend des Verkehrsversuchs von der Bürgerinitiative Haidhausen für Alle und vielen, die sich an ihr erfreuten, verabschiedet. Ein italienisches Spezialitätengeschäft aus der Straße hatte Wein spendiert, eine Band spielte.
Für die Fußgängerzonen-Fans war der Abend ein Beleg dafür, wie viele Menschen das Projekt über das Versuchsjahr lieb gewonnen und für gut befunden haben. Mit einer Petition an die Stadt setzen sie sich schon seit einiger Zeit dafür ein, dass die Fußgängerzone nach dem Verkehrsversuch verstetigt wird (AZ berichtete). Über 3500 Unterschriften hat die Initiative bereits gesammelt. In der Petition wird auch ausgeführt, wie man die Interessen von Bürgern wie Gewerbetreibenden unter einen Hut bekommen könnte, denn die Testphase fanden selbst die Befürworter leider nicht perfekt.

Nach dem Ende sofort mehr Kundschaft
Das sehen die Fußgängerzonen-Skeptiker freilich auch so und viele von ihnen sind froh, dass der Verkehrsversuch nun endet und zurückgebaut wurde. Etwa Wolfgang Fehmer von Dolezel Tresore und Sicherheitstechnik. Seit 60 Jahren gebe es das Geschäft, erzählt er, und er habe kaum Laufkundschaft, sondern Kunden, vor allem Unternehmen, die gezielt zu ihm kommen – oft von weiter weg und oft mit dem Auto.
80 Prozent Minus bei den Tresoren habe er in dem Jahr gehabt, sagt Fehmer. Und die Hausmeister, die bei ihm Schlüssel und Türschilder abholen, teilweise aus ganz anderen Stadtbezirken, hätten geschimpft wegen der Parkplatzprobleme. Allein in diesen ersten zwei Tagen seit dem Rückbau habe er wieder mehr Kundschaft und gestiegene Umsätze.
Er ist nicht der einzige Ladeninhaber, der das beim AZ-Besuch am Donnerstag berichtet.
Die Fußgängerzone, findet er, habe auch nicht funktioniert. "Die Fahrradfahrer haben es am allerwenigsten kapiert und sind hier mit 20 km/h durch", sagt er. Was ihm aber noch wichtiger ist: "Das war die belebteste Straße im Viertel. Und dann war die Straße tot. Jetzt ist hier wieder normales Leben."
Eine Einbahnstraße und mehr Lieferzonen wären eine Idee
Der Unternehmer sagt aber auch: "Ich finde selber, dass zu viele Autos in der Stadt unterwegs sind." "Und solche Dicken" - er weist auf einen vorbeifahrenden SUV - "braucht es gar nicht in der Stadt". Eine Einbahnstraße wäre seiner Meinung nach eine gute Lösung für die Weißenburger Straße und viel weniger Parkplätze, stattdessen nur noch Parkzonen für den Lieferverkehr und Kurzzeitparken.
Das passt zu einem weiteren Aspekt, den man ziemlich übergreifend in der Straße hört: Der jetzt wieder hergestellte Zustand mit Pkw und Parkplätzen sei nicht die gewünschte Lösung. "Es war nie ein Entweder-oder, es ging immer darum, dass eine reine Fußgängerzone nicht geeignet ist", sagt ein Ladenbesitzer. Diese Feinheit sei aber leider in der Diskussion und auch in der Berichterstattung oft untergegangen.

Die Gräben zwischen den Menschen sind tief
Und noch etwas, das kann man überall hören, gilt übergreifend: Man wünscht sich wieder Ruhe und Frieden, mehr leben und leben lassen und auch mehr Miteinander. Das Projekt hat das Viertel gespalten, es gab teils heftige Anfeindungen, Aggressionen, Vandalismus. Es wurde auf Autodächer geschlagen und Scheiben gespuckt, Schaufenster beschmiert und beklebt und Pflanzen und Beete zerstört. Es wurde geschimpft, beleidigt und sogar gedroht.
Die Gräben sind teilweise tief. Man hört und spürt: Das müssen die Menschen erst einmal verdauen. Spricht man das Thema in der Straße an, kommt die Diskussion sofort wieder in Fahrt, zugleich scheint eine Art kollektive Erschöpfung ob des Themas zu herrschen. "Ich hätte nie gedacht, dass man so ins Kreuzfeuer geraten kann", sagt einer. "Ich mache mir Sorgen, dass die Spaltung jetzt noch mal schlimmer wird, weil es abgebaut ist." Und er seufzt: "Dabei gibt es ja wirklich wichtigere Themen auf der Welt."
Frust gegenüber der Politik – Stadtrat wird entscheiden
Und auch Frust in Richtung Politik ist durchaus vorhanden. Vornehmlich auf die Grünen, obwohl auch die SPD im BA stets engagiert für die Fußgängerzone gekämpft hat. Als "Schikane" und "Verarsche" hat Wolfgang Fehmer etwa den ganzen Beteiligungs- und Umsetzungsprozess empfunden.
Ob hier wieder eine Fußgängerzone oder andere Variante der Verkehrsberuhigung kommt, ist noch offen. Das Mobilitätsreferat evaluiert den Versuch und erstellt daraus eine fachliche Empfehlung an den Stadtrat, der dann entscheiden wird. BA-Chef Jörg Spengler (Grüne) geht davon aus, dass das erst nach der Kommunalwahl im März 2026 passiert – die Stadtratsmehrheiten könnten dann andere sein als heute.
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