Um diese Fußgängerzone in München gibt es Streit: Ehrenamtliche bleiben beharrlich

Schon seit der Planungsphase begleitet die AZ das Projekt einer Fußgängerzone in der Weißenburger Straße. Der Pilotversuch läuft nun seit fast acht Monaten. Zeit für einen Zwischenstand.
Myriam Siegert
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Viel Platz vor allem für Fußgänger bietet der Verkehrsversuch in der Weißenburger Straße, zwischen Weißenburger und Pariser Platz.
Viel Platz vor allem für Fußgänger bietet der Verkehrsversuch in der Weißenburger Straße, zwischen Weißenburger und Pariser Platz. © Hannes Magerstädt

München - Ein Kleinkind düst mit dem Laufrad herum, ein kleiner Hund jagt seinem Ball hinterher, vor allem aber kreuzen Fußgänger und Radler auf dem Weg von und zum Einkaufen oder in den Feierabend. Es ist einiges los an diesem späten Donnerstagnachmittag in der Weißenburger Straße in Haidhausen – obwohl es kurz zuvor noch geregnet hat und eher kühl ist. An den Hochbeeten, die am Straßenrand dort stehen, wo bis zum vergangenen Sommer geparkt werden durfte, werden gerade die ersten Frühlingspflanzen gesetzt. Mit den Ehrenamtlichen, die sich unter anderem um die Beete kümmern, ist die AZ hier zum Ortsbesuch verabredet. Wie läuft's in der Weißenburger Straße?

Weißenburger Straße: In der Nacht ruhiger, am Tag belebter

Seit acht Monaten dürfen Fußgänger und Radler, Letztere offiziell nur im Schritttempo, hier die ganze Straßenbreite nutzen. Der Durchgangsverkehr ist ausgesperrt, mit dem Pkw einfahren dürfen nur Anwohner und zu bestimmten Zeiten Lieferverkehr sowie alle, für die eine Ausnahmeregelung greift, wie etwa Schwerbehinderte oder Taxis, die Patienten zu Arztpraxen bringen.

"In der Nacht ist es jetzt viel ruhiger", erzählt Jacob Thomas, der mit seiner Familie seit fünf Jahren hier in der Straße lebt. Am Tag hingegen sei es noch einmal "deutlich belebter" als es hier ohnehin schon war. Im positiven Sinne.

Thomas, der im Viertel aufgewachsen ist, gehört zur Hochbeetgruppe, die sich hier gegründet hat, um den Verkehrsversuch mit Leben zu füllen. "Viele freuen sich sehr", sagt Anja Voss, die ebenfalls ein Beet betreut. "Es ist spannend, zu sehen, wie es hier aussehen kann, wenn nicht alles mit ruhendem Verkehr voll steht", erklärt sie. Beide sind sich einig, gerade Familien mit Kindern, freuten sich über die Möglichkeit zu einem bisschen urbanem Garteln und über den zusätzlichen Raum, um sich hier aufzuhalten.

An beiden Seiten der Fußgängerzone steht es deutlic: Radfahrer müssen Schrittempo einhalten.
An beiden Seiten der Fußgängerzone steht es deutlic: Radfahrer müssen Schrittempo einhalten. © Hannes Magerstädt

Voss und Thomas gehören zur Bürgerinitiative Haidhausen für Alle, die sich für die Fußgängerzone einsetzt, auch Veranstaltungen und Mitmachaktionen organisiert. "Wir versuchen aus einer bürgerschaftlichen Warte Engagement einzubringen und diese Testphase zu gestalten", sagt Jacob Thomas.

"Es gibt auch Kritisches, aber das ist ja auch ok" 

Während die AZ-Reporterin mit den beiden auf einem der vielen Bankerl sitzt und spricht, grüßen immer wieder Vorbeigehende, interessieren sich für die Beete oder einfach, wie es geht. "Man kommt mit vielen ins Gespräch und in der Regel ist das auch positiv", sagt Anja Voss. "Es gibt auch kritisches, aber das ist ja ok. Ich finde auch manches kritikwürdig", sagt sie und lacht.

Anja Voss und Jacob Thomas von der Bürgerinitiative Haidhausen für Alle an einem der frisch bepflanzten Beete in der Weißenburger Straße.
Anja Voss und Jacob Thomas von der Bürgerinitiative Haidhausen für Alle an einem der frisch bepflanzten Beete in der Weißenburger Straße. © Hannes Magerstädt

Sie erlebe vielleicht zwei, drei Leute, bei denen sie den Eindruck habe, dass sie an einem echten Austausch zu dem Thema nicht interessiert sind. Aber ansonsten... "Wir, die wir ja oft hier sind, haben nach wie vor nicht den Eindruck, dass die Mehrheit dagegen ist."

Beete werden regelmäßig zerstört

Trotzdem nimmt die Dauer-Diskussion um die Fußgängerzone teilweise unschöne Züge an. Die Beete etwa werden regelmäßig beschädigt und zerstört, erzählt Anja Voss. Sie zeigt auf ein paar Kohlenreste am Boden und neben den frisch gepflanzten Tausendschön. "Hier hat jemand von uns heute schon einen ganzen Berg Kohle weggemacht, inklusive Plastiksack, den jemand über Nacht ins Beet gekippt hat." Jacob Thomas erzählt, im Winter habe jemand Streusalz in alle Beete gekippt, "auch in die mit großen Bäumen drin". Beete wurden auch schon gekippt und verschoben. Pflanzen immer wieder herausgerissen.

Die Hochbeete werden von Ehrenamtlichen bewirtschaftet.
Die Hochbeete werden von Ehrenamtlichen bewirtschaftet. © Hannes Magerstädt

Und auch die sonstige Arbeit der Bürgerinitiative werde sabotiert, sagt Voss. Plakate und Aushänge, in der Straße oder am Infobrett, das die Initiative eingerichtet hat, weil sich Bürger nicht ausreichend informiert fühlten, werden abgerissen, beschmiert oder überklebt, teils sogar mit Sprühkleber. Anja Voss zeigt auf einen Zettel, der zu einer Osteraktion einlädt. "Wer macht sowas?"

Jetzt ist hier Platz für die Menschen

Die Fußgängerzone, das ist bekannt, hat nicht nur Fans. Die Kritik daran können und Voss und Jacob teilweise nachvollziehen, teilweise auch nicht. 
"Ich finde, es ist ein Geben und Nehmen", sagt Anja Voss. Sie erinnert sich noch gut, dass hier früher kaum Platz war, dass zwei Kinderwagen auf dem Gehweg aneinander vorbeifahren, sagt sie. Jetzt hätten die Menschen Platz, können verweilen und sich austauschen.

Aushänge abgerissen, Info-Brett mit Beleidigungen beschmiert. So sah es Montagmorgen aus.
Aushänge abgerissen, Info-Brett mit Beleidigungen beschmiert. So sah es Montagmorgen aus. © privat

Dass die Straße jetzt noch belebter ist, würden die meisten Geschäfte sicher positiv spüren, da sind sich Voss und Thomas sicher. Und auch der von manchen befürchtete Ärger mit lärmendem Partyvolk sei ausgeblieben. Weggefallene Parkplätze, großteils Kurzzeitparkplätze, hat die Stadt teils ersetzt, zudem gebe es ein wenig ausgelastetes Parkhaus in der Pariser Straße, nur wenige Meter entfernt. "Das wurde ja mal gebaut, weil es schon in den 70ern die Idee gab, die komplette Weißenburger Straße bis zum Orleansplatz zur Fußgängerzone zu machen", sagt Anja Voss.

Und dass viele Gegner nach wie vor beklagen, nicht oder nicht ausreichend informiert worden zu sein? "Das ganze Projekt wurde ohne große Kommunikation an die Anwohner mitgeteilt", sagt auch Jacob Thomas. Andererseits: Schon in der gesamten Planungsphase mindestens seit 2021 war das Projekt in Bezirksausschusssitzungen und Bürgerversammlungen Thema. Eine erste Umfrage dazu machte die Haidhauser SPD schon 2019. Allein 2023 gab es mehrere Informationsveranstaltungen für Bürger und Händler, auch digital; 2024 drei Demokratiecafés, in denen man sich einbringen konnte und seit September 2024 allein drei Bürgersprechstunden zum Thema. 

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Anja Voss und Jacob Thomas kritisieren hier auch eine Schieflage in der Berichterstattung. "Die, die am lautesten schreien, finden am meisten Gehör und prägen leider auch den Ton", sagen sie.

Dabei gehe es auch anders. In der jüngsten Bürgersprechstunde zur Fußgängerzone im Januar, bei der auch eine ganze Gruppe von Gegnern anwesend war, erzählt Anja Voss, entstand eine Diskussion, die von einer Mitarbeiterin der Stadt moderiert wurde. "Und das war ein richtig guter Austausch."

Ein Problem in Haidhausen und in ganz München

Im Sinne eines guten Miteinanders versuchen sie, Kritik aufzugreifen. "Die Hochbeete waren vorher schon an anderen Orten im Einsatz und sahen dementsprechend benutzt aus", sagt Jacob Thomas. "Das wurde uns teilweise vorgeworfen". Also strich die Gruppe vor wenigen Wochen ihre Beete an, für ein schöneres Gesamtbild.

Anderes übersteigt aber auch die Möglichkeiten und Zuständigkeiten einer Bürgerinitiative aus Ehrenamtlichen. Die Sorge etwa, dass eine Fußgängerzone eine Aufwertung bedeutet, die zu noch mehr Gentrifizierung, also zu noch höheren Mieten, führen könnte. "Gentrifizierung kann man hier schon seit den 80ern beobachten. Die existiert, ob mit oder ohne Fußgängerzone", sagt Anja Voss. "Das ist ein Problem in Haidhausen und in ganz München, das man anderswie politisch lösen muss". Man könne ja nicht sagen, man macht nichts mehr schöner, weil dann alles teurer wird.

Nur ein Versuch, bei dem alle mitreden können

Was manchmal unterzugehen scheint, so empfinden es Voss und Thomas: "Das ist ja jetzt nur der Versuch, bei dem sich alle einbringen können und zu dem alle sagen können, das finde ich gut oder schlecht", sagt Anja Voss. Für Wünsche oder Anliegen von einzelnen Geschäftsleute ließen sich sicher Lösungen finden.

"Ich denke schon, dass das hier alles ergebnisoffen ist, und deshalb ärgere ich mich über das Torpedieren der Testphase." "Und ich freue mich, dass wir diese demokratische Struktur haben." Im Übrigen betont sie, "sind wir nicht komplett gegen alle Autos". "Fußgängerzone ja, aber nicht so - da sind wir uns alle einig."

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Denn auch aus der Sicht der Fußgängerzonen-Befürworter ist der derzeitige Zustand nicht die finale Version. Eine echte Fußgängerzone könne sich freilich erst entwickeln, wenn der Straßenraum auch baulich umgestaltet würde. "Der Mensch braucht länger als ein Jahr, um sich umzugewöhnen", sagt Anja Voss. Sie findet es deshalb schade, dass der Verkehrsversuch wegen des verzögerten Starts (AZ berichtete) nun nicht mal ein ganzes Jahr laufen wird.

Die Stadt, so finden es beide, könnte ihr Projekt ruhig selbstbewusster vertreten. "Wir vermissen Infostände oder -tafeln der Stadt zum Projekt und auch mit der Kontaktadresse der Stadt", sagen sie auf die Frage, was denn besser laufen könnte. "Viele bekommen die Testphase gar nicht mit und auch nicht, dass alles, was hier passiert, ehrenamtliches Engagement ist". Auch, dass das zuständige Mobilitätsreferat hier mal nach einem Stimmungsbild schaut, würden die Ehrenamtlichen gut finden.

"Im Sommer wird das hier noch richtig schön"

Anja Voss und ihre Mitstreiter hoffen natürlich, dass in der Weißenburger Straße eines Tages eine richtige Fußgängerzone entsteht. Anja Voss ist überzeugt, dass diese Sinn ergibt – und notwendig ist. "Wir wohnen in einer Stadt, die sich jahrzehntelang stark aufs Auto ausgerichtet hat. Und die werden immer mehr und größer. Dazu werden die Sommer immer heißer. Wir haben zu viel Versiegelung, wir brauchen Schatten und Grün, das Wasser muss versickern können", sagt Voss. "Und wir brauchen Platz für die Menschen".

Voss und Thomas sind überzeugt, dass es zum Sommer hin noch richtig schön wird in der Weißenburger Straße. "Für das Viertel gibt das Projekt richtig viel", sagt sie. "Das Stück Fußgängerzone zwischen Rosenheimer und Weißenburger Platz, das es schon seit den 70er Jahren gibt – das will heute keiner mehr missen."


Alle Infos zur Fußgängerzone finden sich beim Mobilitätsreferat muenchenunterwegs.de/angebote/weissenburgerstrasse oder bei der Bürgerinitiative Haidhausen für alle: haidhausenfueralle.de

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  • Guidomuc am 02.04.2025 18:55 Uhr / Bewertung:

    Ich finde es geradezu übergriffig wenn die Stadt mal eben öffentlichen Raum umwidmet ohne die Anwohner zu befragen und auch die "sekundär-Betroffenen" anzuhören Stichwort: Ausweichverkehr. Es ist empörend was eine bestimmte Clique sich herausnimmt so massiv in die Leben der Mitbürgerinnen und Mitbürger einzugreifen. In Obermenzing sollte sogar mal eine Straße (Donizettiweg) "zurückgebaut" (d.h. abgerissen) werden aber da hat dann das KVR die Reißleine gezogen: mit öffentlichen Geldern errichtete Verkehrswege können nicht mal eben umgewidmet werden. Wenn die Anlieger das nicht wollen oder die Einschnitte zu tiefgreifend sind, empfehle ich den Klageweg.

  • Gscheidhaferl68 am 01.04.2025 23:06 Uhr / Bewertung:

    Solche Versuche sind sinnlos, sobald man dann durch Radfahrer ständig umgefahren wird, und keine ruhige Sekunde hat. Es ist eine Radlzone, und KEINE Fußgängerzone, diese sind auch sehr aggressiv und fahren einen um oder drohen Prügel an, wenn man nicht schnell genug aus dem Wege geht. Solange das für Raflfahrer frei ist, bin ich dagegen

  • tutwaszursache am 02.04.2025 18:02 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Gscheidhaferl68

    Komisch, mir ist noch nie in der FGZ von einem Radfahrer Prügel angedroht worden. Von Autofahrern schon mehrfach (aber nicht in der FGZ, sondern nur in T30 Zonen). Aber auch das ist sehr selten.

    Wie oft wurden denn bislang in der FGZ Weißenburger Straße Fußgänger von aggressiven Radlfahrern umgefahren? Wo findet man die entsprechenden Unfallmeldungen?

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