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20 Meter hoher Baum stürzt um: Schutzengel in der Feilitzschstraße

Mitten in Schwabing stürzt eine 20 Meter hohe Robinie um. Ein Glück, dass niemand verletzt wird. Sind Baumaßnahmen schuld an dem Baum-Unglück?
Irene Kleber,
Nina Job
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Ein Feuerwehrkran sichert die Robinie, die über die Feilitzschstraße gestürzt ist. Die Baumkrone drückt gegen die Hauswand gegenüber.
Ein Feuerwehrkran sichert die Robinie, die über die Feilitzschstraße gestürzt ist. Die Baumkrone drückt gegen die Hauswand gegenüber. © Irene Kleber

Schwabing - Es ist viertel vor elf am Dienstag, als die Friseurin Valdeta Berisha (47) sich auf die kleine Bank vorm Salon Just Hair in der Feilitzschstraße setzt. Kollege Manuel (50) gesellt sich zu ihr, kleine Rauchpause, bevor die nächsten Kunden kommen. Aus dem U-Bahn-Aufgang Münchner Freiheit strömen Passanten hoch. Gegenüber warten Menschen bei Türkitch, der bald öffnet, auf Döner und Co. Vereinzelt fahren Autos durch die belebte Schwabinger Straße.

Und dann ist da plötzlich dieses laute Knirschen. Valdetas Blick sucht die Straße ab, von oben verdunkelt sich der Himmel - und da rauscht auch schon die riesige Robinie von der anderen Straßenseite herunter. "Ich konnte zuschauen, wie sie schräg fällt, also nicht genau auf, sondern ein paar Meter neben uns", erzählt sie der AZ.

"Es hat so laut gekracht - Wahnsinn!", erzählt die Friseurin

Einen Atemzug später trifft erst die Baumkrone, dann der Stamm die beiden Häuser gegenüber. "Es hat so laut gekracht, Wahnsinn", sagt sie. Sie sieht noch, wie ein Autofahrer, vom Wedekindplatz aus kommend, erschrocken in die Bremsen steigt und dass kein Passant unter den Baum geraten ist.

Sie ruft einer Kollegin zu, dass sie die Feuerwehr verständigen soll - dann macht sie um 10.49 Uhr das erste Handyfoto. Und nun wird klar: Da ist nicht ein großer Ast abgebrochen, da ist auch kein Stamm auseinander gekracht.

Hier sitzen Valdeta Berisha und Manuel Aponte, als der Baum umstürzt.
Hier sitzen Valdeta Berisha und Manuel Aponte, als der Baum umstürzt. © Irene Kleber

Die vier Stockwerke hohe Robinie, so eng mit Gehsteigpflaster einbetoniert, dass am Fuß nicht mehr als eineinhalb Quadratmeter Erde herausschauen, ist ganz unten an den Wurzeln gebrochen. Sogar ein paar Pflastersteine sind bei dem Baumsturz mit herausgerissen worden.

Baum liegt unter Spannung quer in der Straße: Feuerwehr rückt mit Kran an

Wenig später ist die Feuerwehr da, sperrt sofort die Feilitzschstraße ab. Die Robinie habe "urplötzlich ihre Standfestigkeit verloren", meldet sie später, und welches Glück es sei, dass es "dabei im Herzen Schwabings keine Verletzten" gegeben habe. Immerhin sind der U-Bahnhof Münchner Freiheit und der Wedekindplatz, ein Partyhotspot, nur wenige Schritte entfernt.

Da der Baum unter Spannung quer in der Straße liegt, müssen die Feuerwehrler mit einem Kran anrücken. Mit einer Kette wird der Stamm angehoben, Stück für Stück wird er mit einer Kettensäge abgeschnitten. Kompliziert wird das besonders an den Fenstern der Häuser Feilitzschstraße 1 und 3, die erstaunlicherweise beim Aufprall nicht zerbrochen sind.

Anwohnerin: "Da hat wirklich die ganze Feilitzschstraße einen Schutzengel gehabt"

"Dass da nix passiert ist, am helllichten Tag mitten in Schwabing, ist wirklich ein Wunder", sagt eine ältere Anwohnerin. Ein Schwabinger, der mit dem Radl unterwegs ist, meint, da habe "wirklich die ganze Feilitzschstraße einen Schutzengel gehabt".

Und freilich debattieren alle darüber, warum der Baum wohl umgestürzt ist. War's die Hitze und die Trockenheit? Sind Schädlinge unterwegs, die vielleicht noch mehr Bäume umfallgefährdet machen?

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Angela Burghardt-Keller, Baumexpertin beim Bund Naturschutz, vermutet, dass ein Teil der Wurzeln geschädigt gewesen sein könnte - was oberirdisch nicht unbedingt erkennbar gewesen sein muss. "Eine Ferndiagnose ist natürlich schwierig", sagt sie. "Aber man sieht auf jeden Fall, dass der Baum grün ist, er lebt!" Die Försterin sagt: "Das ist genau die Situation, vor der alle Angst haben, die Bäume kontrollieren."

Anhand von Fotos, die den Baum unmittelbar nach dem Abbruch zeigen, stellt sie fest: "Der Kipppunkt liegt sehr tief. Der Baum ist am Stammfuß abgebrochen, ein Teil der Wurzeln ist im Boden geblieben. Das könnte ein Hinweis auf Fäule sein."

Burghardt-Keller: "Verdichtung vertragen Robinien ganz schlecht"

Eigentlich gelten Robinien als sehr gute Stadtbäume, die auch mit Hitze klarkommen, betont sie. Sehr wichtig sei aber ein lockerer Boden, in dem sich die Wurzeln gut ausbreiten können. "Verdichtung vertragen Robinien ganz schlecht", erklärt Burghardt-Keller. "Der Baum hat sowieso überhaupt keinen Platz, er ist eingekastelt in den Gehsteig. Straßenbäume leben in der absoluten Kampfzone."

Würde dann auch noch immer wieder gegraben, weil Glasfaserkabel, Fernwärmerohre oder anderes verlegt werden, sei die Gefahr, dass Wurzeln geschädigt werden, groß. Auch, wenn dort Bagger, Laster oder andere schwere Fahrzeuge parken, könne das schädlich sein.

Die Robinie bricht an den Wurzeln ab und reißt Pflastersteine heraus.
Die Robinie bricht an den Wurzeln ab und reißt Pflastersteine heraus. © Irene Kleber

Versicherungsexperte: "In diesem Fall hätte sich das allgemeine Lebensrisiko verwirklicht"

Was letztlich die Ursache war, dass der Baum umstürzte, ob er krank war und es dafür Anzeichen gegeben hat, wird nun ein Gutachter untersuchen. Die Verkehrssicherungspflicht für die Straßenbäume liegt bei der Stadt. "Alle städtischen Bäume werden zweimal pro Jahr kontrolliert", teilte ein Sprecher des Baureferats gestern mit. In der Feilitzschstraße sie dies zuletzt im März der Fall gewesen. Dass der Baum geschädigt war, sei nicht erkennbar gewesen.

Und wer kommt nun für den Schaden auf? "Wenn bei der Regelkontrolle, die eine Sichtkontrolle ist, kein Schaden erkennbar war, trifft den Eigentümer grundsätzlich kein Verschulden", sagte ein Experte der Versicherungskammer Bayern zur AZ. "In diesem Fall hätte sich das allgemeine Lebensrisiko verwirklicht." Für etwaige Schäden an Häusern müssten sich Betroffene an ihre Gebäudeversicherung wenden. Schäden am Auto würde die Vollkasko übernehmen.

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7 Kommentare
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  • Plato's Retreat am 03.08.2022 11:13 Uhr / Bewertung:

    Ich habe es euch wieder und wieder gesagt. Die Bäume in München sind krank. Von den Kastanien weiß man es. Und dass es ein generelles Problem ist, sollte einigen jetzt langsam klar werden.

    Eine Stadt besteht nun mal aus Stein und Glas. Wem das nicht passt, der kann gern aufs Land ziehen.

  • Witwe Bolte am 03.08.2022 10:34 Uhr / Bewertung:

    Vor genau 10 Jahren, August 2012, gab es in der Feilitzschstr. im Zuge einer Bombenentschärfung eine Riesenexplosion.
    Hat das die Robinie damals schadlos überstanden? Es sah dort aus wie im Krieg. Viele erinnern sich heute noch an den Knall.
    Nur so zur Erinnerung.

  • Plato's Retreat am 03.08.2022 13:18 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Witwe Bolte

    Ich glaube nicht, dass die Bombe an dem Ungeziefer schuld ist, das diesen Baum zerfressen hat.

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