Reiter: „Ich bin stolz auf die Münchner“

Haushaltskrise, Konzertsaal, Strammstrecke: Doch was Dieter Reiter (SPD) auch im zweiten Jahr seiner Amtszeit am meisten beschäftigt hat, sind die Flüchtlinge. Die AZ traf den OB zum Interview.
von  Interview: Florian Zick und Tim Wessling
„Unvergesslich“: OB Dieter Reiter erinnert sich an die turbulenten Flüchtlingstage im September.
„Unvergesslich“: OB Dieter Reiter erinnert sich an die turbulenten Flüchtlingstage im September. © Sigi Müller

Haushaltskrise, Konzertsaal, Strammstrecke: Doch was Dieter Reiter (SPD) auch im zweiten Jahr seiner Amtszeit am meisten beschäftigt hat, sind die Flüchtlinge.

Dieter Reiter ist stolz auf die Münchner – und findet, dass die Stadtregierung viele Aufgaben, die sie sich für 2015 vorgenommen hat, auch angepackt hat. Münchens Oberbürgermeister im AZ-Interview.

AZ: Herr Reiter, vor einem Jahr haben wir uns vor allem über Flüchtlinge unterhalten. Und eigentlich müssen wir das heuer auch wieder tun.

Dieter Reiter: Die Flüchtlinge waren natürlich auch 2015 das zentrale Thema – bei den Medien, bei den Menschen auf der Straße. Nehmen wir nur mal die Situation am Hauptbahnhof, diese 16 Tage im September: Ich habe da Momente erlebt, die werde ich sicher für den Rest meines Lebens nicht vergessen. Das waren unglaubliche Eindrücke.

Nämlich?

Zum einen hat sich wieder einmal bestätigt, dass wir in München eine unfassbar sympathische und menschliche Bevölkerung haben. Zudem waren die Menschen nicht nur mit ihrem Herzen dabei, sondern haben auch ganz konkret geholfen. Immer, wenn wir irgendwas gebraucht haben – egal, ob Trinkwasser, Thermomatten oder Babynahrung – war davon innerhalb von Stunden so viel da, dass wir gleich wieder bremsen mussten. Das war sensationell.

Hat Sie das stolz gemacht?

Natürlich! Auch, weil die Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten so gut funktioniert hat. So eine positive Form von Zusammenarbeit – effizient, unkompliziert und erfolgreich – hat es in der Geschichte Münchens so wahrscheinlich noch nicht gegeben. Jedenfalls nicht in der jüngeren Geschichte.

München ist in der Zeit ja auch zum Sinnbild der Willkommenskultur geworden, sogar die New York Times war da, um eine Geschichte zu machen.

Weil wir das klare Gegenstück zu dem waren, was zu der Zeit anderswo in Deutschland passiert ist: brennende Asylbewerberheime, Übergriffe auf Flüchtlinge. Bei uns ist es diametral anders gelaufen – und ich glaube, das ist tatsächlich auch das, was die Welt wahrgenommen hat.

Hat diese Ausnahmesituation auch Ihren Blick auf die Welt verändert?

Diese gut zwei Wochen waren sicher das Bemerkenswerteste, was ich in meinem Berufsleben je erlebt habe. Dass ich zum Beispiel früh morgens mit dem Bahn-Chef Grube telefonieren konnte, um für die Weiterverteilung der Flüchtlinge Züge anzufordern; dass ich den Chef einer großen Brauerei per SMS um Hunderte Biergarten-Garnituren bitten konnte und eine Stunde später sind die unterwegs – und das kurz vor der Wiesn; dass ich auch nachts noch mit Sigmar Gabriel und dem Bundeskanzleramt die weiteren Maßnahmen anstoßen konnte – das war schon etwas Besonderes. Das zeigt aber auch, wie groß die Aufgabe ist, die wir zu schultern haben.

Sie haben sich auch persönlich stark engagiert, haben zum Beispiel beim Danke-Konzert auf dem Königsplatz selbst zur Gitarre gegriffen.

Das hat natürlich Spaß gemacht, vor 25 000 Menschen zu spielen – so etwas hatte ich nicht wirklich auf dem Plan. Vielleicht mal als 15-Jähriger. Da hätte ich mir eine Karriere als Musiker vorstellen können – heute bin ich froh, dass es anders gekommen ist. Aber das auf dem Königsplatz war schon ein beeindruckendes Erlebnis und eine wunderbare Möglichkeit, „Danke“ zu sagen.

CSU-Bürgermeister Josef Schmid, hat Ihnen wegen dieses Auftritts Lagerfeuerromantik vorgeworfen.

Naja, Lagerfeuerromantik ist das nicht. Wovon ich rede, ist Menschlichkeit. Wenn Menschen zu uns kommen, weil sie daheim verfolgt werden, weil sie Terror und Krieg erleben – und das tagtäglich, dann ist es für mich selbstverständlich, zu helfen. Wir haben diese Menschen ja auch nicht im Vier Jahreszeiten untergebracht oder im Bayerischen Hof, sondern sie wohnen jetzt in leeren Büros und verlassenen Autowerkstätten – ausgestattet mit einfachen Stockbetten. Wir haben unser Möglichstes getan, sie menschenwürdig unterzubringen und zu versorgen. Und dazu stehe ich.

Und trotzdem hat es in der Sommerpause zwischen Ihnen und Josef Schmid gekracht, nämlich beim Thema Obergrenze.

Ja, ich denke, ich musste klarstellen, was meine Vertretung im Namen der Stadt erklären kann und was nicht. Das habe ich ihm deutlich gemacht. Wir haben uns aber längst ausgesprochen.

Wie ist das Verhältnis zwischen Ihnen mittlerweile?

Professionell, würde ich sagen. Aber wir lachen auch mal miteinander. Es ist ja nicht so, dass wir uns spinnefeind wären. Hin und wieder gerät man auch mal aneinander, das gehört dazu, nur sollten wir uns in Zukunft schneller aussprechen – und am besten nicht über die Medien.

Sind Sie denn zufrieden mit dem, was die Große Koalition im vergangenen Jahr geleistet hat?

Zufriedenheit ist ein Begriff, mit dem ich mich schwer tue. Ich verbinde das irgendwie mit Sattsein und gebe mich deshalb nie so schnell mit etwas zufrieden. Aber ich finde schon, dass wir viele Aufgaben, die wir uns vorgenommen haben, auch angepackt haben.

Welche meinen Sie?

Wir haben den Wohnungsbau intensiviert, die Kliniken auf einen vernünftigen Pfad gesetzt. Wir haben eine milliardenschwere Schulbau-Offensive auf den Weg gebracht und eine neue U-Bahnlinie beschlossen. Und ganz persönlich Freude ich mich über die Fortschritte bei der zweiten Stammstrecke und dem neuen Konzertsaal. Das sind Projekte, die beschäftigen die Stadtgesellschaft seit mehr als zehn Jahren. Ich bin froh, dass es – vielleicht ein bisschen meiner Ungeduld geschuldet – gelungen ist, diese Entscheidungen jetzt endgültig anzustoßen.

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Auch wenn die Entscheidungsfindung ein bisschen holprig verlief?

Zugegeben, beim Konzertsaal haben wir, der Ministerpräsident und ich, am Anfang des Jahres viel Schelte bekommen. Aber ohne diesen ganzen Bahö hätte es diese Entscheidung, das wage ich zu prognostizieren, wahrscheinlich nicht gegeben. Und bei der Stammstrecke: Mehr als den zuständigen Bundesminister und Landesminister zu einer Finanzzusage zu bewegen, kann man doch nicht erreichen. Und wenn sie dann auch noch so nett sind, das auf meine Einladung hin in Berlin zu verkünden, werde ich mich darüber sicher nicht beklagen.

Wann geht es bei diesen Projekten denn los? Noch in dieser Legislaturperiode?

Beim Konzertsaal gehe ich fest davon aus. Wir arbeiten jedenfalls daran, dass es jetzt schnell geht. Was die Stadt bei diesem Projekt beitragen wird, ist Geschwindigkeit bei der Planung, dafür werde ich Sorge tragen.

Und bei der Stammstrecke?

Da kann ich nur hoffen. Aber das muss jetzt einfach passieren: Wenn wir von einer Fertigstellung 2025 ausgehen, müsste nächstes Jahr mit dem Bau begonnen werden. Länger darf es wirklich nicht dauern.

Jetzt reden wir die ganze Zeit über Milliardenprojekte – dann tauchte heuer aber dummerweise dieses Loch im Stadtsäckel auf.

Das war ganz ehrlich eine leise Überraschung. Aber wir haben den Haushalt ja zum Glück schnell wieder hinbekommen. Dass das so unkompliziert ging, war die zweite Überraschung. In den guten Gesprächen mit den Referaten haben wir wirklich nennenswerte Millioneneinsparungen vereinbart.

Das klingt jetzt, als wäre es wirklich ein Klacks gewesen.

Nein, insgesamt ist es eine schwierige Zeit. Die Stadtwerke sind nicht mehr die sogenannte „Cashcow“. Sie teilen das Schicksal aller großen Energieversorger und werfen nicht mehr die Millionen ab, die wir gewohnt waren. Das ist eine Entwicklung, die war in der Dimension tatsächlich nicht absehbar. Und dann gibt es zum Beispiel eine Vertrauenskrise für Dieselfahrzeuge – das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Gewerbesteuerprognose für 2016.

Hat es Ihnen nicht auch Spaß gemacht, den Haushalt ein bisschen durchzuschütteln?

(lacht) Was für ein Image man doch haben kann.

Aber Sie mögen es doch, Dinge auch mal auf dem kurzen Dienstweg entscheiden zu können.

Es gehört schon zu meiner täglichen Aufgabe, Dinge zu regeln, die konsensual zwischen den Referaten nicht zum Abschluss kommen. Das ist aber ganz normal. Beim Flüchtlingsthema haben wir zu diesem Zweck zum Beispiel eine Task Force gegründet. Aber mir ist jetzt nicht daran gelegen, den Referaten mit dem Rotstift durch ihre Finanzplanung zu gehen.

Sie fühlen sich also weiterhin wohl als OB?

Oh ja, ich muss androhen, dass ich bleibe. Ich fühle mich sehr wohl in der Rolle des Oberbürgermeisters – und auch in der Rolle des Entscheiders.

Höhere Weihen kommen für Sie also nicht in Frage? Wir fragen nur, weil es in der Politik ja auch Jobs gibt, da kann man noch mehr entscheiden.

Es gibt keine höheren Weihen als Münchner Oberbürgermeister zu sein. Auch wenn der Ministerpräsident mit mir da vielleicht uneins ist. Aber ein schöneres Amt gibt es für mich nicht.

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