Queerer Aktionsplan: Was Münchner Aktivisten fordern
München - Über 20 bayerische LGBTIQ*-Organisationen machen Druck auf die Politik und fordern einen queeren Aktionsplan. Die Psychologin und systemische Therapeutin Dr. Bettina Glöggler von der Fachstelle gegen Diskriminierung und Gewalt "Strong!" beantwortet der AZ ein paar Fragen.
Stimmt es, dass Diskriminierung und Gewalt gegen queere Menschen zunehmen? "Die offiziellen Statistiken haben mit der Realität nichts zu tun", sagt Glöggler. Ob oder wie stark die Anzahl der Gewalt- und Diskriminierungsfälle steige, wisse man nicht. "Nach meinem persönlichen Empfinden spaltet sich die Gesellschaft stärker auf. Die Queer-Community hat viel erreicht und generell vertreten die meisten die Ansicht, dass LGBTIQ* niemandem was wegnimmt, sondern ein Stück Realität und gesellschaftliche Vielfalt etwas per se Gutes ist."
Immer mehr Drohungen und Hass: Darum braucht es den queeren Aktionsplan
Gleichzeitig gebe es immer mehr Menschen, die sich schon aufregen, wenn etwas gegendert ausgesprochen wird. Auch hasserfüllte Slogans und Drohungen seien wieder salonfähiger geworden. In der Beratung sehe man steigenden Bedarf.

Welche Art von Gewalt erfahren queere Menschen? "Abwertende Kommentare, verletzende Vorurteile und Beleidigungen", sagt Glöggler. Das reiche von unbeabsichtigten, dennoch aber verletzenden Unsensibilitäten bis hin zu übelsten Schimpfattacken und handfestem Mobbing.
Queere Community: Warum Fremd-outing so gefährlich ist
Bei Drohungen sei das Fremd-outing eine besondere Gewaltform. Der Satz "Sonst sag ich, dass du schwul bist" könne je nach Lebenslage unangenehm bis gefährlich werden. Geflüchtete, die queer sind, leben oft in sehr heiklen Situationen.
"Natürlich gibt es auch Körperverletzungen und sexualisierte Gewalt. Nicht zu vergessen auch strukturelle Gewalt, zum Beispiel, dass sich gleichgeschlechtliche Elternpaare nach wie vor einem Begutachtungsverfahren unterziehen müssen, um offiziell gemeinsam Eltern zu sein", so Glöggler.
Gibt es Orte, die besonders gefährlich sind? "Bei uns am häufigsten: der öffentliche Raum inklusive dem ÖPNV", weiß Glöggler. "Händchenhalten mit einem*einer gleichgeschlechtlichen Partner*in oder ein Regenbogensticker an der Jacke kann da schon genügen."
Auch Veranstaltungen und Räume der Community können Ziel von Hass sein. Brennpunkt seien die Geflüchtetenunterkünfte.
Gleichstellung der LGBTIQ*-Community: Andere Bundesländer sind Bayern voraus
Die Aktionspläne der anderen Bundesländer klingen sehr allgemein. Warum sind sie dennoch so wichtig? "Ich finde die Aktionspläne anderer Bundesländer durchaus wegweisend", so Glöggler. Allein das politische Signal, LGBTIQ* als Regierungsthema ernst zu nehmen, sei ein großer Schritt.
"Auch weil es so mal nüchtern gesehen werden kann, als das, was es ist: ein Thema aus der Mitte der Gesellschaft und nicht irgendwelche abgefahrenen Ideen von bunten Spinnern." Es werde sich viel zu viel empört und mit Schlagworten wie (Früh-)Sexualisierung um sich geworfen, anstatt die oft ja ganz banalen Lebensbereiche mal zu beleuchten.
Queerer Aktionsplan: Das sind die zentralen Forderungen
Ein konkreter Aktionsplan wurde von der bayerischen Politik bisher abgelehnt. Bettina Glöggler fasst ein paar Forderungen zusammen:
- LGBTIQ* als fester Bestandteil der Polizeiausbildung l sensibilisierte Ansprechpersonen bei Polizei und Staatsanwaltschaft sowie Beratungsstellen bayernweit l weniger Schüren der Empörungsdebatten durch politische Statements, die Hass befeuern
- Einsatz für Gesetzesänderungen auf Bundesebene (z. B. gleichgeschlechtliche Elternschaft, Selbstbestimmungsgesetz)
- Fortbildung für Fachkräfte (Beratungsstellen, Sozialbürgerhäuser, Schulsozialarbeit, Kitas, Altenhilfe etc.)
- Mehr Vielfalt in den Lehrplänen (nicht nur LGBTIQ*, sondern die ganze Vielfalt der Gesellschaft)
- Geschützte Unterkünfte für queere Geflüchtete und eine sensiblere Haltung in den Anerkennungsverfahren
- Insgesamt die oft strenge Binarität (männlich-weiblich) im Hilfesystem auflösen
- Auch Maßnahmen, die die Gleichberechtigung von Frauen stärken. LGBTIQ*-Feindlichkeit beruht im Grunde auf einem ungesunden Verständnis von Geschlechterrollen und patriarchalen Machtansprüchen