Polizei in München ausgetrickst: Wie die Hausbesetzung in Sendling ablief
München - Die Bavariastraße ist eine kleine Wohn-Nebenstraße in Sendling. Aufregung gibt es hier eigentlich nur zwei Wochen im Jahr. Wenn auf der benachbarten Theresienwiese das größte Volksfest der Welt gefeiert wird – und im Minutentakt betrunkene Tracht-Träger durch das Sträßlein torkeln.
Am Samstagmittag um 12 Uhr aber wird es hier auch ohne Wiesn plötzlich hektisch. Mehr als 100 alternative junge Leute laufen plötzlich durch die Straße. Viele tragen Corona-Masken. Sekunden später wird klar, wohin es sie zieht. Auf dem Dach des leerstehenden Gebrauchtwaren-Kaufhauses Weißer Rabe zünden Vermummte Pyrotechnik, lassen ein Plakat herunter. Kurz darauf sind sie schon wieder verschwunden.

Proteste in der Lindwurmstraße: Die Polizei München rechnet nicht mit der Aktion
Nun sind auch unten auf der Straße junge Menschen mit Strumpfmasken auf dem Gesicht zu sehen, vorne an der Ecke zur Lindwurmstraße ziehen Leute eine Absperrung, die schon für die Wiesn-Zeit auf dem Gehweg steht, auf die Straße, legen ein paar Fahrräder auf die Fahrbahn, setzen sich hin.
Die Polizei weiß offenbar nichts von der Aktion, hat die kleine Seitenstraße nicht explizit im Blick. Es dauert knapp zehn Minuten, dann kommen von der Theresienwiese her in langer Kolonne immer mehr starke Polizeikräfte in Bussen, viele sind aus Berlin; aus der ganzen Republik sind Beamte dieser Tage in München. Demonstranten haben es kurzzeitig auch aufs Dach des benachbarten Fitnessstudios geschafft und dort ein Plakat entrollt.
"Symbolische" Hausbesetzung in Sendling: Der Protest richtet sich gegen die Stadt München und die IAA
Dass es sich nicht – wie bei der letzten IAA 2021 in der Maxvorstadt – um einen ernsthaften Besetzungsversuch handelt, lässt sich da schon an der Erklärung der Besetzer im Internet herauslesen. Sie erklären nicht, dass sie bleiben werden und im Haus nun dieses oder jenes errichten wollen – sondern sprechen selbst von Anfang an von einer "symbolischen" Besetzung.
Man richte sich mit der Aktion gegen die Politik der Stadt, die "der IAA die halbe Innenstadt schenkt, während sie zulässt, dass Häuser als Spekulationsobjekt leerstehen". Dass man Hausbesetzungen um die IAA in keinem Fall dulden würde, das hatte Innenminister Joachim Herrmann (CSU) auch vor dieser IAA klargemacht.
München: Aktivisten liefern sich Katz- und Mausspiel mit der Polizei
Und so geht es beim Katz- und Mausspiel mit der Polizei wohl für beide Seiten auch um die Bilder. Polizei und Politik mögen in diesen Wochen militante Bilder vermeiden, die doch eher nach Berlin oder Hamburg passen, aber nicht ins schöne Bayern. Und Aktivisten wollen genau solche Bilder erzeugen – Vermummte auf einem Dach zum Beispiel. Das zumindest gelingt ihnen am Samstag.
Vor dem Haus macht es auch nicht den Eindruck, dass viele Menschen darin sein könnten, die sich dort gegen die Polizei verteidigen wollten – eher den, dass auch die Pyrotechnik-Zündler schnell wieder verschwunden sind. Nach wenigen Minuten hat die Polizei das Haus offenbar schon durchkämmt, Beamte sind oben auf dem Dach zu sehen.

In Sendling stehen sich stundenlang Demonstranten und Polizisten gegenüber
Doch draußen auf der Straße stehen sich stundenlang Demonstranten und Polizisten gegenüber. Die Stimmung ist immer wieder hitzig, "ganz München hasst die Polizei", skandieren Demonstranten.
Vorne an der Lindwurmstraße herrscht insgesamt aber eher Straßenfest-Stimmung, die Aktivisten haben einen Pavillon aufgebaut, junge Leute sitzen ratschend rum.

Hunderte Anwohner können über viele Stunden nicht mit dem Auto weg, weil die Bavariastraße auf beiden Seiten dicht ist. Denn wenige Meter weiter an der Eisenbahnbrücke haben sich ebenfalls Aktivisten abgeseilt.
Die "TAZ" berichtet, sie hätten auch Autoreifen auf die Straße geworfen. Polizisten sichern auch oben die Brücke, der Bahnverkehr muss eingestellt werden.

Hausbesetzung in Sendling: Die Anwohner reagieren eher entspannt
Die Stimmung unter den Anwohnern? Insgesamt eher entspannt. Es sind sehr unterschiedliche Meinungen zu hören. Manche schimpfen über den Schmarrn, den es jetzt auch gerade noch braucht und was das alles wieder kostet. Viele sind aber auch eher interessiert bis fast schon amüsiert. Einige schimpfen, dass die Polizei mit ihrem Einsatz übertreibe. Manche sympathisieren offensichtlich auch mit der Aktion.
Polizeipräsident Thomas Hampel beobachtet den Einsatz von einer nahen Hofeinfahrt. Und auch der Grünen-Landtagsabgeordnete Markus Büchler ist vor Ort. Er kritisiert hinterher auf AZ-Anfrage das "völlig überzogene Großaufgebot und die unnötige Sperrung der Lindwurmstraße", lobt die Polizei aber auch, dass sie "viel entspannter als bei der IAA 2021" aufgetreten sei.
Die Organisatoren der Proteste kennen sich in Sendling sehr gut aus
Dass das Haus leersteht, hat bisher nicht viel Aufmerksamkeit bekommen. Für Luxusspekulation und einen Bau-Skandal ist in Untersendling seit Monaten das "Sendlinger Loch" einige Meter weiter bekannt, die AZ hat auch immer wieder berichtet. Am Gebrauchtwarenkaufhaus hingegen hingen vor ein paar Tagen das erste Mal Zettel der Linkspartei. "Warum stehen hier Wohnungen leer?", stand darauf.
Viele der Aktivisten am Samstag irren eher ein bisschen hin und her, machen nicht den Eindruck, aus München zu kommen. Unter den Organisatoren der Aktion sind aber sicher Leute, die sich in München – wahrscheinlich auch in Sendling – sehr gut auskennen.
So sieht man schon, kurz bevor die Polizei eintrifft, Leute eilig über Privatgelände zwischen den benachbarten Mietshäusern entwischen. Sie wissen offenbar, wie man über Fluchtleitern aufs Dach des Fitnessstudios kommt – und von einem benachbarten Grundstück aus wird laut über Stunden Musik für die Blockierer abgespielt.
Am späten Nachmittag beginnt die Polizei, Demonstranten von der Straße zu tragen
Das Haus selbst steht seit Ende 2021 leer, auf einem Plakat wirbt die Luxus-Immobilienfirma Concept Bau dafür, hier Eigentumswohnungen zu errichten. In einer Erklärung der Demonstranten heißt es, mehrere Anfragen für eine kulturelle Nutzung des Gebäudes seien abgewiesen worden.
Bezirksausschuss-Chef Markus Lutz (SPD) kann das auf AZ-Anfrage am Sonntag nicht bestätigen. Bei ihm sei zumindest noch niemand mit einer solchen Idee vorstellig geworden.

Am späten Samstagnachmittag fängt die Polizei an, Menschen einzeln von der Straße zu tragen. "Du bist nicht allein!", rufen die Demonstranten. Am Sonntagmorgen ist wieder Ruhe eingekehrt in die kleine Nebenstraße.
Eine Nachbarin reicht um 9 Uhr eine Bäcker-Tüte in einen der drei Polizeibusse vor dem Haus. Auch Streifenwagen sind da. Eine zweite Überraschung an der Bavariastraße soll den Aktivisten auf keinen Fall gelingen.
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