Interview

Münchner Selbsthilfegruppe für spätes Coming-out: "Viele haben immer noch Angst"

Viele Männer bekennen sich erst spät zu ihrem Schwulsein. Für sie bietet Thomas Fraunholz eine Selbsthilfegruppe an. Im AZ-Interview erklärt er, warum.
Ruth Frömmer
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Thomas Fraunholz leitet die Outing-Gruppe, berät aber auch individuell am Telefon.
Thomas Fraunholz leitet die Outing-Gruppe, berät aber auch individuell am Telefon. © ruf

München - Wenn Männer 30 Jahre oder älter sind, liegt schon ein Stück Lebensweg hinter ihnen. Die einen haben Familie oder Kinder, andere leben ganz zurückgezogen. Anders als beim Outing im Jugendalter bedeutet ein spätes Bekenntnis zum Schwulsein eine Lebenswende.

Für solche Männer bietet Thomas Fraunholz im Schwulen Kommunikations- und Kulturzentrum Sub regelmäßig Selbsthilfegruppen an. Der 54-Jährige ist Sozialpädagoge und Sozialökonom.

AZ: Herr Fraunholz, wir leben in einer toleranten Gesellschaft. Warum outen sich so viele schwule Männer trotzdem nicht?
THOMAS FRAUNHOLZ: Das ist ganz unterschiedlich. Weil sie es sich selbst nicht zugestehen wollen in der Jugend oder im jungen Erwachsenenalter. Weil sie immer noch Angst vor Repressalien oder möglichen Job-Schwierigkeiten haben. Weil sie Angst vor der Familie haben. Oder weil sie sich eine Familie wünschen und sich gar nicht vorstellen können, ein schwules Leben zu führen. Auch religiöse Gründe spielen manchmal eine Rolle.

Was sind denn konkret die Ängste und Hürden, die Menschen vor einem Outing zurückschrecken lassen?
Viele Männer haben große Angst, dass sie beruflich steckenbleiben und deshalb in der Hierarchie nicht weiterkommen könnten. In vielen männerdominierten Berufen ist es immer noch nicht gerne gesehen, wenn man sein Schwulsein zeigt. Auf Empfängen nehmen schwule Männer dann zum Beispiel lieber ihre beste Freundin mit als ihren Lebenspartner. Weil es eben nicht Usus ist, dass Mann einen Mann hat.

"Es gibt ein starkes Stadt-Land-Gefälle"

Gibt es bestimmte gesellschaftliche oder soziale Gruppen, in denen Schwulsein ein größeres Problem ist als in anderen?
Schwierig ist es oft bei Menschen mit muslimischem Hintergrund. Es gibt auch ein starkes Stadt-Land-Gefälle. Auf dem Land ist Schwulsein nach wie vor ein größeres Problem als in der Großstadt. Aber die Männer, die zu uns kommen, sind bunt verteilt auf alle sozialen und gesellschaftlichen Schichten.

Dann hat das Thema Outing vielleicht doch mit der Persönlichkeit des Einzelnen zu tun?
Auch hier sind die Charaktere vielfältig. Natürlich kann ein ganz schüchterner Mann ängstlich sein. Aber auch der Typ Alpha-Mann kann ein Problem mit seinem Outing haben.

Gibt es Fälle, wo Sie sogar von einem Outing abraten?
Wir sagen keinem Mann, dass er sich outen muss. Jeder soll sich überlegen, ob das für ihn passt. Wir nötigen niemanden, sich zu outen.

Ein Outing ist ja auch etwas sehr Persönliches.
Genau. Die Frage ist, ob man das im Beruf möchte. Wenn ein Mann etwa in der Firma ein Bild seiner Frau oder Freundin im Büro aufstellt, dann sagt er vor seinen Kollegen etwas Persönliches aus. Er vermittelt, er ist verheiratet oder hat eine hübsche Freundin. Wenn ein Mann das Bild eines Mannes aufstellt, sagt er etwas Intimes aus. Er muss davon ausgehen, dass die Kollegen das registrieren und gleichzeitig bei ihnen sofort die Gedanken und Bilder im Kopf losgehen. Man kann nie wissen, wie die Leute auf das Thema reagieren. Und das ist immer eine Abwägung. Manche geben sich leider offen und tolerant und haben dann doch homophobes Gedankengut im Kopf. Da muss man sich immer noch auf dumme und unangebrachte Kommentare und Fragen gefasst machen.

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Hat sich da in den letzten Jahren nichts verändert?
Wir haben vor 15 Jahren gemerkt, dass sich auch in der aufgeklärten Großstadt viele Männer nicht outen und diese Gruppe ins Leben gerufen. Seitdem war sie immer voll.

Wie kann man sich die Arbeit in so einer Gruppe vorstellen?
In der Gruppe sitzen maximal zehn Männer, die mitten im Outing stecken oder es noch vor sich haben. Die erste Hürde, nämlich aktiv bei uns anzurufen oder zu schreiben, haben sie dann schon genommen. Entsprechend motiviert und gut ist die Stimmung meist in der Gruppe. Dort bearbeiten wir dann in acht Sitzungen von zwei Stunden pro Woche verschiedene Schwerpunkte, zum Beispiel die Biografie. Passend zum CSD haben wir diese Woche gerade eine Gruppe abgeschlossen. Diese Männer können sich jetzt überlegen, ob sie beim CSD am Samstag mit auf die Straße gehen.


Infos zur nächsten Outing-Gruppe gibt's hier: subonline.org

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6 Kommentare
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  • Leserin am 14.07.2022 17:35 Uhr / Bewertung:

    Ich finde es sehr gut, dass es ein solche Unterstützung gibt!
    Auch wenn ich es selbst nicht brauche, stelle ich mir eine solche Lebenssituation sehr schwierig vor. Da tut Unterstützung beim Klären der Gedanken und Gefühle sehr sehr gut.

  • Kadoffesalod am 14.07.2022 13:51 Uhr / Bewertung:

    Die Behauptung dass es "ein starkes Stadt-Land-Gefälle" gäbe, ist 1. eine willkürliche Pauschalisierung, 2. nicht wahr und stellt 3. eine nicht hinnehmbare Verleumdung und Diskriminierung der ländlichen Bevölkerung dar.

    Die Landbevölkerung in Bayern ist ausgesprochen tolerant. "Leben und leben lassen" ist einer der wichtigsten Leitsätze.

    Als Beispiel der unglaublich großen Toleranz im ländlichen Bayern ist Michael Adam aus dem Landkreis Regen zu nennen. Den hat man zum Landrat gewählt, obwohl er bei der SPD ist !!!!!!!!! Er war nach der Wahl 2011 auch der jüngste Landrat Deutschlands.

  • Rosinerl am 14.07.2022 10:03 Uhr / Bewertung:

    "Die einen haben Familie oder Kinder, .... bedeutet ein spätes Bekenntnis zum Schwulsein eine Lebenswende."

    Irgendwie passen diese beiden Satzteile nicht zusammen.

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