Horst Seehofer: „Ich gehe nicht ins Hamsterrad“

Seit drei Monaten ist der CSU-Chef Ministerpräsident. Bei seinem Redaktionsbesuch im neuen "Newsroom" der Abendzeitung sprach der 59-Jährige über seine Erfahrungen im Amt, Rituale, Revoluzzer und den Kampf gegen Stress.
von  Abendzeitung
Der Ministerpräsident im großen Kreis der AZ-Redakteure: „Wenn ihr mich rausschreibt aus der Staatskanzlei, dann will ich hier auch so einen schönen Arbeitsplatz“
Der Ministerpräsident im großen Kreis der AZ-Redakteure: „Wenn ihr mich rausschreibt aus der Staatskanzlei, dann will ich hier auch so einen schönen Arbeitsplatz“ © Gregor Feindt

Seit drei Monaten ist der CSU-Chef Ministerpräsident. Bei seinem Redaktionsbesuch im neuen "Newsroom" der Abendzeitung sprach der 59-Jährige über seine Erfahrungen im Amt, Rituale, Revoluzzer und den Kampf gegen Stress.

AZ: Herr Seehofer, sind Sie ein Revoluzzer?

HORST SEEHOFER: Ja, warum?

Sie schreiben doch Ihren Ministern SMS: „Wo bleibt die Revolution?“

Ich möchte, dass jeden Tag Bewegung ist in der Mannschaft. Sei es in der Regierung oder in der Partei.

Welche Anweisungen geben Sie Ihrer Truppe?

Wenn es sein muss, schicke ich auch mal eine SMS: Ein verlorener Tag! Nichts gehört! Wann kommt was Neues? Das ist keine Rüge, sondern Motivation. Ich lobe auch: Richtig! Das gefällt mir! Aus ständiger Bewegung entsteht dann eine „Revolution“.

Aber eigentlich haben wir Sie als Diktator kennen gelernt – denken Sie an Monika Hohlmeier.

Ach was. Wenn ich antrete mit dem Ziel, die Partei muss weiblicher werden, dann muss ich als Parteivorsitzender dafür sorgen, dass das auch stattfindet. Da ist überhaupt nichts diktatorisch. Monika Hohlmeier ist in einer Abstimmung demokratisch legitimiert worden.

Sie sind doch ein alter Politprofi. Wie konnten Sie die Abneigung gegen Hohlmeier so unterschätzen?

Mir war klar, dass das tiefere Diskussionen auslöst. Ich habe es selbst erlebt, wie man mit Menschen umgeht, die Kritik auf sich gezogen haben. Wenn ein Politiker in der Kritik ist, ist ein Comeback ganz schwer. Sie werden nicht mehr mit Sachargumenten, sondern mit Persönlichem begleitet. Ich lasse nicht zu, dass in meiner Partei jemand wegen Dingen aus der Vergangenheit ausgegrenzt wird.

Sie sagen, das Amt sei für Sie eine Mission. Wenn man an die Landesbank denkt – eine „Mission Impossible“?

Landesbank – das ist eine schwierige Aufgabe. Ich habe mir das nicht rausgesucht. Aber ich denke, dass wir sie bis zur Stunde verantwortungsvoll gelöst haben. Aber kein Mensch weiß, ob die letzte Sicherheit für alle Zeit gegeben ist. Der Philosoph Robert Spaemann sagt: „Dinge, die man sich nicht aussuchen kann, muss man hinnehmen, wie sie auf einen zukommen.“

In Ihren ersten 100 Tagen ist einiges über Sie hereingebrochen. Landesbank, Weltwirtschaftskrise, Schaeffler...

Ich lebe noch nach drei Monaten, obwohl ich in dieser Zeit nicht wirklich gelebt habe. Es geht rund um die Uhr. Und alles keine Termine zum Wohlfühlen.

Nach Ihrer schweren Krankheit wollten Sie sich doch so was nicht mehr zumuten. Haben Sie da eine Strategie?

Ja. Von der kann mein Büro ein Lied singen. Weil ich nicht alles mache, was die planen. Ich komme nach Mitternacht heim und soll um sieben Uhr wieder nach Brüssel fliegen. In dieses Hamsterrad gehe ich nicht. Bei den Herausforderungen, die wir jetzt meistern müssen, möchte ich auch mal nachdenken können. Die Welt dreht sich weiter, wenn ich nicht 27 Termine am Tag, sondern sieben mache.

Dicke Akten wollen Sie ja, im Gegensatz zu Edmund Stoiber, auch keine lesen.

Hat’s Bayern was geschadet? In der Beschränkung zeigt sich der Meister.

Wo entspannen Sie sich?

Im Flugzeug kann ich Schlaf nachholen.

Was sagt Ihr Arzt?

Der ruft mich immer an: Hier ist Ihr Gewissen.

Ihr Rezept gegen Stress?

Der körperliche Stress ist nicht das Entscheidende. Der seelische Stress frisst einen auf, wenn man nicht aufpasst. Da hilft ein Stück Gelassenheit.

Sind Sie deshalb oft so ironisch?

Man darf sich selber nicht so wichtig nehmen. Ich hoffe, dass meine Umgebung das erträgt, wenn ich ironisch bin, spitzbübisch und humorvoll. Das brauche ich im Alltag.

Wie wichtig nehmen Sie denn Ihre Versprechen? Haben Sie mit Ihrer Zusage, den Marstall zum Konzertsaal auszubauen, den Mund nicht zu voll genommen?

Wir müssen die verschiedenen Optionen sehr sorgfältig prüfen. Denn wir wollen kulturell ganz vorne mit dabei sein.

Aber kann sich Bayern einen solchen Luxus in diesen Zeiten leisten?

Lehrer muss man studieren, wenn es zu viele Lehrer gibt. Denn bis sie fertig sind, ist der Zyklus genau umgekehrt. Einen Konzertsaal muss man jetzt planen, weil die Realisierung Jahre dauert. Wenn man damit beginnt, wenn die Zeiten wieder besser sind, ist man in der Rezession fertig.

Was ist anstrengender: Bayern regieren oder bei Merkel etwas durchsetzen?

Die letzten Runden in der Berliner Koalitionsrunde waren in der Tat anstrengend. Ich dachte nicht, dass es so schwierig ist, Steuern zu senken. Ich habe vorher sehr genau überlegt, was ich sage, weil man ja bedenken muss: Kriegt man es auch durch? Bei dem Thema bleiben wir jedenfalls sehr, sehr konsequent.

Wo liegt Ihre Krawallgrenze? Nehmen Sie in Kauf, dass es kein gemeinsames Unionsprogramm gibt, wenn keine Steuerreform drin ist?

Wir werden eine Steuerreform im Programm haben: Das sage Ihnen voraus. Deshalb werden wir auch ein gemeinsames Unions-Programm haben.

Was soll das ganz große Thema im Wahlkampf sein?

Das wichtigste ist uns von außen vorgegeben: die Weltrezession. Die Frage, wie man in dieser Lage die Lebensgrundlagen sichern kann: die Arbeitsplätze, die soziale Sicherung, die ökologische Komponente.

Das wollen alle.

Aber nicht alle mit den gleichen Methoden. Unsere Steuersenkung wollen nicht alle, ganz im Gegenteil. Oder die Grünen stellen einseitig radikal das Klima nach vorne. Wir versuchen, das Kunststück fertigzubringen, wie man Umwelt und Wirtschaft verbinden kann.

Bringen Sie mit diesem Programm die CSU von 45 Prozent weg?

Sie beschreiben jetzt die Mega-Aufgabe schlechthin. Die Bürger in Bayern sind mit der Konstellation, die am 28. September vom Wähler erzwungen wurde, zufrieden. Sich in dieser Situation noch stärker zu profilieren, erfordert höchste politische Kunst. Da steht uns noch ein sehr beschwerlicher Weg bevor.

Bundesweit ist die Union sogar nur bei 35 Prozent – trotz des Tiefs der SPD. Warum steht sie so schlecht da, und nur die FDP profitiert?

Das ist der Preis für die große Koalition. Und deshalb müssen wir da auch raus, damit die Volksparteien nicht noch mehr erodieren.

Wenn sich die CSU so sehr der FDP und auch den Freien Wählern an den Hals wirft, ist das doch geradezu eine Einladung, bei der Europa- und Bundestagswahl nochmal fremdzugehen.

Nein. Wir haben nur die alten Rituale gestoppt. Wenn jemand aus der Opposition einen Antrag einbringt, den wir gut finden, sollen wir ihn ablehnen und acht Tage später selbst vorlegen? Das wollen die Leute nicht mehr.

Sie werden im Juli 60. Gilt die Regel „Keiner über 60“ dann auch für Sie?

Es kann nur eine Regel gelten, die es gibt. Und die gibt es nicht. Mein Ziel ist es, jetzt alles so vorzubereiten, dass wir in absehbarer Zeit ein dutzend junger Politiker haben, die für alle Staats-und Parteiämter in Frage kommen.

Heißt das: Sie treten bei der nächsten Landtagswahl nicht mehr an?

Wer auf so eine Frage antwortet, ist eine Lame Duck.

Das Interview führten Angela Böhm, Arno Makowsky und Anja Timmermann

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