Ex-Münchnerin berichtet: Warum immer mehr Menschen wegziehen

Erstaunliche neue Zahlen: Sehr viele Münchner haben die Stadt zuletzt verlassen. Woran das liegt, warum die Stadt trotzdem nicht schrumpft - und was Experten erwarten.
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Aus München weggezogen: Claudia Hinterecker.
Aus München weggezogen: Claudia Hinterecker. © privat

München - Sie sei zur Ruhe gekommen, fühle sich weniger gestresst, sagt Claudia Hinterecker. Im Oktober zog sie mit ihrem Mann von München nach Bad Aibling. Statt 1,5 Millionen leben hier nicht einmal 20.000 Menschen. Statt in einer Zwei-Zimmer-Wohnung wohnt sie nun in einem Haus mit Garten, 2.000 Quadratmeter groß. Für 50 Euro mehr Miete im Monat.

Viele Menschen ziehen momentan aus München weg

Im Garten, so erzählt es die 34-jährige Schauspielerin, stehen viele Obstbäume, ein Bach fließt hindurch und am Abend sitzt sie mit ihrem Mann gerne an einer Feuerstelle. Das Gefühl, etwas in der Stadt zu verpassen habe sie nicht, sagt sie: "Es hat ja eh alles zu." Sie habe eher den Eindruck, dass das Großstadtleben für viele nicht mehr so reizvoll sei wie einst. Auch viele ihrer Freunde seien im vergangenen Jahr aus München weggezogen oder planen es.

Claudia Hintereckers Beobachtungen decken sich mit den offiziellen Zahlen, die das Amt für Statistik bekannt gab: Zum ersten Mal seit Jahren zogen mehr Menschen aus München weg als hinein: 90.459 ließen sich hier nieder, während gleichzeitig 93.921 Menschen die Stadt verließen. Trotzdem schrumpft München nicht. Denn in der Stadt werden so viele Menschen geboren, dass die Bevölkerungszahl unterm Strich wächst. Allerdings in einem viel kleineren Ausmaß als früher. 2020 stieg die Bevölkerung nur um rund 2.000 auf 1.562.096 Einwohner. Sonst ist München im Mittel immer in einem niedrigen fünfstelligen Bereich gewachsen. Muss sich die Stadt also Sorgen machen?

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Viele ziehen aus dem Ausland nach München

"Es ist schon seit Jahren so, dass die Menschen nicht aus anderen Teilen Deutschlands, sondern aus dem Ausland nach München ziehen", sagt der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Florian Roth. Er arbeitet als interkultureller Bildungsberater und beobachtetet, dass vor allem Menschen aus Süd- und Osteuropa oder aus Asien nach München zogen, weil sie hier Arbeit fanden. Allerdings habe es in diesen Ländern inzwischen auch einen wirtschaftlichen Aufschwung gegeben. Und Corona habe den Trend, dass nicht mehr alle nach München drängen, noch mehr verstärkt, meint Roth.

Sorgen, dass München nicht mehr so attraktiv sein könnte, macht sich Roth nicht: "Genug günstigen Wohnraum zu schaffen, ist in München die größte Herausforderung. Wenn die Stadt jetzt ein bisschen langsamer wächst, sind das keine schlechten Nachrichten." So ähnlich sieht man das auch in der Münchner Stadtverwaltung. Arne Lorz, der für die Stadtentwicklungsplanung zuständig ist, meint: "2020 war ein spezielles Jahr, das nicht für langfristige Prognosen taugt." Zwar könne es sein, dass sich langfristig etwas ändert, wenn es sich durchsetzt, dass mehr Menschen im Homeoffice arbeiten: "Doch daraus abzuleiten, weniger zu bauen oder die Stadt anders zu planen, wäre grundsätzlich falsch."

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2040 leben voraussichtlich 1,85 Millionen in München

Diese Meinung teilt Immobilien-Experte Stephan Kippes. Für den Immobilienverband Süd (IVD) beobachtet er den Wohnungsmarkt rund um München. Insgesamt geht er davon aus, dass München weiter wächst - und das deckt sich mit den Prognosen der Stadt. Bis 2040 werden in München voraussichtlich 1,85 Millionen Einwohner leben. "Zurzeit wird in München viel zu wenig gebaut", sagt Kippes. Das ist auch der Grund, warum die Immobilienpreise nicht fallen. Denn auch 2020 sind sie gestiegen: Einfamilienhäuser verteuerten sich um 5,6 Prozent, Doppelhaushälften um 3,7 Prozent.

Zwar habe auch er beobachtet, dass die Nachfrage nach einem Häuschen im Grünen gestiegen sei, meint Kippes. "Noch ist es aber nicht so, dass pausenlos die Möbelwagen ins Umland rollen." Neben der Lebensqualität spielt auch die Lage des Arbeitsplatzes eine Rolle. "Wir beobachten seit Jahren, dass Firmen aus München ins Umland abwandern", sagt Florian Reil, Sprecher der Industrie- und Handelskammer in München (IHK). Dort seien die Flächen und die Steuern günstiger, die Anbindung an die Autobahn besser. "Und irgendwann ziehen die Mitarbeiter ihrem Unternehmen hinterher."

Umso wichtiger sei es, dass München eine lebenswerte Stadt bleibe - da sind sich die Fraktionsvorsitzenden der CSU und der SPD einig. "Wir müssen auch für Familien Wohnraum schaffen", sagt Manuel Pretzl (CSU). Mit Balkonen oder Garten, mit bezahlbaren Preisen. "Denn wenn die Pandemie vorbei ist", sagt Christian Müller (SPD), "kann es sein, dass München noch mehr boomt."

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  • gernMünchnerin am 05.02.2021 13:00 Uhr / Bewertung:

    Diesen Wegzieh-Hype kann ich nicht verstehen, ich freue mich, meinen Lebensabend auch in der Stadt zu verbringen, da ist das Resi, Kultur, feine Wirtshäuser, die ich auch mit meinem Rollator erreichen kann zwinkern Auf dem Land würde ich vereinsamen...

  • Gegen Landschaftszersiedelung am 31.01.2021 05:11 Uhr / Bewertung:

    Wenn in München nur noch Luxus-Wohnungen und Wohnanlagen für Sozialhilfe-Empfänger gebaut werden, ist es kein Wunder, wenn sich die derzeitige Münchner Bevölkerung, nach Alternativen in der Region umsieht! Kapitalisten aus aller Welt finden es schick, wenn ihnen in München und Umgebung Luxuswohnraum zur Verfügung gestellt wird! Gleichzeitig erstrebt jeder Bedürftige dieser Welt, irgendwie nach Deutschland einzureisen, und Asyl zu beantragen! Möglicherweise genügt es mittlerweile schon, sich als Migrant anzumelden! Da muss sich niemand wundern, wenn sich viele Münchner ein Leben auf dem Land wünschen!

  • 089 am 31.01.2021 11:58 Uhr / Bewertung:
    Antwort auf Kommentar von Gegen Landschaftszersiedelung

    JEDER Bedürftige dieser Welt erstrebt, irgendwie nach Deutschland einzureisen? Echt? Krass! Dafür is aber ja wenig los hier.

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