"Stadt hat es viel zu gut gemeint": Münchner Surfclub mit Vermutung zu zerstörter Eisbachwelle
Update vom 5. November, 13.25 Uhr: Die AZ spricht im Nachgang zur PK an der Eisbachwelle mit Martin Grün, dem Präsidenten vom Surf Club München. Der 54-Jährige sagt: "Die Stadt hat es viel, viel zu gut gemeint."
Martin Grün: "Das ist der Hauptgrund für die aktuellen Probleme"
Durchaus kritisch fügt hinzu: "Ich glaube nicht, dass das mit der erhöhten Wasserzufuhr klappt, besser wäre es, gleich rund drei Kubikmeter Schotter reinzuschütten. Auf dem Bild (entstanden während der Bachauskehr, siehe unten, d. Red.) ist deutlich zu erkennen, wie intensiv gereinigt wurde – so sauber haben wir die Sohlfläche noch nie gesehen, bei keiner der bisherigen Backhauskehren. Das ist der Hauptgrund für die aktuellen Probleme."

Bei einer Sohlfäche, auch Gründungssohle oder Sohlfluge, handelt es sich um eine ausschließlich oder überwiegend über eine horizontale oder wenig geneigte Fläche. Das ist in den meisten Fällen eine Stahlbetonplatte.

Update vom 5. November, 11.22 Uhr: Die Surfer-Community ist zuversichtlich, dass die Eisbachwelle zeitnah wieder ganz die alte ist. "Wir hoffen, dass wir sie vielleicht schon heute im Laufe des Tages wieder surfen können", sagte Lena Stillner, Vorstandsmitglied der Interessengemeinschaft Surfen in München (IGSM), am Mittwoch am Rande der Pressekonferenz vor Ort: "Die Zusammenarbeit mit der Stadt und den Behörden ist sehr gut."
Eisbachwelle wieder im Werden? "Es sieht so aus, als würde sich schon etwas tun"
Das Baureferat habe zugesagt, gegen Mittag – wie von Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) als ersten Schritt weiterer Maßnahmen angekündigt – den Wasserzufluss zu erhöhen. "Es sieht so aus, als würde sich schon etwas tun, als hätten sie schon losgelegt. Es fließt mehr Wasser", sagt sie der AZ. "Wir sind sehr, sehr optimistisch, dass das was wird", so Lena Stillner, die bereits in ihren Neoprenanzug geschlüpft ist und nach eigenen Angaben erst einmal die E2 surft, um später möglichst an die Eisbachwelle zurückkehren zu können.

"Wir finden es gut und richtig, dass die Bachauskehr passiert", betont sie. Mit Blick auf den tödlichen Unfall auf der Welle habe man das alles besonders intensiv gemacht.
"Auch bei nochmaliger Überprüfung konnten keine Beschädigungen festgestellt werden"
Erstmeldung vom 4. November, 21.03 Uhr: Alle lieben es, wenn sich die Eisbachwelle auftürmt und bricht. Nun zerbrechen sich alle den Kopf, warum die Welle zusammengebrochen ist. Seit der Bachauskehr fehlt bei dem Surfhotspot jegliche Spur einer surfbaren Welle (AZ berichtete).
Dabei ist der Pegelstand mit rund 1,45 Metern nach der zweiwöchigen Reinigungsaktion wieder auf Normalniveau zurückgekehrt. Ideal zum Surfen sind 1,50 Meter. Auch der Abfluss weist mit knapp 25 Kubikmetern Wasser pro Sekunde keine Besonderheiten auf.
Wie das Brandenburger Tor ohne Quadriga
Das zuständige Baureferat ist ratlos: "Auch bei nochmaliger Überprüfung konnten keine Beschädigungen festgestellt werden", hieß es in einer Pressemitteilung. In und um München, aber auch überregional sorgt die fehlende Welle für Aufreger. Der Eisbach ohne Welle: Das ist wie Berlins Brandenburger Tor ohne Quadriga oder Londons Big Ben ohne Glockenklöppel.
Immerhin, jetzt gibt es einen Drei-Stufen-Plan. Vertreter von Baureferat, Umweltreferat, Wasserwirtschaftsamt, den Stadtwerken München und der Surfcommunity haben sich am Dienstag zu einem Abstimmungsgespräch getroffen. Zunächst werde man versuchen, die Wasserzufuhr "über das normale Maß hinaus zu erhöhen", gab OB Dieter Reiter (SPD) auf Instagram bekannt. Im zweiten Schritt soll die Regulierung des Unterwassers überprüft werden.
Experte sieht nur zwei Gründe als mögliche Ursache
Bleibt das erfolglos, müsse man, was "zugegebenermaßen sehr aufwendig ist", Kies in den Eisbach schütten, um so "das Wellental künstlich zu erhöhen". Man sei dabei, "alle möglichen Lösungen zu prüfen", so der OB. Die Ursache bleibt trotzdem weiterhin rätselhaft.
Was könnte des Rätsels Lösung sein? Die AZ hat mit einem Fluss-Fachmann gesprochen. Professor Markus Disse (62) ist Bauingenieur und Wasserwirtschaftsexperte und leitet seit zwölf Jahren den Lehrstuhl für Hydrologie und Flussgebietsmanagement an der Technischen Universität München (TUM). Es könnte zwei Gründe für die fehlende Welle geben, erklärt er, beide verursacht durch die Bachauskehr.
Bei diesem Verfahren wird das Bachbett von Unrat und Sedimenten befreit, die sich am Grund ablagern. "Mich würde interessieren, wieso so eine Bachauskehr überhaupt notwendig war", sagt Disse zur AZ.

"Meines Wissens wurde der Boden nach dem Surfunfall im April schon gereinigt, gefährliche Gegenstände wurden entfernt." Eine Bachauskehr sei nach einem Hochwasser sehr wichtig: "Ansonsten sollte man das Gewässer in Ruhe lassen." Ein Blick auf die Website des Hochwasserdienstes Bayern zeigt: Ein Tagesmittelwert höher als 1,52 Meter wurde in den letzten fünf Jahren nicht erreicht.
Auf AZ-Nachfrage erklärt das Baureferat: "Eine Bachauskehr war notwendig, weil durch mitgerissenes Treibgut Schäden an Böschungen, Dämmen und Brücken entstehen können." Die letzte Reinigungsaktion an der Eisbachwelle habe vor drei Jahren stattgefunden, im Oktober 2022.
Als ersten möglichen Grund für die fehlende Welle nennt Disse den Zufluss, der nicht mehr passen könnte. Vielleicht habe vor der Auskehr ein Zufluss von 25 Kubikmetern pro Sekunde gereicht, damit eine Welle entsteht. "Beim Säubern des Gerinnes könnte sich das Profil allerdings leicht verändert haben."
Sind die sogenannten Störsteine verschoben worden?
Die Entfernung von Moos oder Unrat reiche nicht aus, um größere Veränderungen beim Zufluss hervorzurufen. Da müssten schon die "Störsteine" verschoben worden sein – also die Betonquader, die in vier Reihen im aufsteigenden Teil der Senke liegen, und über denen sich das Wasser aufbäumt. Das könnte der zweite Grund sein, wieso der Eisbach ohne Welle fließt.
Das Baureferat teilt auf Nachfrage allerdings mit: "Die Steinblöcke wurden weder entfernt noch in ihrer Position verändert." Bauliche Veränderungen seien ebenfalls nicht vorgenommen worden. Zur AZ-Nachfrage, wie viel Menge an Geröll denn diesmal rund um die Welle herausgeholt wurden – auch im Vergleich zur letzten Bachauskehr – , oder ob im Schussboden unter der Welle auch Betonierarbeiten stattgefunden haben, gibt das Baureferat am Dienstagnachmittag keine Antwort. Das sei "in der Kürze der Zeit" nicht zu beantworten.
Ein Computermodell könnte weiterhelfen
Es gibt Hoffnung: Professor Disse präsentiert der AZ mögliche Auswege aus dem Wellen-Wahnsinn. Man könne einen Modellversuch bei der Versuchsanstalt Obernach der TUM anfordern. Doch das würde ganz schön dauern: Rund ein Vierteljahr brauche es, bis so ein Modell fertig sei. Schließlich müsse man zuvor die geometrischen Daten vor Ort aufnehmen.
Erst dann könne man sehen, was genau der Störenfried für die fehlende Welle sei. Einfacher gehe es, wenn man einen dreidimensionalen Computermodellversuch anfertige. "Mit einem guten Modellierer braucht das etwa einen Monat", so der Fluss-Fachmann. Da müssen sich die Surfer wohl noch etwas gedulden.
Doch denen reicht es. Bei einem Telefonat verweist Franz Fasel, der Vorsitzende der Interessengemeinschaft Surfen, nur auf einen Pressetermin am Mittwoch bei der Eisbachwelle. "Mehr sage ich dazu nicht mehr", so Fasel.

"Die Welle war doch über Jahre stabil"
Dafür sagen politische Vertreter umso mehr. OB-Kandidat Clemens Baumgärtner (CSU) stellt die Frage, "was bei der Bachauskehr heuer anders gelaufen ist, dass sich die Welle nicht wieder aufbaut wie in den Jahren zuvor". Empörung äußert auch die Stadtrats-FDP. Fraktionschef Jörg Hoffmann: "Die Welle war vor dem Eingriff über Jahre stabil."
Auch in puncto Sicherheit am Eisbach sind nicht alle Fragen geklärt: Am Montag hatte das Baureferat auf AZ-Nachfrage bestätigt, dass bei der Eisbachwelle seit Juni ein Sicherheitsdienst eingesetzt ist. Darüber zeigt sich die CSU irritiert. Sie will nun von OB Reiter wissen, ob es Hinweise auf mangelnde Sicherheit gebe, wie lange die Securitys noch eingesetzt werden und was das kostet. Geklärt haben will sie auch, ob beim neuen Lichtmast am Eisbach unter dem Scheinwerfer eine Kamera installiert worden ist.
