Eggarten-Abriss: Schätze aus dem verschwundenen Paradies
München - Nun spült es sie davon, die Geschichten, die die hundert Jahre alte Kleinod-Siedlung noch erzählen kann. Am Mittwoch haben Arbeiter am dritten Häusl in der Kolonie Eggarten mit der Entkernung begonnen, damit der Weg frei wird für eine dichte Neubausiedlung mit fast 2.000 Wohnungen.
Nach der Eggartenstraße 9 und 4 jetzt also auch in der Daxetstraße 4. Von den 25 historischen Häusern, die zwischen riesigen wilden Gärten in der Lerchenau stehen, wollen die Projektentwickler CA Immo und Büschl bis zum Frühjahr 14 abreißen, nur drei dürfen bleiben.
Entkernen, das heißt nicht nur, Holzböden und Dachbretter herausreißen, sondern auch alles aus den Fenstern werfen, was Entrümplungstrupps an Innenleben zurückgelassen haben. Möbel aus der Jahrhundertwende, alte Werkzeuge, historische Zeitungen, Bilder, Porzellan, Öfen, Koffer voller Schulhefte, Fotoalben, Briefe.
Letzte Erinnerungen verrotten im Regen
Hinterm Haus an der Eggartenstraße 9 regnet es in diesen Tagen auf einen Gründerzeitschrank, historische Kastentüren, eine hundert Jahre alte Druckerpresse. Im Matsch lagen auch handgeschriebene Briefe, Familienfotos, Traueranzeigen, die wohl noch in den Schubladen gelegen waren. Letzte Erinnerungen an die letzten Bewohner.

"Sowas tut weh", sagt der Hobbyhistoriker und Neubaugegner Martin Schreck, der mit einer Gruppe an Eggarten-Freunden vieles noch aufsammelt und sicher lagert. Seit Monaten macht die Gruppe das schon, Erinnerungen retten vor dem unerwünschten Abriss. Schreck: "Das ist nicht zu verstehen, wie man so achtlos mit Zeugnissen einer historischen Siedlung umgehen kann." Schließlich haben seit den 1920er Jahren hier Menschen Gärten bewirtschaftet, gelebt, geliebt und gelitten. Vier, fünf Generationen München.
In der Eggartenstraße 9 hat er noch Soldatenpost eines jungen Mannes aus dem Zweiten Weltkrieg gefunden. Eisige Minus 40 Grad habe es, schrieb er von der Ostfront an seine Eltern. Franz Xaver, so hat er geheißen, 24 Jahre alt, ist aus dem Krieg nicht heimgekehrt.
Im Wohnzimmerschrank war eine Abendzeitung von 1948
Im Keller stand dieser Tage noch ein großer Räucherschrank, in dem die Familie ihre Würschtl geräuchert hat. "Das ist doch toll, wenn man so etwas heute Kindern zeigen kann", sagt Schreck, "es weiß doch heute kaum noch jemand, wie man früher daheim geräuchert hat." Im Wohnzimmerschrank, neben Haushaltsbüchern, fand sich ein echter Schatz: Eine Abendzeitung, erschienen am 7. August 1948, im Gründungsjahr.

Aber auch Erinnerungen an den ehemaligen Kramerladen der Kolonie haben die Eggarten-Freunde aus einem Haus geholt, bevor die Abrissbirne kommen wird – wie eine Waage aus den Nachkriegsjahren, samt allen Metallgewichten.
Für Fußballfans ist das Schmökern in einer Sammlung von "Kicker"-Magazinen aus den 1960er und 70er Jahren sicher ein Spaß, die hat der letzte Bewohner in seinem Gartenhaus zurückgelassen, fast ohne Eselsohren. Aus der Zeit könnten auch die Schulhefte stammen, in denen ein Mädl Stenografie geübt hat, und ein "Lehrbuch für die Führerscheinklasse 3" der Münchner Fahrschule Idinger, die immerhin drei Adressen in München hatte.
Was tun mit den Fundstücken?
Was soll nun werden, aus all den gesammelten Fundstücken? Einen rechten Plan haben sie nicht, die Eggarten-Freunde. Am liebsten wäre ihnen, die ganze Siedlung mit ihren Häusern in verwunschenen Gärten mit den 1.000 alten Bäumen und dieser Artenvielfalt könnte stehenbleiben. 21 Hektar Grünparadies "als Denkmal der Zeitgeschichte, als Museums-Dorf und für Künstler und Kultur", sagt Martin Schreck. "Dass die Häuser baufällig sind, stimmt einfach nicht, die Projektentwickler behaupten das nur, damit sie jetzt abreißen können."

Etliche Lokalpolitiker haben sich an die Seite der Eggarten-Freunde und gegen eine Bebauung gestellt, genau wie Natur- und Vogelschützer, denen es um den Erhalt der Grünfläche in Klimawandelzeiten und den Schutz gefährdeter Tiere geht. ÖDP und München-Liste haben Anzeige erstattet (AZ berichtete). Wie es weitergeht, ist unklar.
Klar ist nur, an einem Bebauungsplan für eine dichte Siedlung arbeitet die Stadt noch. Der Stadtrat wird über den Eggarten noch zwei Mal abstimmen müssen. Dass das Projekt noch gestoppt wird, ist nicht wahrscheinlich. Aber für die Eggarten-Freunde stirbt die Hoffnung zuletzt.
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