Diskussion am Tollwood: So artgerecht is(s)t München
München - Der Wiesnwirt lässt auf sich warten. Im September ist Toni Roiderer ein Dauergast auf der Theresienwiese, wenn Ende November die Bio-Fraktion des Tollwood übernimmt, bleibt der Chef der Wiesnwirte lieber in seiner Wirtschaft in Straßlach. Mit sechs Minuten Verspätung taucht er dann doch im Weltsalon auf dem Podium auf. Da wird schnell klar: Mit Leuten, die „nur Kerndl essen“ hat der Wiesnwirt nicht viel am Hut – mit Biobäuerinnen schon eher.
„Artgerechtes München“ ist das Thema der Podiumsdiskussion am Dienstagabend. Roiderer gibt vor 150 Besuchern den Querschläger, eine Rolle, die er gerne annimmt („Sonst wird’s ja langweilig.“). Neben ihm sitzen Bürgermeisterin Christine Strobl, die Biobäuerin Gertraud Gafus und der grüne Umweltreferent von Ingolstadt, der Tierarzt Rupert Ebner. Münchner wollen ihre Stadt artgerecht, hat eine Tollwood-Umfrage ergeben. Aber geht das so einfach?
95 Prozent der Schweine stehen auf Betonspalten
Gertraud Gafus hat sich dafür entschieden, dass es gehen muss. Bei Berchtesgaden züchtet sie Rinder, führt eine Wirtschaft. Alles bio und im kleinen Stil, weil da der „Betreuungsschlüssel“ für die Tiere besser ist. Die Großbetriebe werben für ihr Fleisch mit glücklichen Tieren auf der grünen Wiese. Gafus ärgert das: „Eigentlich sollte auf der Fleischpackung ein echtes Bild des Ferkels drauf sein, als es gelebt hat.“
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Ein Tierleben in der industriellen Haltung sei von grünen Wiesen weit entfernt, erläutert Tierarzt Ebner. 95 Prozent der deutschen Schweine verbringen ihre 120 Tage Leben auf Betonspalten: „Das tut den Schweinen weh auf Dauer.“ Sie haben entzündete Schleimbeutel am Fuß und Sehnenscheidenentzündungen. Laut Tierschutzgesetz sei diese Art der Haltung gar nicht rechtens. Nur die Gerichte setzten die Paragrafen einfach nicht um.
Toni Roiderer schaut bei diesen Ausführungen unbeteiligt in die Ferne. Frau Gafus sei ein Vorbild für ihn, sagt er. Aber die hat einen Familienbetrieb. Bei ihm laufe es anders. Und die gequälten Schweine: „Ob des allwei so is, weiß ich auch nicht. Warum ziehen denn Frauen alle High Heels an?“
Oktoberfest bio? Geht nicht, sagt Roiderer
Das Oktoberfest mit Bioprodukten abzuwickeln, das ginge nicht: „Das ist eine Preisfrage.“ Die Leute müssten sich das auch leisten können. „Ein Gockel hat viel Eiweiß, ist günstig und macht glücklich“, ist Roiderers Wiesnessen-Erfolgsformel.
Ein Jahr lang hätte die Stadt ihm vorgeschrieben, ein Biogericht auf die Karte zu setzen. Da habe es Bio-Maultaschen mit Tomatensoße gegeben – hat sich nicht verkauft, so Roiderer. Man kann mutmaßen, dass das nicht nur am Bio-Siegel lag.
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Christine Strobl würde Roiderer und Kollegen gerne mehr Einsatz abverlangen. „Ihr habt’s Glück, dass ich nicht alleine das Sagen hab“, sagt sie und klopft Roiderer auf den Arm.
Gutes Essen stadtweit durchzusetzen ist schwierig
Dort, wo sie Einfluss hat, ist es aber auch nicht einfach. Bei den Krippen, da habe man beim Fleisch 90 Prozent Bio-Anteil. Aber schon bei den Schulen wird es wegen Beteiligung des Elternbeirats und der Schulleitung schwieriger.
Dazu kommen die Krankenhäuser und Altenheime. „Bei den Pflegesätzen spüren wir alle zehn Cent. Das ist leider so“, sagt sie.
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Auf dem Podium sind sich trotzdem alle (minus Toni Roiderer) einig, dass sich etwas ändern muss. Die Forderung nach einer Bio-Wiesn versteht der Wirtesprecher zwar „akustisch“ nicht, in ein paar Jahren wird man aber auch bei Massenveranstaltungen umdenken müssen. Zumindest Bio-Landwirtin Gertraud Gafus ist sich da sicher. Wer heute spart, zahlt künftig die Umweltrechnung dafür: „Alles was heute billig ist, ist morgen sehr teuer.“