Das sind die Häufelkönige im neuen Stadtrat
München - So viele Stimmen wie bei der Münchner Kommunalwahl hat man selten: das „Kumulieren“, besser bekannt unter dem Begriff „Häufeln“, macht’s möglich.
Mit diesem Instrument können die Wähler mitbestimmen, wen eine Partei letztlich in den Stadtrat schickt. Wer von seinen Parteifreunden auf einen wenig aussichtsreichen Listenplatz abgeschoben wurde, hat deshalb noch lange nicht verloren. Schon so mancher holte so viele Häufelstimmen, dass er am Schluss Besserplatzierte überholte – und ausstach.
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Bis zu drei Stimmen durften die Abstimmenden ihren Favoriten am Sonntag geben.
Wer hat es geschafft, sich dank Wählergunst in den Stadtrat vorzuarbeiten? Und welche spannenden Neuzugänge gibt es auch jenseits der Häufelkönige im Stadtrat?
Ein Überblick:
Entern und ändern
Piraten und Wasser – das passt zusammen. Thomas Ranft hat es am liebsten im festen Aggregatzustand: Der 60-Jährige ist Präsident des Eishockeyvereins ESC River Rats Geretsried!
Geboren 1953 in Waren an der Müritz, studierte er an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität Soziologie, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte sowie -psychologie.
Als Spitzenkandidat der Piraten entert Ranft jetzt das Rathaus. Der Journalist hat viele Thema auf der Agenda: von mehr Bürgerbeteiligung bis zur Kennzeichnung von öffentlichen Kameras.
Der mit dem Feuer spielt
Zuletzt gelangte Josef Assal mit einer eher bizarren Aktion in die Schlagzeilen: Der SPD-Politiker hatte eine Sau mit den Namen seiner Gegner und Kritiker beschriftet (Neuaubinger Zeitung, Aubing CSU, Münchner Stadtrat, Deutsche Bahn...) und auf offenem Feuer grillen lassen.
„Eine vollständige Entgleisung“, schimpfte nicht nur OB Christian Ude. Für die SPD ging Assal deshalb auch nur auf Listenplatz 51 ins Rennen. Aussichtslos. Eigentlich. Doch die Wähler häufelten ihn nach vorne – auf Rang 25. 25 Stadträte stellt die SPD. Heißt: Assal ist drin. Man könnte sagen: Schwein gehabt!
Der linke Protestsänger
Mit Çetin Oraner (47) hat es auch ein linker Liedermacher in den Stadtrat geschafft, der sich selbst als „Protest-Sänger“ bezeichnet. Als Kind politischer Flüchtlinge kam er vor 40 Jahren nach München. Als junger Mann ging Oraner in die Türkei, um als Musiker zu arbeiten. Auf seiner Homepage schildert er, wie er sich dort in der türkisch-kurdischen Friedensbewegung engagierte.
Seit 2011 lebt und arbeitet er wieder in München. Mitglied bei der Linken ist er erst seit 2013, trotzdem kandidierte er gleich auf Platz 2 der Liste. Als einen politischen Schwerpunkt führt er die Arbeits- und Wohnsituation von Migranten in München an.
Çetin bedeutet im Türkischen „der Schwierige, der Strenge“ – man wird sehen, ob sein Name zu seiner Stadtrats-Arbeit passt.
Dr. Theiss - ein Kardiologe mit prominenter Ehefrau
Er ist der Mann an der Seite einer äußerst schlagfertigen Frau – und ab Mai ist er auch einer der Neuen im Münchner Stadtrat: Dr. med. Hans Theiss, verheiratet mit der Ex-Kickboxerin Christine Theiss.
2005 gab das Paar sich das Ja-Wort. Seine Frau Christine sagte kürzlich im AZ-Interview: „Meine Männerwelt besteht aus meinem Mann Hans, das reicht.“ Doch weg vom Privaten. Das politische Credo des Kardiologen, der in Großhadern arbeitet: „Unsere Stadt braucht ein neues Denken und vor allem eine bessere Gesundheitspolitik.“
Von der Natur zur Börse
Fonds, Optionsanleihen, Rating und Rendite: Das war die Welt von Sonja Haider – als Börsenhändlerin in London. Doch irgendwann kam sie ins Zweifeln, ihr fehlte „der tiefere Sinn“ in dieser Tätigkeit, wie sie auf der Homepage der ÖDP bekennt. Seit 1999 arbeitet sie deshalb für gemeinnützige Vereine – zum Beispiel für den Umwelt- und Klimaschutz.
Jetzt zieht Sonja Haider, geboren 1964 in München, in den Stadtrat – als eine von zwei ÖDP-Kandidaten. Eigentlich lag sie nur auf Platz 3 der Liste. Doch die Wähler häufelten sie an Solarunternehmer Thomas Prudlo vorbei.
Ein echter Ex-Minister
Dass ein Ex-Minister in den Stadtrat einzieht, hat Seltenheitswert. Im Normalfall funktioniert die politische Karriereleiter von unten nach oben. Doch ein anderes Betätigungsfeld als der Stadtrat ist Wolfgang Heubisch, Wissenschaftsminister a. D., nicht geblieben – schließlich flog die FDP aus dem Landtag. Als der 68-Jährige auf die liberale Stadtratsliste gesetzt wurde, hoffte die FDP noch auf einen Wiedereinzug. Vergeblich.
Auch bei der Stadtratswahl musste sie Federn lassen. Heubisch rutscht als letzter FDPler rein – Häufler hievten ihn von Rang 15 auf Platz 3.
Olympionikin im Rathaus
Eine Olympionikin und Goldmedaillengewinnerin hat es im Münchner Stadtrat noch nie gegeben. Das ändert sich jetzt. Die blinde Biathletin und Skilangläuferin Verena Bentele zieht ins Rathaus. „Die Politik ist für mich eine neue, spannende Herausforderung nach den Wettkämpfen“, sagt sie. Erste Erfahrungen hat Bentele bereits gemacht: Christian Ude holte sie als Beraterin für Sport und Integration in sein Team für den Landtagswahlkampf.
Und seit Januar ist die 32-jährige in Lindau geborene Sportlerin Behindertenbeauftragte der Bundesregierung.
Schmid ist Stimmenkönig
Die Stichwahl wird erst am 30. März entschieden. Aber über einen kleinen Zwischen-Erfolg durfte sich CSU-OB-Kandidat Josef Schmid schon gestern freuen:
Er lag bei der Auszählung der Stadtratsstimmen knapp vor seinem SPD-Kontrahenten Dieter Reiter (Stand: 16 Uhr). Die Auszählung dauerte noch an. 221395 Stimmen landeten am Sonntag bei dem 44-Jährigen, Genosse Reiter musste sich mit 219878 begnügen.
Falls es bei dieser Platzierung bleibt, ist „Seppi“ der Münchner Stimmenkönig bei der Stadtratswahl.
Nachspielzeit für Hep
Hep Monatzeder (62) kann aufatmen: Wenn er schon nicht grüner OB-Kandidat sein durfte und auch die Sechzger ihn verschmähten, so hat er es wenigstens wieder in den Stadtrat geschafft. Und das trotz unsicheren Listenplatzes. Von Rang 18 häufelten ihn die Wähler auf Platz 6 vor. Balsam für seine Seele.
Dass Sabine Nallinger ihm die grüne Spitzenkandidatur abrang, war für ihn schwer erträglich. Danach kündigte Langzeit-Bürgermeister „Hep“ zunächst an, sich aus der Stadtpolitik zurückzuziehen.
Nun gibt’s doch eine Nachspielzeit.
Der Mann mit Hut
Er arbeitete als Türsteher im Glockenbachviertel, als Streetworker für Stricher, als Bühnentechniker bei den Bayreuther Festspielen, als Discjockey unter dem Künstlernamen „DJ Balu“ – und er betreibt eine Bluesbar: Jetzt kann Wolfgang Zeilnhofer-Rath eine neue Tätigkeit in seinen Lebenslauf schreiben: Stadtrat!
Trotz eines Schicksalsschlags – sein diabeteskranker Sohn starb im Februar – hielt der 52-Jährige an seiner Kandidatur fest. Und er gewann ein Mandat für die Wählergruppe HUT. Im Stadtrat will er vor allem gegen den Wohnwahnsinn kämpfen.