Soziale Plastik für Afrika
Schlingensiefs „Mea Culpa“ kommt in die Staatsoper. Der Regisseur über Merkel, Wagner, seine Frau – und seine Krankheit
Er war lange das rebellische Wunderkind im deutschen Kulturbetrieb: Mit Filmen, Happenings und Theater mischte Christoph Schlingensief die Szene auf – und stieg bis auf Bayreuths Grünen Hügel. Eine schwere Krebserkrankung schockte den Allroundkünstler im letzten Jahr. Schlingensief schildert seine Erfahrungen in dem bewegenden Buch „So schön wie hier kanns im Himmel gar nicht sein!“. Mit seinem am Wiener Burgtheater uraufgeführten Stück „Mea Culpa“ gastiert er am 13. und 14. September in der Bayerischen Staatsoper (beide Abende sind ausverkauft). Der 1960 in Oberhausen geborene Regisseur und Filmemacher studierte Kunstgeschichte und Philosophie in München.
AZ: Herr Schlingensief, Sie wollen in Afrika ein Opernhaus eröffnen. Ist Ihr Projekt abhängig davon, ob Steinmeier, der es unterstützt, Kanzler wird oder nicht?
CHRISTOPH SCHLINGENSIEF: Nein, aber ich kann nicht verhehlen, dass ich ihn für die bessere Merkel halte. Er hat Ahnung von Kultur, was ich bei Frau Merkel gar nicht spüren konnte. Als wir sie mit der Berlinale-Jury im Kanzleramt besucht haben, also u. a. mit Tilda Swinton und Henning Mankell, da kam nicht eine Frage von ihr, außer, wie uns der Kuchen schmeckt. Die Kollegen haben mich hinterher gefragt, ob die immer so sei. Das fand ich schon komisch. Den Steinmeier kenne ich persönlich nicht gut, aber ich habe letztens eine Rede von ihm im Kulturforum gehört. Der weiß wenigstens, wovon er spricht.
Sie haben sich aber nicht aktiv in den Wahlkampf eingemischt?
Nein, aber ich finde, dass jeder wissen sollte, dass eine Stimme für die FDP eine verschenkte Stimme ist. Die FDP besteht aus Leuten, die immer schon neoliberale Wirtschaftspolitik gepredigt haben. Bis zum Anschlag. So eine Partei mit der CDU zusammen wird ein Desaster. Ich gehe aber auf keinen Fall mit Günter Grass für die SPD aufs Podest. Das kann und will ich nicht.
Mögen Sie Grass nicht?
Ich finde den klasse. Wie diese alten Männer – da gehört ja auch Walser dazu und früher Ernst Jünger – stur bis zum Schluss ihre Haltungen verteidigen, das hat doch was. Ich wünsche mir, dass sich ein paar andere Künstler zeigen. Und damit meine ich nicht, dass Peter Maffay mal neben Gerhard Schröder stand.
Kritiker haben Ihnen vorgeworfen, Sie würden in Ihren Theaterabenden vor allem Ihr Leid thematisieren.
Wer so etwas schreibt, hat meiner Meinung nach kein Bücherregal. Der hat noch nie Dostojewski gelesen, oder Nietzsche. Kunst, Kultur, Philosophie hat immer daraus geschöpft, dass ein Mensch gerade in seinem Denken oder Fühlen an eine Grenze gekommen ist. Die Kritiken meiner Arbeiten waren aber zu 99 Prozent positiv. Und an Auseinandersetzungen mit Menschen, die sowieso gegen alles sind, bin ich nicht mehr interessiert. Ich habe auch im „Freitag“ einen Kommentar gelesen, nach dem Motto: Der soll in Würde still den Krebs ertragen und sterben. Die „FAZ“ hat einen Artikel gedruckt, der sich gegen die „Krebs-Literatur“ aussprach. Ich lasse mir von niemandem verbieten, Erfahrungen, die ich gemacht habe, zu erzählen. Nicht um Horror zu erzählen, sondern auch um Fragen zu stellen. Die Krebshilfe weiß auch nicht mehr, als Blätter herauszugeben, in denen drinsteht, dass wir hoffen können, dass es besser wird. Wir haben das Unsterbliche im Körper, den Krebs halt, der bringt uns um.
Wären Sie an einer Wagner- Inszenierung in München interessiert?
Wenn der Bachler mich fragt, bin ich sicher nicht abgeneigt. Dass er „Mea Culpa“ geholt hat, finde ich sehr aufregend. Das ist schon ein riesiges Monster, dieser Abend. Ich arbeite demnächst mit Adam Fischer in Budapest an „Intoleranza“, ich inszeniere 2012 in Amsterdam und habe auch eine Anfrage für den „Tristan“ aus Deutschland. In Berlin werde ich mit Barenboim an der Staatsoper etwas machen. Aber in München eine Wagner-Oper, das hätte was.
Wenn man Sie auf Fotos der jüngeren Zeit sieht, fällt auf, dass Sie oft wahnsinnig strahlen. Haben Sie diese unbeschwerten Momente?
Diese Freude, die ich geschenkt bekommen habe, fiel mir auch bei der Arbeit an „Mea Culpa“ auf. Ich habe nicht mehr diesen Druck ausgeübt, ich hatte nicht mehr die Kraft wie früher. Ich habe stattdessen zugehört, gestaltet, und ich hatte ein Wahnsinns-Team. Da kam das Lachen zurück. Zu dieser Freude trägt aber ganz sicher meine Frau bei. Ich heule auch, aber ihr gelingt es immer wieder, mich da rauszuziehen. Sie will nicht, dass ich mir vormache, ich sei gesund. Ich muss mich nicht verstellen, Und das ist das richtig große Glück. Aber wir haben leider so ein großes Damoklesschwert über uns – das haut einem manchmal schon ziemlich in die Knie.
Trotzdem gönnen Sie sich keine Pausen.
Es hilft mir sehr, Ziele zu haben, dass ich arbeiten kann. Vor allem das Afrika-Projekt fordert mich und gibt mir viel Kraft. Ich habe mich in Mosambik mit Henning Mankell getroffen, der sich beteiligen möchte, und der auch nach München zu „Mea Culpa“ kommt. Auch mit Rupert Neudeck stehen wir kurz vor der Kooperation. Das Außenministerium unterstützt uns mit 230000 Euro. Das Projekt ist Arbeitsfläche für einen wachsenden Austausch, bei dem immer mehr mitmachen. Kein einseitiges Reinschütten, wie das schon sehr oft passiert ist. Wir haben von Willy Decker, dem Intendanten der Ruhr-Triennale, ein Theater für 500 Leute geschenkt bekommen, das lagert jetzt in elf Containern. Wir brauchen 70000 Euro für den Transport, dann können wir noch dieses Jahr beginnen. Wir bauen ja keinen Grünen Hügel, sondern beginnen mit einer Schule, einem Mini-Krankenhaus, einer Aids-Station und dem Theater. Wir wollen aber nicht nur Gaben verteilen, sondern Partner mit ins Boot holen. In Burkina sind wir jetzt sehr nah dran, ich möchte, dass die dortige Regierung das Projekt mit sichert. Das wird schließlich kein Denkmal für Schlingensief, sondern eine Art soziale Plastik im Sinne von Beuys.
Volker Isfort