Nach dem Kultur-Kahlschlag: Protest vor dem BR-Funkhaus

Wie es sich für eine Demonstration gehört, wurde argumentativ schwerstes Geschütz aufgefahren: Mit der Streichung von Literatursendungen betreibe der Bayerische Rundfunk in vorauseilendem Gehorsam das Geschäft der Freien Wähler und der AfD, die dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk kritisch bis ablehnend gegenüberstehen, donnerte der Schriftsteller Uwe Timm bei einer Kundgebung hinter dem Funkhaus.
Danach marschierten rund 200 Demonstranten aus der Literaturszene mit der Express Brassband und der Hochzeitskapelle vor den Haupteingang. Dort gaben die Schriftstellerin Sandra Hoffmann und Eva Mair-Holmes vom Musikverlag Trikont einen Brief mit 150 Unterschriften an die BR-Intendantin Katja Wildermuth ab.

Kultur-Kürzungen bei Bayern 2: BR-Identidantin Katja Wildermuth fordert "Blick auf die Fakten"
Die blieb unsichtbar – wie bei den meisten Anlässen für kritische Nachfragen. Per Pressemitteilung wies Wildermuth Berichte über "vermeintliche Kürzungen" zurück und forderte "einen klaren Blick auf die Fakten". Die Programmreform stärke die bayerische Kulturberichterstattung durch bessere Sendezeit im Linearen, neue Formate im Regionalen und Digitalen sowie mehr Zusammenarbeit in der ARD.
Derlei Erklärungen misstraute man auf der Kundgebung. "Reform" bedeute immer, dass gespart werde, so Timm. Auch seine Schriftsteller-Kollegen Jonas Lüscher und Nora Gomringer kritisierten die bevorstehende Programmreform von Bayern 2, dessen Literatur- und Kulturprogramm hohes Ansehen genieße. Dies drohe Schaden zu nehmen, wenn feste Literatursendungen wie "Diwan" gestrichen würden.

Der Bayerische Rundfunk verkauft die Sparmaßnahmen als "Stärkung" der Kultur
Der BR verkauft dies als "Stärkung" der Kultur. Diese Themen sollen von wenig genutzten Randplätzen und dem Wochenende in die Kernzeit des Hörfunks gehoben werden. Durch die Verlegung der Inhalte auf eine neue werktägliche Sendestrecke von 14 bis 16 Uhr verspricht sich der Sender bis zu sieben Mal mehr Hörerinnen und Hörer für diese Inhalte, heißt es in einer Mitteilung.
Kritiker dieser Reform innerhalb und außerhalb des Senders fürchten, dass Buchbesprechungen ohne festen Sendeplatz dem Quotendruck innerhalb des Magazinmixes aus Wort und Musik nach einiger Zeit gänzlich zum Opfer fallen könnten. Für weiteren Alarm sorgte zuletzt die Ankündigung, man wolle sich unter dem Motto "mehr bayerische Premieren, weniger bundesweite Blockbuster" in der Kulturberichterstattung stärker auf den Freistaat konzentrieren und weitere Beiträge nur mehr aus einem ARD-weiten Pool übernehmen.
Kritik fürchten eine "Provinzialisierung" des öffentlich-rechtlichen Rundfunks
Timm kritisierte das als "Provinzialisierung": Die Meinungsvielfalt innerhalb des öffentlich-rechtlichen Systems sei gerade seine Stärke. Nicht angesprochen wurde bei der Kundgebung das ebenfalls angekündigte Format einer Sendung, in der "Bayerns Lieblingsbücher von Hörerinnen und Hörern" rezensiert werden sollen.
Das wird intern als Angriff auf die Kompetenz der Literaturexperten verstanden. Es sei, als würde man die Politikberichterstattung abschaffen und durch Straßenumfragen ersetzen. Die drei Redner erinnerten an den Kulturauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Teilweise kritisiert wurde auch der Umzug des Senders aus der Stadtmitte nach Freimann als symbolischer Verlust.
BR-Programmdirektor Björn Wilhelm verfolgt die Demonstration unbewegt
Jonas Lüscher wandte sich gegen das Gerede vom Abbau der Schwellen: Es müsse Raum für elitäre Inhalte geben. Die Aufteilung des Programms nur noch in Wort-Häppchen sei ein Ausdruck des Anti-Intellektualismus, der die Freiheit von rechts bedrohe. Der heftig kritisierte und den meisten Demonstranten wohl unbekannte Programmdirektor Björn Wilhelm verfolgte die Kundgebung mit professioneller Unbewegtheit.
Er dürfte sich in seinem Reformeifer eher bestätigt fühlen: In allen Redebeiträgen dominierte ein eher konservatives Verständnis vom Rundfunk mit klassischem linearen Programm, das sich mit heutigen Hörgewohnheiten über Mediatheken nicht völlig deckt.
Abseits der Literatur glänzte die Kulturwelt bei der BR-Demo mit Abwesenheit
Irgendwo wehte eine einsame Fahne der Gewerkschaft Ver.di. 150 Unterschriften sind auch nicht die Welt. Und wenn man von Eva Mair-Holmes (Trikont), den Musikern ihres Labels und Dietmar Lupfer (Muffatwerk) absieht, glänzten außerliterarische Bereiche des kulturellen Lebens durch Abwesenheit.
Dieser – leider branchenübliche Mangel an Solidarität kann sich rächen: Auf die so genannte "Stärkung" der Literatursendungen folgt womöglich eine ARD-weite Sparwelle bei den Klangkörpern. Die Kürzungen beim eben zu Ende gehenden Musikwettbewerb der Sendergruppe sind ein fatales Signal.
Aufzuhalten ist die Reform bei BR nicht mehr – der Rundfunkrat muss nicht einmal zustimmen
Widerspruch gibt es allerdings aus der Politik. Unter den Teilnehmern befand sich neben der grünen Kultursprecherin und Rundfunkrätin Sanne Kurz auch Bayerns ehemaliger Kunstminister Wolfgang Heubisch (FDP). Er ist – im Unterschied zu anderen Vertretern seiner Partei – ein Fan des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und seines Kulturauftrags.
Verhindern lässt sich die für das Frühjahr 2024 geplante Programmreform wohl nicht mehr. "Die Weiterentwicklung der Kulturberichterstattung wird in den nächsten Wochen und Monaten fortgesetzt", heißt es in einer Mitteilung des Senders. Der Rundfunkrat wird im Oktober informiert, zustimmen muss er nicht.

Die Demonstranten lassen sich nicht entmutigen – und wollen weiterkämpfen
Mit Widerspruch ist aber zu rechnen, allerdings wird das Gremium von der CSU dominiert, die sich auf eine Deckelung des Rundfunkbeitrags festgelegt hat. Das hat – aus Sicht der Sender – Kürzungen im Programm zur Folge, als sei die Finanzierung intransparenter Sportveranstaltungen wie der Fußball-WM und der Olympischen Spiele über den Kauf überteuerter Sportrechte ein Naturgesetz.
Die Initiatoren der Demo kündigten an, dass dieser Protest erst der Anfang sei. Irgendwie sieht es so aus, als müsse man die Sender immer von außen an den im Rundfunkstaatsvertrag festgelegten Kulturauftrag erinnern, weil er intern angesichts des Quotendrucks immer wieder in Vergessenheit gerät.