Diskussion zu Kultur und Corona: Mehr Öffnung wagen

München - Der Festsaal am Nockherberg hat 1.200 Plätze. Wenn man dort ohne Maske Schweinsbraten isst, sich zuprostet und dazu im Hintergrund leibhaftige Musiker aufspielen, dürfen derzeit 1.000 Menschen anwesend sein, was von den dortigen Gastronomen allerdings nicht ausgereizt wird. Ein Kulturveranstalter wollte in diesem Saal Kabarettisten auftreten lassen – unter Beachtung von Abstandsregeln und in Maßen. Genehmigungsfähig sind aber auch in diesem Saal dann nur 200 Besucher bei kulturellen Veranstaltungen in Innenräumen, wie überall in Bayern außer im Gasteig und in der Staatsoper, wo ein Pilotprojekt mit 500 Besuchern läuft.
Ungleichbehandlung von Gastro und Kultur in Bayern
Dies ist nur ein Beispiel für die das Groteske streifende Ungleichbehandlung von Gastronomie und Kultur in Bayern. Über dieses Thema unterhielt sich der FDP-Kultursprecher und ehemalige bayerische Kunstminister Wolfgang Heubisch mit Betroffenen im Landtag. Barbara Mundel (Kammerspiele) und Hans-Jürgen Drescher (Bayerische Theaterakademie) vertraten die öffentlich geförderten Institutionen, Anna Kleeblatt vom Verband Münchner Kulturveranstalter und Carola Kupfer vom Bayerischen Landesverband der Kultur- und Kreativwirtschaft die von der Coronakrise besonders gebeutelten privaten Bereiche.
Heubisch erinnerte daran, dass zwar die Kurzarbeit verlängert worden sei, die Zukunft der Ende September auslaufenden Künstlersoforthilfe aber offen sei. Sie grenzt ohnehin an ein Almosen, weil Solo-Selbstständige für das verlorene halbe Jahr maximal 1.000 Euro monatlich bekommen können – dies aber nur für drei Monate.
Die Bedeutung der Branche, die immerhin drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts erwirtschaft, wird von der Staatsregierung immer noch verkannt. Dass es auch ein wenig an der Lobby fehlt, machte Carola Kupfer klar: Ihr Landesverband der Kultur- und Kreativwirtschaft wurde erst im April gegründet und muss noch dafür kämpfen, an Runden Tischen sitzen zu dürfen.
Wie steht es um die Clubs in München?
Anna Kleeblatt und Carola Kupfer sorgten für eine Erweiterung des Kulturbegriffs jenseits von Theatern und Konzerten in Richtung Clubs und sonstige Kreative, die in der intensiven Debatte um die Besucherzahl gerne einmal vergessen werden. Alle Anwesenden distanzierten sich von Corona-Leugnern und den von Rechts gekaperten Hygiene-Demos. Plädiert wurde für eine maßvolle Öffnung mit auf die Raumgröße abgestimmten Hygienekonzepten und dezentralen Genehmigungen durch kommunale, mit den Gegebenheiten vertraute Behörden und eine Gleichbehandlung der Veranstaltungswirtschaft mit der Gastronomie.
An eine Entwöhnung des Publikums glaubt niemand. Dem Argument, dass Hygienemaßnahmen den Erlebniswert beeinträchtigen könnten, traten die Vertreter der Theater pflichtgemäß entgegen, dass Maskentragen auch sonst üblich geworden sei. Bestehende Ängste könnte aber ein von Hans-Jürgen Drescher vorgebrachtes technisches Argument lindern: Alle großen Münchner Häuser verfügen über leistungsfähige Klimaanlagen, mit denen die gesamte Raumluft innerhalb von 10 Minuten durch bayerische Frischluft ersetzt werden kann, was beispielsweise in öffentlichen Verkehrsmitteln so nicht möglich ist.
Anna Kleeblatt wies darauf hin, dass geöffnete Clubs dazu führen könnten, den Gärtnerplatz und andere Treffpunkte im Freien zu entlasten. Etwa in der Mitte der Veranstaltung wurden Fragen aus dem Online-Publikum zugelassen. Dabei kam auch die Frage nach der kulturellen Bildung auf. Anna Kleeblatt erinnerte an Studien, in denen die Bedeutung der Schulen für das kulturelle Interesse von Erwachsenen betont werde.
Den städtischen Kammerspielen drohen Einschnitte
Die drohenden finanziellen Einschnitte blieben eher ein Randthema: Drescher wies allerdings darauf hin, dass die Finanzierung der Theaterakademie auch von der Vermietung des Prinzregententheaters an private Veranstalter abhängig ist. Den städtischen Kammerspielen drohen Einschnitte durch die allgemeine Kürzung des Etats aller Referate. Aber das ist alles noch relativ komfortabel im Vergleich zu den ptivaten Dienstleistern im Kulturbereich, deren Einnahmen ohne Auftrittsmöglichkeit und Publikum gegen Null sinken.
Das Podium begrüßte Schritte in Richtung Digitalisierung, obwohl alle Gäste Heubischs die Bedeutung des Live-Auftritts von (zahlendem) Publikum hervorhoben. Dass es ziemlich schwierig ist, mit Livestreams Geld zu verdienen, blieb unerwähnt. Carola Kupfer wies außerdem darauf hin, dass es im ländlichen Raum nach wie vor bei der Datengeschwindigkeit hapere.
Alle Beteiligten versuchten Optimismus zu verbreiten. Natürlich verhagelt die Krise den Beginn der Intendanz von Barbara Mundel an den Kammerspielen. Ein großes partizipatives Projekt am Odeonsplatz habe gestrichen werden müssen, und die geplante Zusammenarbeit zwischen Tänzern und Schauspielern in Falk Richters Projekt "Touch" sei auch schwierig. Aber das Haus sei voller Energie, und um Exklusivität zu vermeiden, werde man so viele Doppelvorstellungen wie möglich spielen.
Ein wenig unterbelichtet blieben die Möglichkeiten der Landtags-Opposition, die Maßnahmen der Staatsregierung parlamentarisch zu kritisieren. Ein paar wenige Gewinner gibt es auch: Games- und Software-Entwickler haben jüngst zugelegt. Für die freien Musiker und Bühnentechniker, die jetzt im Supermarkt Regale einräumen, ist das allerdings nur ein schwacher Trost.