Entscheidung über Zukunft: Seehofers Schicksalsstunden
München - Es kommt nicht oft vor, dass Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer einen Vorgänger zitiert. Mit Blick auf den heutigen Donnerstag aber nahm er eine Anleihe an Günther Beckstein: In der Politik sei alles möglich und auch das Gegenteil davon. Mit diesem nebulösen Hinweis gehen die Mitglieder der CSU-Landtagsfraktion und des CSU-Parteivorstands am Donnerstag in Sondersitzungen.
Mittlerweile hat sich fast jeder, der in der CSU etwas zu melden hat, für oder gegen den Parteichef und Ministerpräsidenten positioniert. Und der will am Abend dem Parteivorstand erläutern, wie er sich seine und die Zukunft der CSU vorstellt – nicht der Landtagsfraktion, die zuvor fünf Stunden lang debattieren will. Ob Seehofer diese Ankündigung durchhalten kann, ist allerdings zweifelhaft. Die Fraktion sei fest entschlossen, den Parteichef zu Aussagen "zu veranlassen", sagt ein Abgeordneter.
Zwischenzeitlich kursierte gar das Gerücht, Seehofer wolle die Fraktion, die ihm mehrheitlich wohl nicht gewogen ist, meiden und sich nur im Parteivorstand erklären. Das wurde von der Fraktion dementiert. Mit Fraktionschef Thomas Kreuzer sei vereinbart, dass Seehofer an der Sondersitzung teilnehme, so ein Sprecher.
Dass so etwas überhaupt infrage steht, spricht für sich. Ursache dieses Nebenkriegsschauplatzes ist ein Riss zwischen Landtagsfraktion und Parteivorstand. Von Anfang an war Seehofer so etwas wie ein Fremdkörper unter den Landespolitikern. Die Landtagsabgeordneten nahmen seine zuweilen selbstherrlichen Entscheidungen zähneknirschend hin, so lange der Erfolg ihm recht gab wie bei der Landtagswahl 2013, als die CSU die absolute Mehrheit zurückerobern konnte. Jetzt aber nach dem katastrophalen 38,8-Prozent-Ergebnis der Bundestagswahl hat sich die Lage völlig verändert. (Lesen Sie auch: Das erwartet die Münchner CSU von Seehofer)
Herrmann als Ministerpräsident-Kandidat
Seehofers Gegner Markus Söder zieht zwar hinter den Kulissen die Strippen, aber jede Seehofer-kritische Äußerung der letzten Wochen ist nicht auf den Finanzminister zurückzuführen. Damit würde man die Wirkungskraft Söders überschätzen, meint ein Insider.
In der CSU-Landtagsfraktion gibt es etliche, die für eine dritte Lösung dankbar wären, wenn es um den Ministerpräsidenten-Kandidaten für 2018 geht: Innenminister Joachim Herrmann. Wirtschaftsministerin Ilse Aigner hat nach allgemeiner Einschätzung wenige Unterstützer. "Sie wollte noch auf den Zug aufspringen, hat aber das Trittbrett verfehlt", heißt es. Aigners Vorschlag, eine Mitgliederbefragung zu veranstalten, verlief im Sande.
In beiden Gremien wird Seehofer versuchen, die gescheiterten "Jamaika"-Sondierungen doch noch zum CSU-Erfolg zu erklären, die ihre Positionen wahren konnte und trotzdem nicht als Spielverderberin dasteht.
Die Deutungshoheit über die Geschehnisse in Berlin ist wichtig für die nächsten Wochen in der Bundeshauptstadt. Wird da Seehofer zwingend als Sachwalter der CSU gebraucht oder kann diese Aufgabe Landesgruppenchef Alexander Dobrindt übernehmen? Im oberbayerisch-fränkischen Tandem mit einem Ministerpräsidenten Söder? Die Kombination stand gestern jedenfalls bei vielen CSUlern hoch im Kurs.
Lesen Sie hier den AZ-Kommentar zum Thema: Horst Seehofer in Berlin - Vielleicht gefällt's ihm