"Neo Magazin Royale": Das Böhmermann-Dilemma

Als Privatmann klagt Erdogan gegen Böhmermann. Für Angela Merkel ist das eine gute Nachricht, doch ihr Dilemma bleibt: Sie verteidigt die Meinungs- und Pressefreiheit und braucht doch die Türkei zur Lösung der Flüchtlingskrise.
von  Martin Ferber
Schrieb ein Gedicht über den türkischen Präsidenten Erdogan und muss nun mit möglichen Konsequenzen rechnen: Jan Böhmermann.
Schrieb ein Gedicht über den türkischen Präsidenten Erdogan und muss nun mit möglichen Konsequenzen rechnen: Jan Böhmermann. © dpa

Berlin - Für Bundeskanzlerin Angela Merkel ist es eine gute Nachricht. Vielleicht sogar die Beste seit Beginn des Falls Böhmermann, der längst seine eigene Dynamik entfaltet, sich mehr und mehr zu einer schweren Krise im deutsch-türkischen Verhältnis entwickelt und auch dabei ist, das Ansehen und die Reputation der Bundeskanzlerin zu beschädigen.

Nachdem der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan selber als Privatmann bei der Mainzer Staatsanwaltschaft einen Strafantrag gegen den ZDF-Satiriker Jan Böhmermann wegen Beleidigung nach Paragraf 185 des Strafgesetzbuches gestellt hat, hat der außenpolitische wie innenpolitische Druck auf Bundeskanzlerin Angela Merkel etwas nachgelassen.

 

Erdogan stellte selber Strafantrag

 

Denn weil der Betroffene von sich aus aktiv geworden ist, bringt er die Bundesregierung aus der Bredouille, die Strafverfolgungsbehörden nach Paragraf 104 a des Strafgesetzbuches förmlich zu beauftragen, ein Ermittlungsverfahren wegen des Vorwurfs der Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhauptes einzuleiten, wie es der türkische Botschafter in Berlin mit der Übergabe einer Verbalnote beim Auswärtigen Amt förmlich beantragt hat.

In Berlin war jedenfalls am Dienstag ein leichtes Aufatmen zu vernehmen. Das Vorpreschen Erdogans sei eine Chance, dass die Justiz unabhängig von einer Entscheidung der Regierung die Ermittlungen aufnehme, hieß es in der Koalition. "Aus meiner Sicht spricht nichts dagegen, dass der unabhängigen Justiz die Möglichkeit gegeben wird, zu überprüfen, ob die Äußerungen von Herrn Böhmermann gegen den türkischen Präsidenten als Schmähkritik den Tatbestand der Beleidigung eines Staatsoberhauptes erfüllen", sagte Ansgar Heveling (CDU), der Vorsitzende des Innenausschusses des Bundestags, der "Rheinischen Post". "Eine solche Überprüfung wäre ein Signal dafür, dass wir solche Streitfragen unserer unabhängigen Justiz überlassen". Die deutsche Rechtsprechung gelte seit jeher als sehr meinungs- und kunstfreundlich. Daher rechne er auch nicht mit einer Verurteilung des Satirikers, der Erdogan in seinem ZDF-"Neo Magazin Royale" unter anderem als „Ziegenficker“ bezeichnet und gespottet hatte: "Sein Gelöt stinkt schlimm nach Döner / selbst eine Schweinefurz riecht schöner."

 

Hat Steffen Seibert den Stein ins Rollen gebracht?

 

CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt mahnte am Dienstag zur Mäßigung. "Ich glaube, dass wir das Ganze nicht überhöhen sollten. Das soll sich nicht zu einer Staatsaffäre ausweiten." In Deutschland gelte die Meinungs- und Pressefreiheit. Allerdings gab es auch Kritik sowohl an der Rolle der Kanzlerin als auch ihres Regierungssprechers Steffen Seibert, die durch ihre Äußerungen aus dem Fall Böhmermann erst eine diplomatische Verwicklung gemacht hätten.

"Die Bundesregierung hat sich im Fall Böhmermann in eine peinliche Lage manövriert", kritisierte Grünen-Chef Cem Özdemir. "Doch das bietet auch die Chance, jetzt Haltung zu beweisen und Richtung Türkei zu demonstrieren, was uns Presse- und Meinungsfreiheit wert sind."

In der Opposition hieß es, dass Regierungssprecher Seibert, der zuvor selber als Journalist beim ZDF tätig war, mit einer Äußerung vor der Bundespressekonferenz den Stein ins Rollen gebracht habe. So berichtete er am Montag vor einer Woche von einem Telefonat zwischen Merkel und ihrem türkischen Amtskollegen Ahmet Davutoglu, bei dem es auch um das Schmähgedicht Böhmermanns gegangen sei. Merkel habe dabei den Wert der Meinungsfreiheit betont, sagte Seibert, um im gleichen Atemzug fortzufahren: "Was den konkreten Text betrifft, so stimmte sie mit dem türkischen Ministerpräsidenten darin überein, dass er bewusst verletzend angelegt gewesen sei."

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Mit diesem Satz, der eigentlich mäßigend wirken und Erdogan besänftigen sollte, erreichte Merkel allerdings das genaue Gegenteil. Denn der türkische Präsident verstand ihn offenbar so, als unterstütze ihn Bundeskanzlerin Angela Merkel ausdrücklich, gegen den Satiriker juristisch vorzugehen. Mit der förmlichen Übergabe der Verbalnote durch seinen Botschafter im Auswärtigen Amt forderte er die Bundesregierung auf, die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens zu beantragen.

Seitdem sitzt Merkel in der Zwickmühle: Gibt sie grünes Licht für das Verfahren, wird ihr vorgeworfen, vor Erdogan zu kuschen, von dem sie bei der Bewältigung der Flüchtlingskrise abhängig ist, und das Grundrecht auf Meinungsfreiheit zu missachten. Sagt sie hingegen Nein, hat dies eine weitere Verschlechterung der deutsch-türkischen Beziehungen zur Folge. So gibt sich Bundeskanzlerin Angela Merkel wortkarg und zurückhaltend und bleibt dabei Gefangene ihres Dilemmas.

Einerseits hebt sie die Meinungs- und Kunstfreiheit in Deutschland hoch. Andererseits verhehlt sie nicht, dass Deutschland und die EU ein großes Interesse daran haben, in der Flüchtlingsfrage mit der politischen Führung der Türkei zu einer politischen Lösung und einer Teilung der Lasten zu kommen. Dies alles sei aber „völlig unabhängig davon, dass die Grundrechte zur Freiheit der Presse und der Meinung in Deutschland gelten“.
Die Bundesregierung sei dabei, den Wunsch der Türkei nach einer Einleitung eines Strafverfahrens gegen Böhmermann zu prüfen. Diese „sehr sorgfältige Prüfung“ solle in den nächsten Tagen abgeschlossen werden. Auch wenn, wie aus dem Umfeld von Außenminister Frank-Walter Steinmeier zu hören ist, das Auswärtige Amt ein Strafverfahren überaus kritisch sieht.   

 

Polizeischutz für Böhmermann

 

Seit gestern fordert eine Online-Petition an die Bundesregierung „Freiheit für Böhmermann“. Inzwischen hat die Petition schon fast 130.000 Unterstützer (Stand.: 12.04. 16:17). Die Initiatorin Christine Doering beruft sich auf die Pressefreiheit und verlangt, dass Böhmermann für seine „Schmähkritik“ auf den türkischen Recep Tayyip Erdogan strafrechtlich nicht belangt wird.

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Wie die Bild berichtet, soll Böhmermann außerdem unter Polizeischutz stehen. Der Leiter der Pressestelle der Kölner Polizei bestätigte dem Blatt, dass "sichtbare Objektschutz-Maßnahmen" sowie weitere Sicherheitsmaßnahmen eingeleitet worden seien.

 

 

 

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Posted by NEO MAGAZIN ROYALE on  Dienstag, 12. April 2016
 
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