Dokudrama: Christian-Wulff-Film in der AZ-Kritik
Das TV-Dokudrama „Der Rücktritt“ erzählt die Geschichte der letzten 68 Tage des Christian Wulff als Bundespräsident. Produzent Nico Hofmann ist ein spannend-feinfühliger Film gelungen. Die AZ-Kritik.
Ein Fotoshooting, natürlich. Der Film beginnt mit dem Glamour. „Klasse! Ja! So!“, ruft eine Fotografin. Christian Wulff alias Kai Wiesinger lächelt. „Das Staatstragende nicht vergessen.“
Gerade als er staatstragend lächelt, ruft Bundeskanzlerin Angela Merkel an. Es folgen echte Bilder. Jubel, Menschen, die ihre Handys hochhalten und das neue Strahle-Paar, die Wulffs, für sich verewigen wollen. „So einen Auftritt hat es vor Bellevue noch nie gegeben“, kommentiert eine Off-Stimme den Trubel.
Der Schein stimmt zu dieser Zeit noch. Alles läuft, man muss es leider so sagen, wie geschmiert, alle lieben diesen smarten Bundespräsidenten mit seiner jungen, hübschen Frau Bettina (Anja Kling), die in ihrer ersten Szene ein goldenes, völlig übertriebenes Glitzerkleid trägt.
Der Glanz bröckelt dann aber schnell ab. Im Doku-Drama „Der Rücktritt“, das Sat.1 am 25. Februar zeigt (die Öffentlich-Rechtlichen hatten abgelehnt) geht es um Wulffs letzte 68 Tage als Bundespräsident.
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Nico Hofmann, bekannt für große Event-Movies, hat sich an die heikle Thematik herangetraut.
Der Wulff-Prozess gegen Ex-Spezl und Filmfinanzier David Groenewold ist noch nicht zu Ende und Bettina Wulff hatte ihm vorab untersagt, ihr Buch zu verfilmen. Doch Hofmann ließ zum Glück nicht locker. Sein Ziel formulierte er so: „Der Rücktritt wird ein Film über Moral: Moral in der Politik, in den Medien und in der persönlichen politischen Verantwortung.“
Das ist ihm, Regisseur und Drehbuchautor Thomas Schadt, der schon Helmut Kohls Geschichte fürs TV erzählte, und Co-Autor Jan Fleischhauer („Der Spiegel“) richtig gut gelungen – ohne, dass die Moral-Keule ständig geschwungen werden muss.
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„Der Rücktritt" ist kein Erhobener-Zeigefinger-Film. Der Zuschauer darf sich selbst seine Meinung bilden – ausgelöst durch „Bild“. Denn das Doku-Drama basiert auf dem Buch „Affäre Wulff“ der beiden „Bild“-Journalisten Martin Heidemanns (großartig gespielt von Thorsten Merten) und Nikolaus Harbusch (Christian Ahlers), die den Fall Wulff mit ihren Veröffentlichungen um die Jahreswende 2011/2012 ins Rollen und Schleudern gebracht haben.
Auslöser war deren Recherche zu dem dubiosen Kredit, den Wulff noch zu Ministerpräsidenten-Zeiten für sein Privathaus in Großburgwedel aufgenommen hatte. Woher der wohl komme? Die Antwort, die mittlerweile ganz Deutschland kennt, wird rasch geliefert: von der Unternehmerfamilie Geerkens. Der Anfang vom Ende.
Auch wenn Wulff alias Wiesinger sich lange auf stur stellt: „Das geht doch niemanden was an! Ich habe nicht den Eindruck, aussagepflichtig zu sein.“
Es folgen diverse Urlaube „bei Freunden“, die berühmte „Rubikon“-Nachricht auf der Mailbox von „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann (Hans-Jochen Wagner), sehr viel Rumgeeiere aller Beteiligten, Wulffs Salami-Taktik, der Rücktritt von seinem Sprecher und Vertrauten Olaf Glaeseker (Holger Kunkel), der dem Noch-Bundespräsidenten das vorwirft, worüber er selbst stolpert: „Das Problem ist immer die Kommunikation“.
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Damit haben auch zusehends Bettina Wulff, die von Anja Kling zwar wortkarg, aber so ausdrucksstark dargestellt wird, dass man sich mehr private Szenen wünscht, und ihr Mann zu kämpfen. Ob sie auf Schloss Bellevue oder abgeschottet in einem Berliner Szene-Lokal sitzen, man hat stets das beklemmende Gefühl, dass sie sich ausschließlich in Goldenen Käfigen befinden.
Ihre Mienen werden finsterer, für Gefühle ist weder Platz noch Zeit. In ihren Blicken ist nur noch Leere, keine Liebe. Zum Schmunzeln bringen sie nur ein paar Kinder, die Autogramme wollen und denken, dass Wulff der Bundeskanzler sei. Was der Bundespräsident macht, wissen sie nicht.
Kai Wiesinger in "Der Rücktritt": "Es geht nicht darum jemanden zu imitieren"
Auch der Zuschauer fragt sich zu diesem Zeitpunkt erneut, was Wulff eigentlich getan hat, außer ständig Fehler gemacht und sich dafür ständig erfolglos gerechtfertigt zu haben.
Dazwischen tauchen immer wieder echte Bilder der Wulffs auf. Christian Wulff, mal gespielt von Kai Wiesinger, dann wieder von sich selbst, verschwimmt zu einer Person, die einem zwar nicht symphatischer, aber spannend nahe gebracht wird.
Man atmet ein wenig mit ihm und seiner Frau auf, als sie am 17. Februar 2012 endlich erlöst werden. Nachdem er vorher jedes einzelne Wort der Rücktrittserklärung auf die Goldwaage gelegt hat, trägt er diese vor.
Nach einer langen Zeit sieht der Zuschauer Bettina Wulff lächeln. Kurz, flüchtig, fast aus Versehen. Man freut sich mit ihr, dass der Spuk ein Ende hat.