Lothar Matthäus über die Krise vom TSV 1860 München

München - Der Himmel ist trüb. Unheilverkündende Wolken türmen sich über dem Vereinsgelände der Löwen an der Grünwalder Straße. Echtes Depri-Wetter. Passend zur Gefühlslage beim TSV 1860. Es herrscht Krisenstimmung in Giesing. Ein Gefühl, das die Löwen – leider – ja bestens kennen.
Wieder einmal hat die Realität die Sechzger eingeholt: Drei Mal in Folge ging ein Heimspiel verloren, nur einen Punkt holte der TSV 1860 aus den letzten fünf Spielen. Kosta Runjaic, der Mann, der eigentlich etwas aufbauen will, steht nach nur neun Spieltagen bereits zur Diskussion.
Das Team sei "hingerichtet" worden, wetterte Investor Hasan Ismaik via Facebook nach dem 1:3-Debakel gegen Fortuna Düsseldorf. Er erwarte, schrieb der jordanische Geldgeber, "dass ab sofort nur noch Spieler für 1860 auflaufen, die sich 100 Prozent mit 1860 identifizieren und um ihr Leben laufen."
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Matthäus: "Da sind zu viele Köche, die sehr an sich selbst denken"
Es waren drastische Worte. Die im Kern aber richtig sind. Und es waren Worte, die wohl vor allem an Runjaic gerichtet sind. Der Löwen-Trainer bat seine Profis am Montag dann auch zum Krisengespräch. Per Videoanalyse zeigte der 45-Jährige ihnen die zahlreichen Fehlerquellen auf. "Wir sind gut beraten, lösungsorientiert zu handeln und die richtigen Schlüsse aus dem Spiel zu ziehen“, sagte er.
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Das späte Handeln: Der TSV 1860 ließ sich im Sommer viel zu viel Zeit. Erst wurde Oliver Kreuzer noch als Sportchef abgesägt, am 23. Juni stellten die Sechzger dann Thomas Eichin als neuen Sportchef vor, erst fünf Wochen später bezog er überhaupt sein Büro in der Grünwalder Straße. "Kaderplanung mache ich von jedem Platz der Welt“, begründete der 50-Jährige damals diesen Umstand: "Ich habe einfach noch ein paar Dinge zu erledigen."
Die Kaderplanung der Löwen nahm so extrem viel Zeit in Anspruch. Reihenweise wurden Spieler sehr spät verpflichtet oder ausgeliehen (Karim Matmour, Victor Andrade) oder erst kurz vor der Saison geholt (Stefan Aigner, Ivica Olic). Eichin sprach später selbst von einer nicht idealen Kaderplanung. Die AZ befragte Sky-Experte Lothar Matthäus. "Ich halte von Eichin sehr viel, er hat den Weitblick", meint der Rekordnationalspieler und Weltmeister von 1990. "Er kann aber natürlich nicht alles machen."
Die Neuzugänge: Mehrere Löwen-Zugänge sind bislang eher Fehleinkäufe. Olic sorgte durch seine dummdreiste Aktion, auf Zweitliga-Spiele zu wetten, weshalb er von der Liga gesperrt wurde, weiter für Unruhe im Verein. Auch Matmour, wie Olic ohne Liga-Tor, enttäuschte. Geld haben beide trotzdem ordentlich gekostet. Geld, das besser hätte woanders ausgegeben werden sollen?
Fakt ist: Die Abwehr ist nicht gefestigt, ist – wie die Düsseldorfer schonungslos offenbarten – die Achillesferse der Löwen. Erst jetzt wurde noch schnell der vertragslose Sebastian Boenisch verpflichtet. "Warum erst so spät?", wundert sich der ehemalige Löwen-Sportdirektor Florian Hinterberger im Gespräch mit der AZ. Auch im Sturm hakt es. Lucas Ribamar, in den die Sechzger siebenstellig investierten, bezeichnet Eichin als Perspektivspieler. Dabei bräuchte er Spieler, die unmittelbar helfen. Jetzt!
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"Wenn man sieht, was wirtschaftlich verbrannt wird, tut das weh"
Die Strukturen: "Da sind zu viele Köche, die zu sehr an sich selbst denken. Das ist Gift für jeden Verein“, sagt Matthäus. "Das kann kein Investor aus Abu Dhabi aus 5000 Kilometer Entfernung machen.“ Seine Kritik zielt in Richtung Geldgeber. Ismaik habe sich auf ein Feld begeben, "das er nicht kannte", meint zudem Hinterberger. "Langsam stellt er sich auf die Begebenheiten ein."
Die harsche Wortwahl des Investors auf Facebook zeigt jedoch, wie überschaubar seine Geduld tatsächlich sein dürfte. Der Druck auf die handelnden Personen wächst. "Wenn man sieht, was da wirtschaftlich verbrannt wird, tut das schon weh", sagt Matthäus. "Vielleicht sollte sich Sechzig zum Vorbild nehmen, wie beim FC Bayern Leute wie Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge über Jahrzehnte vorangegangen und alle anderen ihnen gefolgt sind."
Die Aufstellungen: Runjaic hielt stur an seiner Formation fest. "Wir werden gegen den VfB Stuttgart vielleicht den einen oder anderen ins kalte Wasser werfen", meinte der Löwen-Coach am Montag. Verteidiger Kai Bülow ist vorerst wohl keine Option mehr. Der 30-Jährige brachte gegen die Fortuna nichts zustande, bekam die AZ-Note 6.
Auch Marnon Busch (AZ-Note 5) dürfte ein Streichkandidat sein, ebenso Fanol Perdedaj. Taktisch könnte Runjaic vom 4-1-4-1 abrücken, das die Schwächen in der Abwehr verschärfte. Es geht um Vieles. Auch bereits um Jobs.