Löwen-Legende rechnet mit Ex-1860-Präsident Reisinger ab: "Völlig unprofessionell"

AZ: Herr Bodden, wie geht es Ihnen?
OLAF BODDEN: Den Umständen entsprechend gut. Vor allem geht es mir gut, weil ich im vergangenen Jahr Opa geworden bin. Meine Tochter hat mir ein Enkelkind geschenkt - ein Mädchen. Die Kleine ist jetzt ein Jahr alt.
Wie ist Ihr aktueller Gesundheitszustand? Sie müssen nach wie vor im Rollstuhl sitzen.
Ich bin nach wie vor ans Haus gebunden. Ich fahre mit dem Rollstuhl zum Rewe einkaufen oder mal ein Eis essen. Es gibt auch Freunde, die mich abholen. Meine Tochter hilft mir viel. Aber ich bin kein Pflegefall, der rund um die Uhr betreut werden muss.
Wie geht es Ihnen heute seelisch?
Ich musste irgendwann mit der Situation abschließen und akzeptieren, dass es ist, wie es ist. Das habe ich getan - und deshalb lebe ich mein Leben weiter. Nur ohne Rollstuhl geht es leider nicht. Das ist die Realität. Ich hatte genug Zeit, das zu akzeptieren.
Olaf Bodden: "Inzwischen bin ich länger krank, als ich vorher gesund war"
Wie sieht ein guter Tag aus - und wie ein schlechter?
Mein Immunsystem kehrt allmählich zurück und beginnt, das Virus wieder anzugreifen - das ist eigentlich ein gutes Zeichen. An guten Tagen kann ich wie heute ein Interview führen, fernsehen, telefonieren und im Internet surfen. Aber es gibt auch Tage, an denen mein Gehirn betroffen ist - dann bin ich kognitiv völlig ausgeknockt und liege einfach nur da.
Wie stark schwankt Ihr Befinden von Tag zu Tag?
Wenn es mir schlecht geht, sehe ich darin sogar etwas Positives: Denn das bedeutet, dass das Virus wieder bekämpft wird. Ich muss durch diese schlechten Phasen hindurch - in der Hoffnung, dass ich irgendwann wieder laufen kann. Hoffnung ist immer berechtigt. Aber ich kann mit der Krankheit leben. Inzwischen bin ich länger krank, als ich vorher gesund war.

Ist es heute für Sie okay, wie Sie leben?
Ich bin dankbar, dass ich eine schöne Wohnung habe. Und ich bin dankbar für meine zwei tollen Kinder, meine Enkeltochter und meine liebe Schwester. Soweit ist alles gut.
Was möchten Sie jungen oder kranken Menschen mit auf den Weg geben?
Junge Spieler haben heute das Problem mit Social Media - das gab’s bei uns nicht. Man sollte sich wieder mehr auf den Fußball konzentrieren. Und lasst die Spieler nach dem Spiel sagen, was sie denken! Heute werden sie alle gebrieft, was sie sagen dürfen. Das ist alles nur noch vorgefertigtes Politiker-Gequatsche. Man sollte das sagen dürfen, was man fühlt.
Kranke Menschen sollten ihre Krankheit akzeptieren, annehmen - und weitermachen. Wer jammert, verliert. Das hat Werner Lorant immer gesagt.
"Jetzt herrscht wieder etwas Euphorie - auch wegen Kevin Volland und Florian Niederlechner"
Haben Sie das Gefühl, dass sich in der Gesellschaft oder im Gesundheitssystem etwas bewegt im Umgang mit dieser Krankheit?
Nein. Nullkommanull. Im Gegenteil: Es passiert nichts, es wird nicht geforscht, es gibt kein Geld. Die Politik interessiert sich nicht. Das Einzige, was Politiker tun, ist, uns das Geld wegzunehmen.
Was bedeutet der TSV 1860 heute noch für Sie - im Herzen und im Alltag?
Im Alltag spielt der Verein keine Rolle mehr. Aber da ich bei den Löwen meine erfolgreichste Zeit hatte, war ich lange emotional sehr verbunden. Das wurde mit der Zeit weniger, auch weil viele Menschen von damals nicht mehr da sind. Ich habe mich dann zurückgezogen. Als Gerhard Mayrhofer Präsident war, gab es nochmal Kontakt, aber später verlief das wieder im Sande.
Verfolgen Sie heute noch die Spiele und Entwicklungen bei den Löwen?
Na klar. Jetzt herrscht wieder etwas Euphorie - auch wegen Kevin Volland und Florian Niederlechner. Beide sind absolute Identifikationsfiguren. Volland kann auf eine tolle Karriere zurückblicken. Nur bei Union Berlin hat er zuletzt anderthalb Jahre kaum gespielt - das war sicher hart. Ich kenne das aus meiner Zeit bei Borussia Mönchengladbach. Ich wünsche ihm und der Mannschaft viel Erfolg.

Bodden: Volland und Niederlechner "stehen unter Druck"
Zwei Siege, zwei Remis. Gegen den VfB Stuttgart II gab es einen Last-Minute-Ausgleich. Wie fällt Ihr Urteil nach den ersten Spielen der Löwen aus?
Vier Spiele, acht Punkte - das ist völlig in Ordnung. Das Heimspiel gegen Osnabrück hat mich begeistert; das muss normalerweise die Benchmark sein. Gegen den VfB Stuttgart II war es hingegen kein guter Auftritt. In Essen am ersten Spieltag war es ein glücklicher Punkt, und in Aachen war die Leistung ebenfalls nicht überzeugend - dort hat man sich den Schneid abkaufen lassen. Die Mannschaft muss versuchen, dominanter aufzutreten, auch auswärts. Die Saison ist noch jung, das Team muss sich erst noch finden. Wichtig ist aber auch, dass man in Spielen, die nicht so gut laufen, trotzdem punktet. Dann kann 1860 oben mitspielen.
Aktuell ist die Erwartungshaltung bei den Löwen wieder groß.
Absolut. Durch die Rückkehr von Volland und Niederlechner wurde das natürlich noch verstärkt. Das sind zwei absolute Ikonen von Sechzig. Klar, die beiden stehen jetzt unter Druck - auch wenn sie keine klassischen Torjäger sind. Ich traue keinem der beiden 20 Tore zu. Sie sind eher spielende Stürmer. Und dann gibt es ja auch noch Hobsch, der ein echter Mittelstürmer ist.
Wenn Sie an Ihre Zeit bei den Löwen zurückdenken - was war Ihr schönster Moment in München?
Ich kam während der Saison, als die Löwen mit 1:15 Punkten gestartet waren. Drei Spieltage vor Schluss gewannen wir dann in Unterzahl gegen den 1. FC Köln, der damals im Europapokal spielte, mit 2:1 - und hielten damit die Klasse. Damit hatte niemand gerechnet. Aber Werner Lorant (1860-Trainer, zuletzt verstorben, Anm. d. Red.) hat eine richtig gute Mannschaft geformt.
Was war aus Ihrer Sicht der Schlüssel zu diesem sportlichen Erfolg?
Im Grünwalder Stadion waren wir damals fast unbesiegbar - das war mein Gänsehaut-Moment mit 1860. Danach ging es im Olympiastadion weiter, und für mich lief es auch sportlich gut. In meiner zweiten Saison 1995/96 habe ich 14 Tore in der Bundesliga erzielt. Ich habe in München auch geheiratet. Es war eine schöne und erfolgreiche Zeit - bis ich krank wurde.
1860-Legende Bodden: "Sechzig hat Fans - Bayern hat Zuschauer"
Was macht 1860 für Sie zu einem "echten" Traditionsverein?
Das Grünwalder Stadion ist besonders - es liegt mitten in der Stadt und ist ein reines Fußballstadion. Die Fans fühlen sich dort zuhause. München ist immer noch blau, obwohl wir eine ganze Fangeneration verloren haben, weil wir nicht mehr in den ersten beiden Ligen spielen. Die muss man jetzt zurückgewinnen. Und allein schon der Name "1860" zeigt, wie alt und traditionsreich der Verein ist.
Viele wissen nicht, dass die Vereinsfarben ursprünglich grün-gold waren. Trotz vieler Veränderungen bleibt der Verein größer als jede einzelne Person.
Der TSV 1860 steht für eine bestimmte Mentalität, für ein Lebensgefühl - wie würden Sie das in Ihren eigenen Worten beschreiben?
Sechzig war immer der Arbeiterverein. Der FC Bayern ist der Klub der Intellektuellen. Sechzig hat Fans - Bayern hat Zuschauer. (lacht) Ich erinnere mich noch gut an unsere Spiele im Olympiastadion. Die Atmosphäre war bei uns immer besser als bei Bayern. Uli Hoeneß sagte einmal auf der Jahreshauptversammlung nicht ohne Grund: "Für die sch*** Stimmung seid ihr ja verantwortlich" - damit meinte er die eigenen Fans. Genau da liegt das Problem beim FC Bayern.
Sie hatten nur Werner Lorant als Trainer bei 1860. War er wirklich so beinhart?
Er war witzig - aber auch ein harter Hund. Ich könnte einiges erzählen, aber er kann sich ja nicht mehr wehren. Wir kamen gut miteinander aus. Jeder, der bereit war, sich den Arsch aufzureißen, kam mit Werner klar. Alle anderen hatten ein Problem mit ihm.
Bodden hofft untr Mang auf "mehr Professionalität" beim TSV 1860
Wie war Ihr Verhältnis zum früheren Präsidenten Robert Reisinger?
Mit dem konnte ich nichts anfangen. Gernot Mang hingegen macht auf mich einen sehr guten und seriösen Eindruck. Ich hoffe, er hat ein glückliches Händchen und führt Sechzig wieder nach oben. Er hat mich auch einmal besucht - da haben wir gemeinsam Fußball geschaut.

Daniel Bierofka, Michael Köllner, zuletzt Maurizio Jacobacci - viele Trainer, viele Umbrüche. Woran krankt es bei den Löwen aus Ihrer Sicht?
Der Fisch stinkt vom Kopf - das war bei 1860 in der Vergangenheit oft der Fall. Reisinger war völlig unprofessionell. Hasan Ismaik wird zwar ständig beschimpft, aber sein Geld nehmen die Bosse trotzdem. Das ist schizophren: Wenn man jemanden ablehnt, sollte man auch sein Geld nicht annehmen.
Ich hoffe, dass jetzt mehr Professionalität einkehrt. Es müssen vernünftige Strukturen geschaffen werden. Ismaik ist weiterhin da - man muss sich mit ihm arrangieren. Ohne ihn wäre der Verein längst verschwunden.
Ist 1860 nur ein Spielzeug für Ismaik?
Nein, das glaube ich nicht. Es gäbe sicherlich günstigere Hobbys. Ismaik hat mit Sechzig auch unglaublich viel Geld verloren.
Wie hat sich der Verein seit Ihrer aktiven Zeit verändert?
1860 ist immer unprofessioneller geworden - deshalb sind wir auch dreimal abgestiegen, einmal sogar in die Regionalliga. Leider sind wir jetzt einer der Vereine, die am längsten in der 3. Liga spielen - da gehören wir einfach nicht hin. Damals hatten wir zehn gute Jahre in der Bundesliga. Der Abstieg 2004 in die 2. Liga war der Anfang vom Ende.
Bodden hat beim TSV 1860 keine "richtige Verabschiedung bekommen"
Gibt es noch Verbindungen zu ehemaligen Löwen-Kollegen?
Ja, ich habe noch guten Kontakt zu Bernhard Winkler, Thomas Miller, Holger Greilich und Manni Schwabl. Mein bester Freund ist der frühere Torwart Stefan Brasas.
Kommen auch manchmal frühere Weggefährten zu Ihnen, um gemeinsam Fußball zu schauen?
Ja, das machen wir schon ab und zu. Ich schaue gerne mit den Jungs - wenn zum Beispiel Bernhard Winkler oder Thomas Miller vorbeikommen. Aber ich schaue auch gerne mal für mich alleine. Ich schaue regelmäßig zuhause Fußball - weil ich kaum rausgehe. Aber Kraft gibt mir der Fußball nicht. Es ändert mein Leben nicht, ob ein Verein gewinnt oder verliert. Natürlich freue ich mich, wenn Sechzig gewinnt - das ist mein Verein, dort hatte ich meine erfolgreichste Zeit.
Sie haben erzählt, dass Sie von 1860 nie unterstützt wurden. Wie enttäuscht sind Sie?
Am Anfang war ich sehr traurig darüber - jetzt nicht mehr. Es ist niemand mehr da, auf den ich sauer sein könnte. Lorant, Wildmoser - beide sind schon tot. Ich war der einzige Spieler, der bei Sechzig keine richtige Verabschiedung bekommen hat. Mein Vertrag lief am 30.06.2000 aus - alle anderen wurden offiziell verabschiedet, nur ich nicht. Ich saß allein auf der Tribüne und musste zusehen, wie die Kollegen Blumen bekamen. Das war einer der dunkelsten Momente bei 1860. Es war heftig.
War das einer der Fehler bei Sechzig - dass zu wenig Ehemalige eingebunden wurden?
Ja. Reisinger war ein sehr schwacher Präsident. Und schwache Leute holen sich schwache Leute - starke Leute holen sich starke Persönlichkeiten an ihre Seite. Bernhard Winkler war mal als Stürmertrainer im Gespräch, Martin Max als Vizepräsident. Ich selbst war natürlich aus gesundheitlichen Gründen nie ein Thema. Winkler wurde sogar mal ausgepfiffen, als er eine Rede hielt. Man wollte die ehemaligen, erfolgreichen Jungs einfach nicht integrieren.
Bodden verspricht Grünwalder-Besuch, wenn er wieder laufen kann
Was würden Sie fühlen, wenn Sie heute noch einmal ins Grünwalder Stadion einlaufen könnten?
Es wäre eine schöne Geschichte, da noch einmal einlaufen zu können. Heute sind leider nur noch 15.000 statt früher 30.000 Zuschauer erlaubt. Damals war es noch eine andere, eine bessere Zeit. Das Stadion war immer pickepacke voll. Gernot hat mich zuletzt gefragt, ob ich mal kommen will - aber solange ich im Rollstuhl sitze, werde ich mir kein Spiel im Stadion anschauen. Ich habe ihm aber versprochen, dass ich komme, wenn ich mal wieder laufen kann. Ich bin jederzeit eingeladen - das ist etwas Neues. Früher bekam selbst Werner Lorant keine Dauerkarte. Oder Bernhard Winkler und Thomas Miller müssen betteln, um überhaupt eine Karte zu bekommen.
Was wünschen Sie dem Verein und seinen Fans für die Zukunft - sportlich, aber auch menschlich?
Sportlich natürlich den bestmöglichen Erfolg. Aber vor allem wünsche ich mir, dass es dauerhaft Zusammenhalt gibt - denn nur gemeinsam sind wir stark.
Was ist Ihre Botschaft an die Löwen-Familie?
Haltet zusammen. Macht es nicht gegeneinander, sondern miteinander - dann wird der Erfolg auch wieder dauerhaft kommen.