Paul Ripke fotografierte die WM-Helden hautnah
München - Der Pförtner der Bibliothek des Deutschen Museums hadert derzeit etwas mit seinem Job. Zwar hat er es in dem altehrwürdigen Gemäuer bei der Bullenhitze draußen schön kühl – wenn nur nicht diese Augen wären. 27 Männer starren ihn von morgens bis abends an, manche eindringlich, manche sanft lächelnd und manche tatsächlich mit einem Blick, der einem etwas Angst macht. Schuld am Leiden des Pförtners ist Paul Ripke, ein sympathischer Mittdreißiger in kurzen Hosen, mit wildem Vollbart und verkehrt herum aufgesetzter Baseballkappe.
Der Mann ist Fotograf, und die Männer, die er abgelichtet hat, sind nicht irgendwelche Kerle, sondern die Fußballweltmeister von 2014, aufgenommen in einem Studio in Düsseldorf, zwei Wochen nach dem Tag der Tage, dem WM-Sieg in Rio de Janeiro. Den hat Ripke auch festgehalten, aus Perspektiven und aus einer Nähe wie kein anderer Kollege: in der Kabine, im Hotel, im Flugzeug. Er hat sozusagen ein Sommermärchen 2014 fotografiert. Das Ergebnis ist noch bis Ende Juli im Vorraum der Bibliothek des Deutschen Museums zu sehen und heißt „One Night in Rio“. Die 27 Augenpaare vor dem Pförtner-Kabuff sind sozusagen nur der Vorgeschmack auf die 27 Reportagefotos im nächsten Raum.
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27 Bilder: pro Teammitglied ein Foto. Aufgenommen hat Ripke 16 000 Bilder – in 42 Stunden. Länger war er nicht bei der Mannschaft, vom Anpfiff im Maracanã bis zur Triumphfahrt durch Berlin. Eine intensivere Zeit wird Ripke in diesem Leben wohl nicht mehr widerfahren. Nur zwei Stunden ist er in diesem Nonstop-Adrenalinrausch weggenickt – bloß nichts verpassen von diesem einmaligen Erlebnis, der Chance seines Lebens. Er sagt: „Ich hatte ständig das Gefühl, mehr zu verpassen als mitzukriegen. Noch drei Monate später bin ich mitten in der Nacht aus dem Traum hochgeschreckt und hab’ gerufen: ,Wo is der Poldi jetzt?’ Meine Frau Theresa hat mich dann wieder beruhigt: ,Ist alles gut, Paul.’“
Das ist es in der Tat. Ripke ist mit der Ausstellung, die zeitgleich in Hamburg, Berlin und Köln gezeigt wird, nicht nur ein großer, sondern ein gewaltiger Wurf gelungen. Er zeigt keine Spielszenen, ein Ball ist nirgends im Bild, und dennoch sind einem die WM-Helden so nah wie nie. Eins seiner Lieblingsbilder: Bastian Schweinsteiger, mit Philipp Lahm, Julian Draxler und Per Mertesacker nach der Partie in der Kabine sitzend, die Deutschland-Fahne um die Schultern, in der Linken ein Bier, in der Rechten das Handy. „Da telefoniert er mit seiner Mutter“, erzählt Ripke. Schön auch die Momentaufnahme vom Schlusspfiff: Ripke steht neben der deutschen Bank, hält aber nicht auf die jubelnden Aufs-Feld-Sprinter, sondern auf Miroslav Klose, der irgendwie fertig mit der Welt auf der Bank sitzen bleibt. Oder der Moment, als Jogi Löw Mario Götze einwechselt und ihm die legendären Worte ins Ohr flüstert – Ripke steht ein paar Schritte hinter den beiden.
Was in der Ausstellung fehlt: Party-Bilder und Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Kabine. Ripke erklärt: „Frau Merkel hat ausdrücklich darum gebeten, in der Ausstellung nicht vorzukommen.“ Und die Feier-Bilder? „Sind im Buch“, sagt der Fotograf, „aber Fotos sind nie so gut wie die Party selbst – und die war verdammt gut! Aber es gibt natürlich immer Bilder, auf denen manche nicht so vorteilhaft aussehen, und diese Stimmung wollten wir nicht in der Ausstellung.“
Das Buch: Seit November ist Ripkes Bildband im Handel, in zwei verschiedenen Formaten, mit 300 Aufnahmen. „Schon jetzt der meistverkaufte deutsche Bildband“, sagt Ripke stolz, „aber die Foto-Rechte abzuklären, war das Schwerste überhaupt. Das hat mich ein paar Jahre meines Lebens gekostet.“ Das glaubt man ihm gern: Die Bildauswahl mit Fifa, DFB, allen Spielern samt Anhang und Adabeis wie Helene Fischer & Co. zu organisieren, war bestimmt kein Spaß. Bei den Kollegen Sportfotografen, denen er so manches Mal in der Optik stand, hat er sich auch keine Freunde gemacht: „Das tut mir leid, war mir in dem Moment aber egal.“
Unzählige Mails hatte Ripke, der nach der EM 2012 die Autogrammkarten der DFB-Kicker fotografiert hatte, Oliver Bierhoff geschickt und ihm vorgejammert, dass ihm das Herz blute, wenn er sehe, was für distanzierte, kühle, emotionsarme Fotos der DFB da von seiner tollen, sympathischen Truppe verschicke. In einer letzten Mail vom 29. Juni bot Ripke an, auch im Zelt am Strand zu schlafen, auf Bezahlung zu verzichten und sich den Vollbart abzuschneiden, wenn er denn „bittebitte“ dabei sein dürfe, sozusagen als Haus-Fotograf des Teams. Bierhoffs Antwort machte ihn zum glücklichen Mann: „Lieber Paul, immer locker bleiben. Haare so lassen und mitkommen. Wir schießen die Tore, du die Fotos.“ Wenig später stand Ripke im Maracana, mit seiner 24-Millionen-Pixel-Leica und einem einzigen Objektiv, 24mm. Ein Jahr später sagt er: „Ich hab’ bis heute nicht gecheckt, was da passiert ist.“
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Der DFB wird die Fotos im Trainingszentrum in Frankfurt zeigen. Ober-Torschütze Mario Götze hat sich die Ausstellung angesehen; Bastian Schweinsteiger war auf dem Weg, hatte dann aber anderes zu tun, auch wenn er es vom Gärtnerplatz ja nicht weit hatte. Warum die Ausstellung im Deutschen Museum hängt, kann Ripke schnell erklären: „Ich komme ja aus Heidelberg, aber einmal im Jahr war ich mit der Oma immer im Deutschen Museum. Und jetzt kann ich von mir sagen: ,Ich hänge im Deutschen Museum’ – ein Kindheitstraum!“ Oma Ripke wird stolz sein auf ihren Paul.
Die Ausstellung ist bis 31. Juli im Deutschen Museum zu sehen, täglich 9 bis 17 Uhr, Eintritt frei