"Michael hätte Abschiedsspiel machen sollen"
Ex-Nationalspieler Paul Breitner bedauert, dass Ballack das Angebot des DFB ausgeschlagen hat.
AZ: Jetzt kracht es richtig. Michael Ballack greift Bundestrainer Joachim Löw massiv an. Zudem verzichtet er auf das Abschiedsspiel, nennt das Angebot sogar „eine Farce“. Was halten Sie davon, Herr Breitner?
PAUL BREITNER: Ich hätte diese Idee wunderbar gefunden. Michael hätte das Abschiedsspiel gegen den Rekordweltmeister machen sollen. Es wäre würdig gewesen, wenn er gegen Brasilien als Kapitän noch einmal aufgelaufen wäre und sich im Laufe dieses Spiels von der Mannschaft und den Fans verabschiedet hätte.
Nun jedoch hat Ballack einen eher unrühmlichen Abschied.
Dabei hatte Michael eine grandiose Karriere in der Nationalmannschaft...
... und er hätte sie offensichtlich sehr gerne fortgesetzt.
Das mag sein.
Ballack hat 98 Länderspiele gemacht. Es wurde spekuliert, dass er gerne auf 100 gekommen wäre. Sie waren mit 48 auch knapp vor einer runden Zahl.
Was sind 50 Länderspiele? Was sind 100 Länderspiele? Er hat 98 Länderspiele. Ob er 100 hat oder 105 – völlig egal. Bei mir waren es 48, weil ich fünf Jahre nicht in der Nationalmannschaft spielen wollte. Ich hätte auch sagen können: Ich will 100, 120 Länderspiele. Dann hätte ich durchspielen müssen, dann hätte ich nicht mit 31 Jahren meine Karriere beenden dürfen. Aber das ist es doch nicht. Es kann bei der Qualität eines Michael Ballack doch nicht auf eine bestimmte Zahl ankommen. Es kann nur darum gehen: Wann ist der Punkt, an dem ich meinem Namen, meinem Status, meinem Nimbus gegenüber schuldig bin zu sagen: „Nein. Ich möchte, dass ihr mich in bester Erinnerung habt.“
Diese Chance hat Ballack, indem er die Entscheidung dem Bundestrainer überließ, verpasst. Ein Rücktritt wäre eindeutig die elegantere Variante gewesen, oder?
Nun ja, Joachim Löw und Michael Ballack haben ursprünglich die Daumen gedrückt, dass es doch noch gut wird. Und weil Löw gesagt hat: „Ich habe junge Wilde, und mir tut ein Michael Ballack mit all seiner Erfahrung und all seinem Wissen und Können unheimlich gut.“ Deswegen hat man die Entscheidung so lange hinausgezögert.
Nun jedoch hat sich der Bundestrainer entschieden, dass er Ballack nicht mehr benötigt, Löw hat offenbar in seiner jungen Nationalmannschaft keinen Bedarf mehr für einen alternden Spieler vom Typus „Leitwolf“.
Das sehe ich nicht so. Das ist eine momentane Situation. Es gibt Generationen von Fußballern, in denen braucht man keinen Leitwolf, weil sich das Spiel so entwickelt, dass man diesen zentralen Spieler gar nicht mehr hat. Aber man braucht immer einen Kopf, an dem sich die Mannschaft orientiert. Das muss nicht der beste Spieler eines Teams sein. Ob sie nach außen hin einen Leitwolf hat oder ihn nur während eines Spiels akzeptiert, ist eine andere Sache.
Löw hat diese Rolle so aufgeteilt: Kapitän Philipp Lahm repräsentiert die Mannschaft, auf dem Platz bestimmt Bastian Schweinsteiger.
Diese Rolle auf dem Platz kann auch nur der ausführen, der im Zentrum des Geschehens ist. Das kann kein Außenverteidiger. Das muss ein Spieler in der Mitte sein, der Rhythmus und Tempo bestimmt. Auch Oliver Kahn hat die Mannschaft nach außen repräsentiert, aber nie nach innen. Das geht nicht. Der Torwart hat mit dem ganzen Spielgeschehen doch nichts zu tun.
Wenn man sich die Geschichte der Kapitäne der Nationalelf ansieht, gab es schon öfters schwierige Abschiede. Warum?
Ich weiß es nicht. Ich war nie DFB-Kapitän.
Fällt es einem Kapitän vielleicht schwerer, abzutreten?
Für mich wird die Geschichte mit dieser Kapitänsbinde seit jeher überbewertet. Ich habe meine Binde beim FC Bayern immer unter meinem Trikot versteckt. Ich wollte das nicht, ich mochte das nicht. Weil ich es auch nicht brauchte, dass die Mannschaft weiß: „Hey, das ist unser Chef, das ist der, an dem wir uns orientieren.“ Das war schon als Jugendlicher so. Weil ich es für völlig überflüssig hielt. Ein Michael Ballack, der so zentral in dieser Mannschaft gespielt hat, ob der die Binde am Arm hatte, diese Debatte ist sowas von überzogen.