Mängel und Mutmacher: Die Lehren aus dem deutschen EM-Start

München - Die französischen Fans in der Nordkurve der Münchner Arena feierten nach dem 1:0-Sieg gegen Deutschland einen Mann besonders euphorisch: Didier Deschamps (52), ihren Weltmeistertrainer und Meister des Pragmatismus.
Deschamps ging ein paar Schritte auf die Kurve zu, als er seinen Namen hörte. Er klatschte, zeigte den Daumen nach oben und lächelte. Denn er wusste: Wieder einmal war sein Plan aufgegangen. "Es war ein Zweikampf der Titanen", sagte Deschamps, "ein großes Gefecht gegen eine starke deutsche Mannschaft."

Löw: "Sie sind Weltmeister im Verteidigen"
Die den Franzosen aber letztlich in Sachen Reife und Cleverness unterlegen war. Frankreich dominierte, obwohl der Gegner häufiger den Ball hatte. Mit dieser Kontertaktik hatte Deschamps Team 2018 bereits den WM-Thron bestiegen. "Sie sind Weltmeister im Verteidigen", sagte Bundestrainer Joachim Löw voller Anerkennung. Und im Angriff mit Superstürmer Kylian Mbappé natürlich auch nicht ganz schlecht. Nach dem Eigentor von Mats Hummels (20. Minute) verhinderten zwei Abseitsentscheidungen in der zweiten Halbzeit einen höheren Sieg der Équipe tricolore.

Und Deutschland? Das Löw-Team steht vor der Partie gegen Portugal am Samstag (18 Uhr, ARD und im AZ-Liveticker) nun schon mächtig unter Druck, eine weitere Niederlage kann sich das DFB-Team nicht leisten. Die AZ nennt Mängel und Mutmacher aus dem Frankreich-Spiel und erklärt, was besser werden muss.
Es fehlt ein Mittelstürmer
Miroslav Klose saß auf der Haupttribüne neben Hansi Flick und schaute sich die Partie an. Einen wie ihn hätte Löws Team gut gebrauchen können, aber seit Kloses Rücktritt im Jahr 2014 gibt es keine überzeugende Lösung im deutschen Angriff. Aus dem Trio Kai Havertz, Serge Gnabry und Thomas Müller machte Müller noch den besten, agilsten Eindruck. Doch in nahezu jeder Szene war ihm anzumerken, wie sehr er seinen Bayern-Kollegen Robert Lewandowski als Zielspieler im Sturmzentrum vermisste. Ändert Löw seine Taktik und bringt gegen Portugal Timo Werner oder Kevin Volland als echten Neuner?
"Wir haben uns zu wenige Chancen herausgespielt. Das müssen wir besser machen", sagte Ilkay Gündogan, der sich zudem für Leroy Sané starkmachte.
Joshua Kimmich rechts verschenkt
Der Bayern-Star trieb über die rechte Seite immer wieder an, schlug Flanken, warf sich aggressiv in jeden Zweikampf, doch so spielbestimmend wie sonst im Mittelfeldzentrum war Kimmich nicht. "Wir haben es irgendwie verpasst, komplett ins Risiko zu gehen und noch mehr auf das 1:1 zu drücken", sagte Kimmich. In einem 4-2-3-1-System könnte er gegen Portugal als Sechser agieren, Matthias Ginter oder Lukas Klostermann dann rechts verteidigen.
Defensive verbessert
"Deutschland ist ein starkes Team, das uns jede Menge Probleme bereitet hat", lobte Frankreichs Paul Pogba den Gegner. In der Tat: Viele Möglichkeiten ließ die Defensive um Chef Hummels nicht zu, erst in der zweiten Halbzeit wurde es ein bisschen löchriger. Aber das war kein Vergleich zum 0:6 gegen Spanien im November 2020. Löw hat seine Abwehr pünktlich zum Turnierstart überzeugend aufgestellt.

Die Einstellung macht Hoffnung
"Wir werden uns wieder aufrichten, das nächste Spiel dann angehen – und gewinnen", kündigte Löw selbstbewusst an. Kapitän Manuel Neuer versprach: "Wir werden zurückschlagen."
Was Hoffnung macht: Da stand ein Team auf dem Platz, die Einstellung stimmte, jeder war bereit, Fehler des Mitspielers zu korrigieren. "Wir haben null Punkte, trotzdem müssen wir den Kopf oben behalten. Es gibt noch sechs Punkte, die wir holen können", sagte Mittelfeldstar Toni Kroos: "Ich glaube, dass wir relativ viel von dem umgesetzt haben, was wir wollten."
Auch Kimmich nahm viel Positives mit. "Wir haben das Niveau, mit den Topteams mitzuhalten", sagte er und nannte die Stimmung vor 13.000 Fans in der Münchner Arena "brutal. Wir brauchen die Fans im Rücken". Am Samstag. Gegen Titelverteidiger Portugal um Superstar Cristiano Ronaldo.
