Löws Masterplan für Südafrika

Das letzte, bedeutungslose Quali-Spiel gegen Finnland ist für den großen Moskau-Gewinner Jogi Löw Startschuss zu einer wichtigen Experimentierphase. In zwei Stufen will der Bundestrainer seine Elf für Südafrika titelreif machen. Zunächst sollen sich junge Spieler ausprobieren dürfen.
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Titelreif?
dpa Titelreif?

MOSKAU - Das letzte, bedeutungslose Quali-Spiel gegen Finnland ist für den großen Moskau-Gewinner Jogi Löw Startschuss zu einer wichtigen Experimentierphase. In zwei Stufen will der Bundestrainer seine Elf für Südafrika titelreif machen. Zunächst sollen sich junge Spieler ausprobieren dürfen.

Michael Ballack und Co. starteten nach dem großen Sieg von Moskau eine ausgelassene WM-Sause - Joachim Löw dagegen dachte mit dem Südafrika-Ticket in der Tasche gleich an die kniffligen Aufgaben 2010. Für das Fußball-Abenteuer am Kap der Guten Hoffnung hat der Bundestrainer seinen Masterplan im Kopf und machte sich schon am Sonntag auf dem Heimweg nach Hamburg intensive Gedanken. Der durch das überzeugend erkämpfte 1:0 in Russland zum ersten WM-Test herabgestufte Qualifikations-Showdown am Mittwoch (18.00 Uhr/ARD) gegen Finnland ist für den großen Moskau-Gewinner Löw der Startschuss zu einer wichtigen Experimentierphase. «In solchen Spielen bin ich extrem risikofreudig und probiere gerne etwas aus», sagte der DFB-Chefcoach. «Ich sehe nicht, dass wir uns in diesen Spielen schon für die WM einspielen müssen.»

Löw denkt auf dem Weg zum erträumten vierten deutschen WM-Triumph nach 1954, 1974 und 1990 gerne langfristig und strategisch Richtung Finale am 11. Juli 2010 in Johannesburg. Die Spieler hingegen schwelgten erst einmal im Rausch der wieder einmal im entscheidenden Moment bewiesenen deutschen Durchschlagskraft. «Die Historie spricht für uns. Wir wissen um unsere Stärke», sagte Kapitän Ballack, den eine Blessur am rechten Knöchel plagt.

Beschworener Mythos

Die Legende von den unbesiegbaren Fußball-Deutschen hatte auf dem Moskauer Kunstrasen ein neues Kapitel bekommen. «Der Mythos ist wieder bestätigt worden. Es ist eine ganz große Stärke von uns, dass wir uns auf den Punkt fokussieren können. Wir haben eng zusammengestanden, alles investiert. Das zeichnet uns Deutsche aus», jubilierte der bärenstarke Schlussmann Réne Adler, der berichtete, dass schon in der Kabine kein Schampus, aber Bier floss. Die Party ging im achten Stock des Hotels Baltschug Kempinski weiter, ehe ein harter Party-Kern noch ins Moskauer Nachtleben eintauchte.

Oliver Bierhoff sah in dem durch das Siegtor von Miroslav Klose (35. Minute) gekrönten Gipfeltreffen schon ein Signal für 2010: «Wie die Mannschaft aufgetreten ist und wie wir die Russen geschlagen haben, das ist auch ein Zeichen Richtung WM», sagte der euphorisierte DFB-Teammanager. Chefcoach Löw dachte aber zunächst in kleineren Schritten. In zwei Stufen will der 49-Jährige sein Team für Südafrika titelreif machen. Bevor im kommenden Jahr der Stammelf-Feinschliff vorgenommen wird, sollen gegen Finnland und in den Tests gegen Chile (14. November/Köln) und Ägypten (18. November/Gelsenkirchen) einige Kandidaten auf ihre grundsätzliche WM-Tauglichkeit geprüft werden.

Luft ist erstmal raus

«Ich möchte ganz bewusst in den nächsten zwei, drei Spielen einige junge Spieler nochmal sehen und schauen, was für Möglichkeiten sie haben, ob man ihnen ein Turnier zutrauen kann», sagte Löw. Für Finnland nannte er namentlich Technik-Talent Marko Marin und Angreifer Cacau als Vorspiel-Kandidaten. Jérome Boateng muss in seiner Heimat Hamburg nach der Gelb-Roten Karte von Moskau hingegen zuschauen - dafür soll der Hoffenheimer Andreas Beck auf der rechten Abwehrseite wieder eine Chance bekommen. Auch das Torwart-Roulette mit Tim Wiese und Manuel Neuer als Hamburg-Kandidaten statt des nach dem grandiosen Moskau-Auftritt zur Zeit für die WM gesetzten Nummer- 1-Favoriten Adler könnte in Schwung bleiben.

Ein Risiko sieht Löw nicht. Testspiel-Ergebnisse interessieren den Bundestrainer ohnehin nicht sonderlich. Nach der erfolgreichen EM- Qualifikation ging das letzte Gruppenspiel gegen Tschechien (0:3) im Herbst 2007 in München in die Hose. «Klar ist die Luft jetzt erstmal ein bisschen raus. Aber wir werden die Spiele nützen, um bei der WM wieder eine Mannschaft zu haben, die ein Wörtchen mitreden kann», beschrieb Ballack seine Sicht der Lage.

Persönlicher Triumph für Löw

Der Qualifikationserfolg mit bisher 25 von 27 möglichen Punkten - nur Europameister Spanien ist erfolgreicher - ist auch ein persönlicher Triumph für den Bundestrainer. Das «System Löw» hat trotz mancher Wagnisse funktioniert und gerade bei höchsten Belastungsproben seine Wettbewerbsfähigkeit bewiesen. DFB-Präsident Theo Zwanziger zögerte keinen Augenblick, seine Löw-Leidenschaft erneut kundzutun und dem Coach eine vorzeitige Verlängerung des nach der WM auslaufenden Vertrages anzubieten. «Ich werde ihn sicher nicht bedrängen. Aber von meiner Seite steht einer weiteren Zusammenarbeit nichts im Wege», sagte der Verbandschef. Die Mannschaft bekam beim Bankett im Hotel ihr Präsidenten-Lob serviert: «Ihr habt Charakter gezeigt. Wir sind stolz auf eure Leistung.»

Ein Scheitern in Russland und der Umweg über die Relegation hätte besonders den Druck auf Löw enorm erhöht. Der Moment der einsamen Besinnung auf der Trainerbank nach dem Moskauer Abpfiff zeigte, wie sehr Löw unter Anspannung stand. Nun haben sich alle seine Personalentscheidungen als richtig erwiesen. Die nach der EM nach und nach aussortierten Jens Lehmann, Christoph Metzelder und gerade auch Torsten Frings sind einfach keine WM-Kandidaten mehr für Löw. «Als Trainer trifft man Entscheidungen, mit denen vielleicht nicht alle einverstanden sind. Es geht nach unseren Vorstellungen, und wir wissen ganz genau, welche Spieler umsetzen können, was wir brauchen. In Russland zu gewinnen, ist eine Bestätigung von uns allen», lautete Löws Moskauer Botschaft. Auch für den DFB herrscht jetzt Klarheit. Durch das direkte Ticket nach Südafrika sind im November zwei statt nur ein Heimspiel möglich und damit eine zweistellige Millionen- Einnahme. So viel winkt auch bei der WM an FIFA-Geldern. Damit werden die vier Millionen Euro Prämien für die Spieler locker eingespielt. (Arne Richter und Klaus Bergmann, dpa)

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