Holland plant den großen Coup: «Wir wollen alles»
Johannesburg (dpa) - Ganz Holland schwelgte am Wochenende in «Oranje», doch die Mannschaft um Arjen Robben hat den Triumph gegen Brasilien nach einem bunten Abend abgehakt und fiebert nun dem Halbfinal-Gegner Uruguay entgegen.
«Natürlich bin ich glücklich. Aber wir laufen jetzt nicht den ganzen Tag stolz herum und machen eine Polonaise. Wir sind noch nicht am Ziel», erklärte Bert van Marwijk nach dem 24. Spiel in Serie ohne Niederlage. Rechtzeitig vor dem zweiten Teil der Südamerika-Woche schwanden beim Bondscoach die Sorgen um den Einsatz von HSV-Profi Joris Mathijsen und Stürmer Robin van Persie. Trotz der Euphorie im Land des Europameisters von 1988 sollen seine Profis kühlen Kopf bewahren.
«In Holland ist eine unglaubliche Stimmung. Genau so soll es sein. Es ist gut, dass wir hier sind und das alles nicht so richtig mitbekommen», meinte van Marwijk. Sein Team hat Blut geleckt: «Jetzt wollen wir den Titel», sagte Stürmer Robin van Persie nach dem denkwürdigen 2:1 von Port Elizabeth gegen den Rekordweltmeister, mit dem die «Elftal» ihren Ruf des ewig Gescheiterten vorerst ablegte und den Traum Brasiliens vom sechsten WM-Titel zerstörte. Gegen die «Urus» kann die Niederlande am 6. Juli in Kapstadt den vielleicht vorletzten Schritt zum ersten WM-Titel machen.
«Ich habe vom ersten Tag an gesagt, wir haben eine Mission: Weltmeister werden», betonte van Marwijk, «ich bin oft ausgelacht worden, aber heute haben wir einen wichtigen Schritt in Richtung Erfüllung unserer Mission gemacht.» Seit der 58-Jährige 2008 die Auswahl von seinem glücklosen Vorgänger Marco van Basten übernommen hat, machte das mit Stars gespickte Team eine erstaunliche Entwicklung. Die bisherige Jahresbilanz 2010: Neun Siege in neun Spielen.
Früher als glücklose Ballzauberer verspottet, zeigen die Niederländer Tugenden, die einen Weltmeister ausmachen: spielstark, widerstandsfähig, gut organisiert und mit festem Glauben in die eigene Stärke. «In dieser Gruppe steckt so viel. Wir wollen mehr. Wir wollen alles», tönte Angreifer Dirk Kuyt. «Das Wunder von Port Elizabeth», titelte die Tageszeitung «De Telegraaf». «Dies ist die WM von Oranje, die WM der Niederlande», jubelte «De Volkskrant». Im Fokus der Lobeshymnen stand besonders jener Mann, der sich in Südafrika drei Wochen lang Tag für Tag anhören musste, seine Mannschaft spiele keinen schönen Fußball - der frühere Dortmunder Bundesliga-Trainer van Marwijk.
Nun ist seine Mannschaft bereit für den ganz großen Coup. Und Wesley Sneijder greift nach seinen zwei Treffern im Nelson Mandela Bay-Stadion in den Kampf um die «Goldenen Schuh» für den besten Torschützen ein: Der 26-Jährige von Inter Mailand hat wie die deutschen Goalgetter Miroslav Klose und Thomas Müller und die bereits verabschiedeten Robert Vittek (Slowakei) und Gonzalo Higuaín (Argentinien) vier Tore auf dem Konto. Nur der Spanier David Villa liegt einen Treffer vorn. Das Eigentor von Felipe Melo zum 1:1 gegen Brasilien schrieb die FIFA einen Tag später doch noch Sneijder zu. «Er hat die Fähigkeiten, ein Spiel zu entscheiden. Er braucht nicht 90 Minuten den Ball», sagte Mathijsen über seinen Mitspieler.
Gegen Uruguay ist Sneijder nun gefordert, von Anfang an Gas zu geben und sich nicht erst - wie am Freitagabend - in der Pause an seine Stärken erinnern zu lassen. «Der Gegner ist gefährlich. Sie sind Kämpfer. Sie sind Überlebenskünstler. Ich mag die Art, wie sie spielen», sagte van Marwijk, der gegen den Weltmeister von 1930 und 1950 voraussichtlich auf Mathijsen (Kniebeschwerden) und van Persie (Armverletzung) zurückgreifen kann: Wie Untersuchungen am Samstag in einem Krankenhaus in Johannesburg ergaben, sind die Verletzungen der beiden weniger schwerwiegend als befürchtet.
Mathijsen und van Persie nahmen zwar am 4. Juli nicht am Mannschaftstraining teil, stehen aber im Halbfinale wohl zur Verfügung. Definitiv verzichten muss der Bondscoach auf die gelb-gesperrten Gregory van der Wiel und Nigel de Jong. Doch Holland ist deshalb nicht in Not: Auf der Ersatzbank sitzt unter anderem noch ein gewisser Rafael van der Vaart von Real Madrid. Und der Stuttgarter Khalid Boulahrouz will van der Wiel vertreten: «Ich gehe schon davon aus, dass ich im Halbfinale spiele.»