Gomez kein „phlegmatischer Schönling“
Zurückhaltend, fast vorsichtig: Mario Gomez wird das schnöselige Image, das ihm anhaftet, nur schwer los. Ganz im Gegensatz zum Vereinskollegen Thomas Müller.
Düsseldorf - Der Kontrast hätte nicht größer sein können. Erst kam der Torschützenkönig der Fußball-Bundesliga, dann der WM-Torschützenkönig. Mario Gomez, die Torgarantie des deutschen Rekordmeisters Bayern München, wirkte am Tag vor seinem 49. Länderspiel mit der deutschen Nationalmannschaft in Düsseldorf gegen Belgien wie immer zurückhaltend, fast vorsichtig und in sich gekehrt. Wenig später betrat Vereinskollege Thomas Müller das Podium auf der Abschlusspressekonferenz. Keck, schlagfertig und humorvoll begegnete der 22-Jährige den Fragen aus dem Auditorium und erzählte launig von den Schafkopf-Runden einiger Bayern-Profis. Müller räumte gleich auch einmal mit einem Vorurteil auf: „Dass Mario, nur weil er groß ist und nicht hässlich ist, als als phlegmatischer Schönling dargestellt wird, ist eine Frechheit. Wie er ein, zwei Jahre behandelt wurde, ist ungerechtfertigt.“
Das schnöselige Image, das Mario Gomez anhaftet, wird er nur schwer los. Liegt es ohnehin an seinem Naturell, oder an etwas anderem? Gomez hat seit seinem ersten Länderspiel das Unschönste, was einem Profifußballer passieren kann, durchlitten: Nicht geliebt zu werden, obwohl er Tore schießt, bisher 20 Stück in 48 Länderspielen, das letzte in perfekter Manier beim 3:1 gegen die Türkei. „Ich blicke nicht mehr zurück. Es war nicht einfach, und ich habe meine Probleme gehabt“, sagte der 26-Jährige mit leiser Stimme. „Ich bin froh, dass ich der Mannschaft mit Toren helfen kann.“
Erstes Länderspiel und Tor in Düsseldorf
Gleich in seinem ersten Spiel unter Jogi Löw am 27. Februar 2007 erzielte Gomez beim 3:1 gegen die Schweiz in Düsseldorf sein erstes Tor. In der Folge lief es zunächst weiter prächtig. Bis zu EM 2008 in der Schweiz und Österreich fabrizierte er seine Treffer und schien der neue Stürmerstar im deutschen Fußball zu werden. Doch dann gab es den Bruch, beim 1:0 gegen Österreich bei der EM 2008 brachte der Stürmer den Ball zum Entsetzen der Fans aus wenigen Zentimetern Entfernung nicht über die Linie, sondern beförderte ihn im hohen Bogen über die Latte. Ob das der Ausgangspunkt war, dass die Anhänger dem Menschen Gomez fortan mit Skepsis begegneten, ist schwer zu sagen. Tatsache ist, dass dieses Nicht-Tor den Schwaben mit den spanischen Wurzeln lange verfolgte.
Eine weitere Belastung für den Angreifer schien auch der 30-Millionen-Euro-Wechsel vom VfB Stuttgart zu Bayern München zu sein. In seiner ersten Saison 2009/2010 bekam er kaum einen Stich gegen Miroslav Klose, über die Meisterschaft konnte er sich kaum freuen, und bei der WM in Südafrika war er ein Null-Faktor. Müller hingegen spielte sich in die Herzen der Fans, unbeschwert, ein Bursche wie aus dem Bilderbuch.
39 Tore in 45 Pflichtspielen
Doch Mario Gomez fand die außergewöhnlichen sportlichen Fähigkeiten wieder – mit eisernem Willen und harter Arbeit. Mit 39 Toren in 45 Spielen glänzte er in der zweiten Saison und erfüllte endlich die hohen Erwartungen der Bayern. „Zu verbessern ist immer alles“, sagte er und gab einen kleinen Einblick in die Gefühlswelt. „Ich bin froh, dass der Bundestrainer die Qual der Wahl zwischen mir und Miro Klose hat. Das ist gut für den Trainer“, erklärte er mit Blick auf die Möglichkeiten von Löw. „Seine Fähigkeiten sind überragend gut. Nach seinen schwierigen Jahren trifft er auch, er ist eine Tormaschine“, sagte der Bundestrainer. „Seine Qualitäten waren nur kurzfristig nicht vorhanden.“
Doch er beim Volk kommt Gomez nicht richtig an. Im EM-Qualifikationsspiel gegen Kasachstan (4:0) in Kaiserslautern wird er im März bei seiner Einwechslung ausgepfiffen. Wenige Tage später beim 1:2 in Mönchengladbach gegen Australien trifft er zum 1:0, lässt sich aber zu einer provokanten Jubelgeste in Richtung der Zuschauer hinreißen und beklagt danach verbittert, wie schlecht er vom deutschen Publikum behandelt wird. Sein Torero-Jubel, vielleicht auch seine neue modische Frisur oder sein zurückhaltendes, manchmal gebremst wirkendes Auftreten machen es den Fans offenbar schwer, echte Sympathie für Gomez zu entwickeln.
Lieber ruhig im Hotel als Karten zocken
Müller spielt gerne Schafkopf, bezeichnet sich als Mensch, „der gerne ein bisschen Risiko geht und zockt“. Gomez sagt hingegen, dass er nicht so gerne „bis 12.00 Uhr in der Player's Lounge sitzt“ oder „eine Stadtbesichtigung“ macht. „Ich bin gerne etwas ruhiger. Wir haben doch ein schönes Hotel“, meint Gomez.
Der Ungeliebte ist aber sicher, dass er die Menschen über kurz oder lang für sich überzeugen kann. So wie er sich aus seinem Leistungsloch herausgeackert hat: „Fußball ist sehr schnelllebig. Das Einfachste ist es, die Leute mit guten Leistungen und Toren auf seine Seite zu holen. Das gelingt mir im Moment ganz gut. Ich glaube, dass viele Leute schon gesehen haben, dass ich das bringen kann, was ich auch im Verein bringe.“