Drohen Pfiffe gegen Herzensjubler Goretzka?
München/Budapest - Wie viele Kinder wohl diesmal ins Stadion kommen? Zu einem fröhlichen, lustigen Fußballspiel? Dass daraus in der Puskás-Aréna von Budapest kein Happening, kein Kindergeburtstag wurde, hat der Samstag vor einer Woche gezeigt.
Der europäische Verband Uefa hatte Ungarn wegen rassistischer und homophober Gesänge und Plakate seiner Fans während der EM-Spiele im Sommer 2021 mit der Austragung von zwei Pflichtspielen ohne Zuschauer sanktioniert (das zweite zur Bewährung) – was schließlich beim 1:0-Erfolg gegen England vollkommen konterkariert wurde.
Deutschland gegen Ungarn: Stadion wieder ausverkauft
Ausgerechnet mittels eines Uefa-Paragrafen. Weil bei angeordneten "Geisterspielen" Kinder bis zum Alter von 14 Jahren trotzdem ins Stadion dürfen, wenn sie eingeladen und von einem Erwachsenen begleitet werden. So waren 30.000 in der 67.000 Zuschauer fassenden Puskás-Aréna. Einige davon buhten, als das englische Team wie gewohnt kurz vor Anpfiff als Zeichen gegen Rassismus und Diskriminierung auf die Knie ging. Nach dem Motto: Die Geister, die ich rief...

Und nun? Diesen Samstag im Nations-League-Heimspiel gegen die deutsche Nationalmannschaft ist die Puskás-Aréna wieder ausverkauft, da dieses nur als "Geisterspiel zur Bewährung" festgesetzt worden war. Mit allen Risiken und Nebenwirkungen. Laut DFB-Direktor Oliver Bierhoff ist kein Kniefall geplant. Letzten Dienstag in der Allianz Arena hatte man aus Solidarität mit den Engländern mitgemacht.
Außen erstrahlte das Stadion in den Regenbogenfarben, was der Stadt München im Sommer 2021 von der Uefa aufgrund des Verbots von politischen Äußerungen verboten worden war. Eine doppelt delikate Sache also – mit Vorgeschichte.
EM 2021: Leon Goretzka trifft ins Herz der Ungarn-Fans
Juni 2021, das dritte Gruppenspiel in München, Regen prasselt unaufhörlich nieder: Das DFB-Team liegt gegen Ungarn mit 1:2 im Rückstand, das vorzeitige, blamable Aus in der Gruppenphase droht. Bis der eingewechselte Leon Goretzka in der 84. Minute zum Ausgleich trifft – und damit ins Herz aller Ungarn-Fans, die zuvor höchst unangenehm auf den wegen der Corona-Pandemie spärlich besetzten Rängen aufgefallen sind.
Goretzka schickt sein Team ins Achtelfinale, Ungarn als Gruppenletzten nach Hause – und schöne Grüße auf die Tribüne ihrer Anhänger, die sich teils als schwarz gekleideter Mob präsentierten. Der Bayern-Profi läuft in deren Richtung, formt mit Daumen und Zeigefingern ein Herz, zeigt es vor seiner Brust. Welch smarter Konter!
Diskussion um politische Symbolik im Sport flammt wieder auf
Doch diese symbolhafte Geste will Goretzka im Rückblick nicht überbetonen. "Für mich war es die schönste Erinnerung, dass ich ein schönes Tor geschossen habe, das uns in die nächste Runde gebracht hat." Aber natürlich ist sich der 27-Jährige der Bedeutung seines Handelns bewusst. "Das kam schon so ein bisschen aus dem Bauch raus, da hat auch vieles zusammengepasst, auch mit dem ganzen Thema davor, ob wir die Allianz Arena in den Regenbogenfarben anstrahlen dürfen – oder nicht. Deswegen hat das ja natürlich sehr gut reingepasst", sagte Goretzka vor der Abreise nach Budapest. Dieser Treffer wurde vom DFB-Fan-Klub zum Tor des Jahres 2021 gewählt – sicher nicht, weil der Schuss so perfekt saß. . .
Herzallerliebst! Angesichts des Auftritts des DFB-Teams im Land von Ministerpräsident Viktor Orbán, der den anderen EU-Mitgliedern im Zuge der Sanktionen gegenüber Aggressor Russland im Rahmen des Angriffskrieges gegen die Ukraine derzeit – gelinde gesagt – große Schwierigkeiten bereitet, flammt die Diskussion um politische Symbolik im Sport wieder auf.
Bundestrainer Hansi Flick möchte diese Themen natürlich am liebsten ausblenden. Am Freitag sagte er auf mögliche Pfiffe gegen sein Team und speziell Goretzka angesprochen: "Es kann sein, dass Pfiffe kommen. Aber wenn der Schiedsrichter anpfeift, sind das Nebensächlichkeiten." Und noch mal: "Es ist null Thema bei uns, weil jeder Einzelne schon so viele Spiele gemacht, wo die Stimmung im Stadion aufgeheizt war. Das ist Nebensache, das muss jeder aushalten."