DFB-Elf feiert gegen Dänemark größten Erfolg seit acht Jahren: "Haben noch drei Endspiele"
München - Auf den Tag genau vor drei Jahren scheiterte die deutsche Nationalelf in einem EM-Achtelfinale. Mit 0:2 gegen England in London – der Traum von Titel und die Ära von Bundestrainer Joachim Löw waren mit einem Schlag vorbei.
Alles anders diesmal. Potzblitz! Mit einem emotional erkämpften und am Ende souveränen 2:0-Erfolg gegen Dänemark zog die DFB-Auswahl dank der Treffer von Kai Havertz und Jamal Musiala ins Viertelfinale dieser EM ein und trifft am Freitag in Stuttgart (18 Uhr) auf den Sieger der Partie Spanien gegen Georgien (Sonntagabend, 21 Uhr). Der Showdown gegen den Titelfavoriten Spanien, bisher als einziges Team mit drei Siegen aus drei Spielen) wäre die wohl größte Hürde des bisherigen Turniers.
"Wir haben noch drei Endspiele. Im Viertelfinale nehmen wir es, wie es kommt", erklärte Antonio Rüdiger nach dem Spiel.
"Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin": Traum vom Endspiel für die DFB-Elf lebt
Gegen die tapferen Dänen, die mit drei Unentschieden die Vorrunde überstanden, waren Widerstandsfähigkeit, Wille sowie Moral nötig, um das Viertelfinal-Ticket klarzumachen. Es gelang – Donnerwetter! Die Fans sangen bereits "Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin!". Der Traum vom Endspiel im Berliner Olympiastadion am 14. Juli, er lebt.
Beide waren in diesem Kalenderjahr vor Anpfiff noch ohne Niederlage, die Gäste (drei Siege, vier Remis) ebenso wie das DFB-Team (fünf Siege und zwei Remis). Erstmals bei dieser EM änderte Bundestrainer Julian Nagelsmann seine Stammelf. Notgedrungen, klar. Wegen der zweiten Gelben Karte musste Jonathan Tah zuschauen, für ihn kam der Dortmunder Nico Schlotterbeck in seinem Heimstadion zu seinem ersten Einsatz von Beginn an, als Innenverteidiger neben Antonio Rüdiger, der trotz Zerrung aus dem Schweiz-Spiel (1:1) starten konnte. Zwei weitere Änderungen nahm Nagelsmann dank der Trainingseindrücke und wegen des Gegners vor: David Raum begann für Maximilian Mittelstädt auf der Linksverteidiger-Position, Bayern-Profi Leroy Sané anstelle von Florian Wirtz auf dem rechten Flügel.
"Mehr Tiefe": Nagelsmann begründet Entscheidung pro Sané
Bei den Dänen fehlte ebenfalls ein Akteur wegen einer Sperre. Sechser Morten Hjulmand wurde ersetzt vom ehemaligen Dortmunder Thomas Delaney, der in der Bundesliga auch für Bremen und Hoffenheim spielte. Fraglich war der Einsatz von Christian Eriksen. Der Spielmacher der Dänen musste wegen Magen-Darm-Problemen mit dem Training aussetzen, schaffte es aber rechtzeitig fit zu werden.
Nagelsmann begründete seine Entscheidung pro Sané und kontra Wirtz im ZDF folgendermaßen: "Gegen die Schweiz haben wir ein bisschen zu wenig Tiefe angeboten. Es war eine Entscheidung zwischen zwei Weltklasse-Spielern und deshalb kann die Entscheidung nur gut ausfallen." Für Raum habe gesprochen, "dass er ein Spieler ist, der viel Emotion reinbringt". Auf Niclas Füllkrug, bereits zwei Jokertore, vertraute Nagelsmann eben weite als: Joker. Mit Havertz verfolge er "eine klare Idee", so der Bundestrainer.
Schlotterbeck trifft früh, aber VAR nimmt das Tor zurück
Und tatsächlich funktionierte die Idee anfangs auch bestens. Sané machte viele Läufe in die Tiefe, Havertz war besser im Spiel als zuletzt. Im Tor war der Ball allerdings dann nach einer Standard-Situation: Eckball, Kopfball, Tor. Toni Kroos hatte hereingezogen, Schlotterbeck war hochgestiegen und köpfte an Torhüter Peter Schmeichel vorbei ins Netz (4.). Riesiger Jubel, Schlotterbeck zeigte seine Muckis – da war längst abgepfiffen. Denn Kimmich hatte Skov Olsen geblockt, dadurch konnte Schlotterbeck erst frei durchlaufen. Harte, aber vertretbar, diese Entscheidung.
Auch Raum machte viel Betrieb über die linke Seite, die DFB-Elf wirkt aggressiv, griffig, angriffslustig. Kimmichs Schuss aus rund 25 Metern fischte Schmeichel aus dem Winkel (7.). Chance auf Chance bis sich die Dänen die Hoheit im Mittelfeld und damit die Kontrolle über das Geschehen zurückerobern. Es braute sich was zusammen, aber nicht vor den Toren, sondern am Himmel über Dortmund. Blitz und Donner kamen immer näher, es wurde bedrohlich dunkel.
Gewitter-Unterbrechung in Dortmund
Es blitzte und krachte bis Schiedsrichter Michael Oliver die Partie in der 35. Minute nach einem lauten Donnerschlag unterbrach und die Spieler erstmal zu ihren Bänken, kurz danach sicherheitshalber in die Kabinen schickte. Hagelkörner prasselten auf den Dortmunder Rasen, Teile der Fans auf den unteren Rängen flüchteten auf weiter oben gelegene Plätze. Um den Regen vom Dach abzuleiten, ergossen sich auf der Höhe von zwei Eckfahnen Sturzbäche – wie schon beim Spiel Türkei gegen Georgien.
Zahlreiche Fans nahmen es mit Humor, sangen: "Oh, wie ist das schön!" Weil die Unterbrechung schließlich über 20 Minuten (insgesamt eine knappe halbe Stunde) dauerte, durften sich beide Mannschaften fünf Minuten aufwärmen – so die Uefa-Regelungen. Mit der Pause vor der Pause kam die deutsche Elf besser zurecht und hatte eine weitere Großchance, doch Havertz köpfte zu zentral (37.). Mit 0:0 ging es in die Pause. Mal wieder Klamottenwechsel. Ob die Dänen, früher eine Seefahrernation an diesem Abend bei Wind und Wetter besser gerüstet waren?
VAR schaltet sich zwei Mal ein – großes Glück für den DFB
Kurz nach der Pause zwei ganz knifflige Szenen, bei beiden hatte das DFB-Team großes Glück. Erst wurde der Treffer von Joachim Andersen wegen einer hauchdünnen Abseitsstellung zurückgenommen (die Überprüfung dauerte zwei Minuten bis zur 50.) - um eine Fußspitze ging Dänemark nicht in Führung, doch nicht Andersens Märchen-Tor. Dessen Abend erfuhr eine ganz bittere Wendung: Nach einer Raum-Flanke hatte er den Ball an die vom Körper abgespreizte Hand bekommen.
Schiedsrichter Oliver schaute sich die Bilder auf dem VAR-Bildschirm an und entschied auf Elfmeter. "Die Handregel wird seit Jahren diskutiert. Kann man pfeifen, muss man nicht. Wir sind verdient weitergekommen", ordnete Bundestrainer Nagelsmann die Situation ein.
Havertz verwandelte zur Führung – das 1:0 (53.). Ein Donnerhall des Jubels fegte durchs Dortmunder Stadion. "Ich trainiere das viel, schieße gerne Elfmeter, das macht mir Spaß. Ich versuche, mir den Druck zu nehmen, den Moment zu genießen und heute hat das wieder geklappt", so Torschütze Havertz nach der Partie.
Nagelsmann brachte Emre Can für den angeschlagenen Robert Andrich und Top-Joker Niclas Füllkrug für Kapitän Ilkay Gündogan.
Viertelfinal-Einzug bei der Heim-EM: Größter Erfolg der DFB-Elf seit acht Jahren
Im Duell der Nachbarländer machte dann Deutschland den Deckel drauf auf die Partie und erhöhte nach einem langen Ball des bärenstarken Schlotterbeck auf Musiala, der Schmeichel keine Chance ließ und die Kugel ins lange Eck setzte – 2:0 (68.) - bereits der dritte Turniertreffer des Bayern-Stars.
Sein Bayern-Kollege Joshua Kimmich freut sich nach der Partie über den Viertelfinaleinzug: "Es sind sehr viele Glücksgefühle. Wir haben das Spiel nach der Führung nicht so kontrolliert, wie ich mir das vorgestellt habe. Hinten heraus war es souverän. Man muss in einem Turnier effizient sein. In der zweiten Halbzeit war das Spiel etwas wild und hektisch. Man hat gemerkt, dass es ein K.-o.-Spiel war. Die Stimmung war die bisher beste in diesem Turnier."
2021 in Wembley war das einzige Mal bei den vergangenen drei Turnieren, dass Deutschland überhaupt einmal die Runde der letzten 16 erreicht hatte. Die WM 2018 und 2022 endeten jeweils mit einem desaströsen Vorrunden-Aus. Das letzte gewonnene K.o.-Spiel der DFB-Geschichte vor dem 2:0 über Dänemark? Bei der EM 2016 in Frankreich, das Viertelfinale gegen Italien – im Elfmeterschießen. Das ist wichtig, um diesen Abend von Dortmund und den Einzug ins EM-Viertelfinale einzuordnen. Klingt komisch, ist aber der größte Erfolg seit acht Jahren für die Nationalelf.